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Der Gesichtsschädel (Viscerocranium) bildet ein Gerüst aus vielen feinen Knochen, die gemeinsam diverse Funktionseinheiten bilden. Die einzelnen Bestandteile können leicht verwirren. Dieser Artikel bietet eine Übersicht vom Gesichtsschädel und geht grob auf die Anatomie der einzelnen Knochen ein. Außerdem wirft er am Ende einen Blick auf die Frakturen und Fehlbildungen des Viscerocraniums.
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Gesichtsschädel (Viscerocranium) – Definition
Der Schädel setzt sich im Allgemeinen aus den etwa 15 Knochen des Gesichtsschädels und den Knochen des Gehirnschädels (Neurocranium) zusammen. Der Gesichtsschädel bildet damit die knöcherne Grundlage des Gesichts mit Augenhöhle, Nasenhöhle und Mundhöhle. Die Mandibula ist dabei der einzige bewegliche Knochen, alle anderen sind durch Suturen (Schädelnähte) unbeweglich verbunden.
Gesichtsschädel (Viscerocranium) – Embryologie und Anatomie
Embryologisch entwickelt sich der gesamte Schädel aus dem Seitenplattenmesoderm, dem paraxialen Mesoderm und den Neuralleistenzellen. Für das Viscerocranium sind davon nur die Neuralleistenzellen essentiell, aus denen es sich entwickelt. Alle Strukturen entstehen außerdem aus den ersten oder zweiten Kiemenbögen.
Aus dem ersten Kiemenbogen entsteht der Processus maxillaris, welcher an der Bildung der folgenden Strukturen beteiligt ist:
- Maxilla
- Schläfenbein
- Jochbein und Jochbogen
- Gaumenbein
- Tränenbein
- Nasenbein
- Vomer
- untere Nasenmuschel
Der Processus mandibularis entwickelt sich ebenfalls aus den ersten Schlundbögen und bildet die Mandibula, das Ligamentum sphenomandibulare und Hammer und Amboss.
Aus dem zweiten Kiemenbogen bildet sich der Processus styloideus, der Steigbügel, das Zungenbein und das Ligamentum stylohyoideum.
Bei Neugeborenen und Säuglingen zeigen sich außerdem zwei Fontanellen, die bei Geburt nicht verwachsen sind. Dabei handelt es sich um kleinere Schädelöffnungen. Es gibt eine große, rautenförmige Fontanelle (Fonticulus anterior oder Fonticulus Bregma) zwischen dem Stirnbein und dem Scheitelbein. Sie schließt sich zwischen dem vierten und 24. Monat. Die zweite Fontanelle nennt sich vordere Seitenfontanelle (Fonticulus anterolateralis oder Fonticulus Pterion), welche vom Scheitelbein, Stirnbein, dem Schläfenbein und dem Keilbein begrenz wird. Sie verwächst im zweiten bis dritten Monat.
Bestandteile des Gesichtsschädels
Zu dem Viscerocranium zählen folgende Bestandteile im Einzelnen:
- Os ethmoidale (Siebbein): außer die Lamina cribrosa
- Os nasale dextrum et sinistrum (rechtes und linkes Nasenbein)
- Os lacrimale dextrum et sinistrum (rechtes und linkes Tränenbein)
- Os zygomaticum dextrum et sinistrum (rechtes und linkes Jochbein)
- Os palatinum dextrum et sinistrum (rechtes und linkes Gaumenbein)
- Os sphenoidale (Keilbein): nur der Processus pterygoideus
- Os temporale (Schläfenbein): Pars tympanica, Processus styloideus ossis temporalis
- Os hyoideum (Zungenbein): Es wird diskutiert, ob das Zungenbein Teil des Gesichtsschädels ist, da es nur über Muskeln und Bänder am Schädel befestigt ist. Oft wird es deshalb zum Larynx (Kehlkopf) gezählt.
