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Neutrophile Granulozyten machen den Großteil der Granulozyten aus und sind ein großer Bestandteil der unspezifischen Immunabwehr. Wie man sie unter dem Mikroskop erkennt, ihre Funktionsweise und welche Krankheiten sie betreffen können, ist Inhalt dieses Artikels.
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Neutrophile Granulozyten – Definition
Die Granulozyten machen in ihrer Gesamtheit etwa 40 bis 60 Prozent der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) aus. Von dieser Gruppe entfällt der Großteil auf die neutrophilen Granulozyten. Sie sind Teil des angeborenen, unspezifischen Immunsystems und kommen in der Akutabwehr zum Einsatz.
Neutrophile Granulozyten – Einteilung
Die Einteilung der Neutrophilen kann nach zwei Gesichtspunkten erfolgen. Eine Möglichkeit ist die Systematisierung nach ihrer Lokalisation im Blutgefäßsystem, wobei man zwischen einem zirkulierenden und einem marginalem Granulozytenpool unterscheidet. Der zirkulierende Pool (CGP) schwimmt im Blutkreislauf, während der marginalen Granulozytenpool (MGP) am Endothel haftet.
Die zweite Einteilung erfolgt nach der Morphologie der neutrophilen Granulozyten. Allen gemeinsam ist die Größe von etwa zehn bis fünfzehn Mikrometern und ein geformter Kern. Nach dem Erscheinungsbild des Kernes unterscheidet man stabkernige und segmentkernige neutrophile Granulozyten.
Die stabkernigen Granulozyten bilden die vorletzte Reifestufe in der Granulopoese. Ihr Kern ist nicht segmentiert und leicht gekrümmt, sodass er entsprechend seiner Namensgebung stabförmig aussieht. Physiologischerweise macht diese Art bis zu drei Prozent der Leukozyten aus.
Aus den stabförmigen entwickeln sich im letzten Schritt die segmentförmigen Granulozyten, die damit die ausgereifte Form darstellen. Der Kern ist in zwei bis fünf Segmente gegliedert.
Der Marginalpool sowie die stabkernigen Granulozyten dienen als Reserve, wenn im Rahmen einer Entzündung schnell Nachschub ohne eine notwendige Zellteilung gestellt werden muss. Hämatologisch können zusätzlich noch hypo- und hypersegmentierte Granulozyten unterschieden werden, wenn der Kern in weniger oder mehr Segmente gesplittet ist.
Neutrophile Granulozyten – Histologie und Reifung
Im Lichtmikroskop erscheinen die neutrophilen Granulozyten besonders auffällig durch ihren segmentierten Zellkern und der im Zytoplasma vorhandenen dunklen Granula. Im Vergleich zu Erythrozyten sind sie deutlich größer und setzen sich dadurch von ihnen ab.
Die im Zytoplasma enthaltenen Granula übernehmen wichtige Funktionen. Von ihnen existieren unterschiedliche Typen. Die primären Granula, auch azurophile Granula genannt, enthalten neben sauren Hydrolasen wie Phospholipasen auch Defensine, Lysozyme und Serinproteasen. Ein weiterer Bestandteil ist die Myeloperoxidase für den oxidative burst. Mit diesem Inhalt entsprechen sie den Lysosomen.
Sekundäre Granula beinhalten vorwiegend Enzyme wie Kollagenase, Elastase, Lysozyme und Plasminogenaktivatoren. Durch einige davon, wie der Elastase, ist es den Granulozyten möglich, schnell zum Infektionsort zu kommen und die Wundheilung zu unterstützen.
Tertiäre Granula enthalten Gelatinase, während im vierten und fünften Granulatyp Katalase und die alkalische Phosphatase vorkommt.
Die neutrophilen Granulozyten entstehen im Rahmen der Granulopoese, ein Teil der Hämatopoese. Im Knochenmark differenzieren sich hämatopoetische Stammzellen zu myeloischen Stammzellen, die als Vorläuferzellen der Neutrophilen und der Monozyten dienen. Die Entwicklung läuft vom Myeloblast zum Promyelozyt, Myelozyt, Metamyelozyt hin zum stabkernigen Granulozyt und anschließend zum segmentkernigen, reifen Granulozyt. Dieser Vorgang dauert etwa sieben bis zehn Tage und ist von verschiedenen stimulierenden Hormonen und Interleukinen abhängig.
Nach Abgabe in den Blutkreislauf zirkulieren die reifen Zellen dort weniger als einen Tag und gelangen anschließend durch Diapedese ins entzündete Gewebe (Interstitium) für weiter zwei bis drei Tage. Chemokine locken sie an diesen Ort.
Neutrophile Granulozyten – Funktion
Diese Art der Granulozyten dient der unspezifischen Immunabwehr von extrazellulären Pathogenen, etwa Bakterien. Sie erkennen und binden sie und können sie anschließend auf zwei Wegen abtöten, wobei die enthaltenen Granula essentiell sind.