- Maxilla (Oberkiefer)
- Mandibula (Unterkiefer
- Vomer (Pflugscharbein)
- Concha nasalis inferior dextra et sinistra (rechte und linke untere Nasenmuschel)
Die Grenze zum Neurocranium verläuft von der Seite betrachtet vom Oberrand der Orbita (Augenhöhle) zum Oberrand des äußeren Gehörgangs (Meatus acusticus externus). Das Viscerocranium befindet sich also vor (ventral) und unter (kaudal) dem Neurocranium.
Gesichtsschädel (Viscerocranium) – Einteilung
Die vielen einzelnen kleinen Knochen können schnell zu Verwirrung führen. Besser ist deshalb eine Betrachtung des Gesichtsschädels nach diversen Einteilung und Gruppierungen. Diese können anatomisch begründet sein, aber auch auf klinischen und biomechanischen Aspekten beruhen.
Einteilung nach Anatomie
Anatomisch kann man vier große Regionen unterscheiden, die Schläfenregion, Nasenregion, Kieferregion und Mundregion.
Schläfenregion
Zu der Schläfenregion zählt das Os temporale (Schläfenbein) mit seiner Pars tympanica und dem Processus styloideus ossis temporalis sowie das Os zygomaticum (Jochbein). Die Pars tympanica liegt etwas gekrümmt unterhalb der großen Pars squamosa des Schläfenbeins. Sie liegt ventral des Processus mastoideus und umgibt den Meatus acusticus externus. Der Processus styloideus liegt an der Pars petrosa des Os temporale und beschreibt einen griffelförmigen Knochenfortsatz. Ein Teil von ihm geht in das Ligamentum stylohyoideum und das Ligamentum stylomandibulare über. Außerdem dient er als Ursprung für verschiedene Muskeln.
Das Jochbein bildet die laterale Begrenzung der Augenhöhle (Orbita). Seine Facies lateralis lässt sich als Wangenknochen im Gesicht ertasten. Weiterhin dient der Knochen als Ursprung für diverse Muskeln. Es artikuliert zudem beispielsweise mit der Maxilla und dem Processus zygomaticus des Os temporale, mit dem er auch den Jochbogen bildet.
Nasenregion
Die Nasenregion ist vergleichsweise umfangreich. Zu ihr zählen das Tränenbein, Nasenbein, Pflugscharbein, Siebbein, Keilbein und die untere Nasenmuschel. Das Tränenbein (Os lacrimale) ist der kleinste und zerbrechlichste Knochen, welche an der medialen Wand der Orbita liegt. An seiner Facies lateralis findet sich die Fossa lacrimalis, wo der Tränensack liegt. Seine Facies medialis gestaltet den mittleren Nasengang mit und artikuliert mit dem Siebbein. Weitere Verbindungen bestehen zur Maxilla und der unteren Nasenmuschel.
Das Nasenbein (Os nasale) bildet den vorderen Teil des Nasendachs und präsentiert sich länglich und paarig. Er führt den Nervus nasociliaris und steht mit dem Os frontale sowie der Maxilla in Verbindung. Der Vomer (Pflugscharbein) bilden den größten Teil des knöchernen Nasenseptums. Er liegt in der Medianebene in der Nasenhöhle.
Zu der Nasenregion zählt ebenfalls das Os ethmoidale (Siebbein), allerdings nicht die Lamina cribrosa. Der Knochen ist von außen nicht sichtbar und befindet sich im Bereich der Schädelbasis und des Nasendachs. Mit dieser Lage ist er an der Bildung der Orbita, der Nasenhöhle und der Schädelhöhle beteiligt. Neben der Lamina cribrosa besteht er aus der Lamina perpendicularis, die einen Teil des Nasenseptums bildet, und den paarigen Labyrinth mit den Siebbeinzellen.
Das Os sphenoidale (Keilbein) gehört nur mit seinem Processus pterygoideus zum Gesichtsschädel, der Rest zählt zum Neurocranium. Dieser entspringt beidseits an der Verbindung der Keilbeinkörper und ragt wie ein Pendel nach kaudal. Er bildet unter anderem die hintere Wand der Fossa pterygopalatina mit dem Canalis pterygoideus.
Die unterste der drei Nasenmuscheln (Concha nasalis inferior) ist mit Nasenschleimhaut überzogen und geht eigenständig von der Nasenwand heraus. Anschließend ragt sie in die Nasenhöhle hinein. Funktionell dienen die Nasenmuscheln der Vergrößerung der Schleimhautoberfläche und beeinflussen die Luftdurchlässigkeit der Nase.
Kieferregion
Der Oberkiefer (Maxilla) und der Unterkiefer (Mandibula) bilden die Kieferregion. Bei der Maxilla handelt es sich um den paarigen Oberkieferknochen, welcher durch die Kiefergelenke mit dem Unterkiefer in Verbindung steht. Er beteiligt sich an der Wandbildung vom Dach der Mundhöhle, dem Boden und der Seitenwand der Nasenhöhle und dem Boden der Orbita. Nach der Mandibula ist die Maxilla der größte Knochen des Gesichtsschädels.
Die Mandibula bildet u-förmig den Unterkiefer und ist der einzige bewegliche Knochen des Schädels. Außerdem ist sie der größte und stärkste aller Gesichtsschädelknochen. Die Beweglichkeit ist essentiell für die Kaubewegung und damit die Nahrungsaufnahme.
Mundregion
Die Mundregion besteht aus dem Gaumenbein (Os palatinum) und – laut einigen Autoren – dem Zungenbein (Os hyoideum). Gemeinsam mit der Maxilla grenzt das Os palatinum die Mundhöhle von der Nasenhöhle ab. Weiterhin stützt es einen Teil des harten Gaumens.
Das Os hyoideum liegt hufeisenförmig auf Höhe des dritten oder vierten Halswirbels. Es steht nur mittels Muskeln und Bändern mit dem Schädel in Verbindung und dient vor allem als Ursprung und Ansatz für die supra- und infrahyale Muskulatur sowie Teile der Rachen- und äußeren Zungenmuskulatur.
Einteilung nach Klinik
Für eine klinische Einteilung sind die Regionen nach Buitrago-Téllez relevant. Dabei unterscheidet man vier vertikale Kompartimente: lateral rechts und lateral links, sowie zentral rechts und zentral links.
Horizontal differenziert man drei Ebenen. Die kraniobasale Einheit umfasst die Anteile des Os frontale und des Os temporale am Schädeldach und die Strukturen des Sinus frontalis, sowie der Fronto- und Laterobasis. Die zweite Ebene beschreibt die kraniale Einheit des Mittelgesichts über der Le-Fort-I-Ebene. Sie zieht dorsal bis zum Beginn des Os zygomaticum, kranial bis zu der Sutura zygomaticofrontalis und seitlich an der lateralen Oribtawand entlang. Die dritte Ebene umfasst die kaudale Einheit unterhalb der Le-Fort-I-Ebene. Dazu gehört der harte Gaumen und die Alveolarfortsätze des Oberkiefers.
Le Fort Frakturtypen
Mittelgesichtsfrakturen werden im klinischen Alltag nach Le Fort eingeteilt, einem französischen Chirurgen, welcher 1901 Oberkieferfrakturen klassifizierte. Le Fort I beschreibt einen horizontalen Oberkieferbruch mit basaler Absprengung der Maxilla. Le Fort II ist ein pyramidenförmiger Bruch, bei dem die Maxilla mit der knöchernen Nase abgesprengt ist. Le Fort III beschreibt eienn transversalen Oberkeiferbruch, bei dem das gesamte Mittelgesicht abgesprengt ist und die Fraktur durch das Os ethmoidale zieht.
Einteilung nach Biomechanik
Für die Gesichtsstruktur kann man unter biomechanischen Aspekten wichtige Gesichtspfeiler differenzieren. Dazu zählt neben dem Stirn-Nasen-Pfeiler und dem pterygomaxillären Pfeiler der Jochbeinpfeiler.
Gesichtsschädel (Viscerocranium) – Klinik
Schläge und Aufprälle im Gesicht führen oft zu Frakturen am Gesichtsschädel. Möglich sind Nasenfrakturen, Mittelgesichtsfrakturen und Unterkieferfrakturen.