Die erste Möglichkeit hierfür ist die Phagozytose. Dafür bindet und nimmt der Granulozyt den Fremdkörper auf. Er wird ab jetzt als Phagosom bezeichnet. Es verschmilzt mit den Granula, deren Inhaltsstoffe dadurch aktiv wirken können. Sie töten den aufgenommenen Mikroorganismus ab. Der Granulozyt geht nach wenigen Phagozytosen unter, da seine Glykogenreserven aufgebraucht sind. Beim Untergang setzt er Chemokine und Granulaenzyme in das entzündete Gewebe frei, wodurch er so zur Aufrechterhaltung der Immunantwort beiträgt, da neue neutrophile Granulozyten angelockt werden. Am Ende entsteht durch den Vorgang Eiter.
Als zweite Möglichkeit steht die NETose zur Verfügung. Sie stellt eine Sonderform des programmierten Zelltodes (Apoptose) dar. In diesem Rahmen bildet der neutrophile Granulozyt Neutrophil Extracellular Traps (NETs) aus. Das funktioniert folgendermaßen: Zuerst wirft der Granulozyt “Fangnetze” aus (Protein umhüllte Stränge = NETs), die aus Proteinen der Granula (vor allem Myeloperoxidase und Elastase) und nukleären Bestandteilen aufgebaut sind. Pathogene bleiben darin hängen und werden unschädlich gemacht. Anschließend lockt der Granulozyt weitere Immunzellen an und setzt Zytokine durch seinen Zelluntergang frei.
Als dritte Option steht die Produktion bakterizider Substanzen zur Verfügung. Dabei bildet er zytotoxische Sauerstoffradikale (Peroxide), die durch die NADPH-Oxidase freigesetzt werden. Es kommt zum “Respiratory Burst”. Die Radikale werden zu Wasserstoffperoxid umgewandelt, welches die Myeloperoxidase für die Oxidation von Chlorid zu Hypochlorid benutzt. Das ist stark antimikrobiell und zerstört die Zellmembran des Erregers. Der Vorgang des Respiratory Bursts ist allerdings sehr viel komplexer als in dieser Übersicht dargestellt.
Neutrophile Granulozyten – Klinik
Die neutrophilen Granulozyten können durch verschiedene Ursachen erhöht oder erniedrigt sein. Eine Erhöhung nennt man Neutrophilie, eine Verringerung Neutropenie.
Eine Neutrophilie liegt bei einer Zellzahl von über 6.200 pro Mikroliter vor oder einem Anteil von über 75 Prozent an den gesamten Leukozyten. Ursachen hierfür können akute oder chronische Entzündungen oder eine Cortisontherapie sein. Es kann durchaus sein, dass die erhöhte Zahl mit einer erhöhten Granulopoese zusammenhängt, das ist allerdings nicht zwangsläufig der Fall. Physiologisch sind nur 25 Prozent der verfügbaren Granulozyten im Blut nachweisbar, der Rest befindet sich im Knochenmark oder am Endothel als Reserve. Diese Reserven können durch Stress (Adrenalin) oder starker Muskelarbeit freigesetzt werden, was als Neutrophilie interpretiert wird.
Kostmann-Syndrom
Das Kostmann-Syndrom ist eine sehr seltene Erbkrankheit. Weniger als eine Person pro 300.000 Neugeborenen ist erkrankt. Das Syndrom manifestiert sich im Neugeborenenalter mit einer stark verminderten Anzahl von neutrophilen Granulozyten. Sie können auch vollständig fehlen. Ursache ist die HAX-1-Mutation, wodurch die Apoptose nicht mehr regulierbar ist.
Symptomatisch treten bereits kurz nach der Geburt viele heftige bakterielle Infektionen auf. Außerdem bilden sich häufig Abszesse, Zahnfleisch und Mundhöhle entzündet sich. Fieber und Osteoporose ist ebenfalls nicht selten.
Es erfolgt eine antibiotische Behandlung jedweder Infektionen und eine Langzeittherapie mit G-CSF (stimuliert die Granulopoese). Eine Knochenmarkstransplantation ist ebenfalls möglich.
Die WHO unterteilt Neutropenie in vier Grade:
- WHO-Grad 1: über 1.500 Zellen pro Mikroliter
- WHO-Grad 2 (mild): zwischen 1.000 und 1.500 Zellen pro Mikroliter
- WHO-Grad 3 (mäßig): zwischen 500 und 1.000 Zellen pro Mikroliter
- WHO-Grad 4 (schwer): unter 500 Zellen pro Mikroliter (auch Agranulozytose genannt)
Ursachen für eine Verringerung der Zellzahl sind Schädigungen des Knochenmarks, ein Virusinfekt, zum Beispiel Hepatitis, oder seltener bakterielle Infekte wie Typhus.
- Unspezifisches Immunsystem, https://next.amboss.com/de/article/660jNS, (Abrufdatum: 04.07.2024)
- Grundlagen der Hämatologie, https://next.amboss.com/de/article/ln0vtg, (Abrufdatum: 04.07.2024)