Nasenfrakturen sind die häufigsten Verletzungen im Mittelgesicht und werden meist durch stumpfe Gewalteinwirkungen von frontal oder lateral verursacht. Eher selten liegt eine Nasenbeinfraktur vor, bei dem das Os nasale isoliert gebrochen ist. Häufiger ist die Nasengerüstfraktur, bei der neben dem Os nasale die Processus frontales der Maxilla geschädigt sind. Die Septumfraktur der Nasenscheidewand stellt eine häufige Begleitverletzung dar. Typischerweise präsentieren sich Patienten mit Nasenbluten, Schwellungen und Schmerzen sowie Deformationen im Nasenbereich. Mit der Therapie wird eine Wiederherstellung der Ästhetik und die freie Nasenatmung versucht. Eine Komplikation des Bruchs ist das Septumhämatom, welches operativ entlastet werden muss.
Die Mittelgesichtsfrakturen werden nach Le Fort eingeteilt und beschreiben Frakturen der Maxilla und den umliegenden Strukturen. Ein Bruch muss in der Regel operativ behandelt werden. Jochbein- und Jochbogenfrakturen zählen zu den lateralen Mittelgesichtsfrakturen. Sie geschehen häufig bei Sport- oder Autounfällen. Symptomatisch ist eine Kieferklemme oder Kiefersperre möglich, aber auch ein Sensibilitätsausfall und eine Augenbeteiligung. Dann zeigt sich zum Beispiel ein Monokelhämatom. Die Therapie kann konservativ oder operativ erfolgen.
Die Unterkieferfrakturen zählen zu den häufigsten Frakturen des Viscerocraniums. Je nach Lokalisation unterscheidet man verschiedene Typen, zum Beispiel die Korpusfraktur des Corpus mandibulare. Die Klassifikation kann als AO-Klassifikation oder bei den Gelenkfortsatzfrakturen nach Spiessl und Schroll erfolgen.
Fehlbildungen des Gesichtsschädels
Es existieren verschiedene Fehlbildungen und Syndrome des Gesichtsschädels, welche meistens angeboren sind. Das Franceschetti Syndrom kennzeichnet sich durch die Fehlbildung des Kiefers, des Ohres und des Mittelgesichts. Das Syndrom bringt einige Probleme mit sich. Direkt nach Geburt verlagert die reklinierte Zunge (Glossoptose) die Atemwege, wodurch der Atemweg mit einer Gaumenplatte gesichert werden muss. Außerdem sind die Jochbeine nicht angelegt, weshalb eine Rekonstruktion ab dem 2. Lebensjahr erfolgt. Des Weiteren ist der aufsteigende Unterkieferast unterentwickelt, die Nase länger und schief und es bestehen Ohrmuscheldeformitäten. Das Hörvermögen ist meist zusätzlich eingeschränkt.
Beim Goldenhar Syndrom zeigt sich eine ausgeprägte Gesichtsasymmetrie, während beim Binder Syndrom die Nase und der Oberkiefer isoliert unterentwickelt sind. Beim Gardner Syndrom treten Adenome im Dickdarm und Osteome im Gesichtsschädel auf. Die Fibröse Dysplasie beschreibt eine Knochenerkrankung, bei der der Knochen uneingeschränkt wächst. Die Ankylose der Kiefergelenke beschreibt die Versteigung der Kiefergelenke teilweise oder vollständig. Das kann sich soweit ausbreiten, dass keine Mundöffnung mehr möglich ist.
Für viele dieser Syndrome gibt es chirurgische Therapiemöglichkeiten, die über die Jahre der kindlichen Entwicklung vollzogen werden.
- Schünke, M et. al., Prometheus LernAtlas der Anatomie (Hals-, Kopf- und Neuroanatomie), 5. Auflage, Thieme
- Schädel, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 24.10.2024)
- Gesichts- und Felsenbeinfrakturen, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 24.10.2024)
- Unterkieferfraktur, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 24.10.2024)