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Inhaltsverzeichnis
Essstörungen sind psychische Erkrankungen, die das Essverhalten, das Körperbild und die gesamte Gesundheit stark beeinflussen. Menschen, die unter einer Essstörung leiden, beschäftigen sich oft zwanghaft mit ihrer Nahrung. Einige plagen auch Schuldgefühle nach dem Essen. So wird das ohnehin hoch emotionale Thema “Ernährung” zur Belastung. Mehr zu den Symptomen verschiedener Essstörungen, aber auch zu Therapie und Hilfe im Artikel.
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Was sind Essstörungen?
Essstörungen sind Teil der psychiatrischen Erkrankungen. Sie charakterisieren sich typischerweise durch eine verzerrte Sichtweise auf die eigene Person und das Körperbild. Sie führen zu einem gestörten Essverhalten und häufig zu sekundären (darauffolgenden) somatischen Veränderungen. Geläufig sind beispielsweise eine starke Gewichtsabnahme oder -zunahme.
Die bedeutendsten Essstörungen sind Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, beide mit einer Morbidität von einem bis drei Prozent in der weiblichen und 0,1 (Anorexie) bis 0,3 (Bulimie) Prozent in der männlichen Bevölkerung. Sie beginnen häufig in der (späten) Adoleszenz, also zwischen der 1. und 3. Lebensdekade. Generell nahmen die Meldungen von Fällen aller Essstörungen in den letzten Jahren immer weiter zu, ob die Inzidenz aber wirklich gestiegen ist, bleibt aufgrund der verbesserten und standardisierten Diagnostik unklar.
Zur Einordnung ist die sozialmedizinisch bedeutsamste Störung des Essverhaltens – die Adipositas – zu nennen. Man schätzt, dass etwa ein Viertel der Erwachsenen von starkem Übergewicht (BMI vom 30 kg/m2 oder höher) betroffen sind. Obwohl Gedanken- und Verhaltensmuster bei einem großen Teil der Fälle ähnlich sind, gilt diese aber nicht als (primäre) psychische Störung.
Essstörungen – Arten und Symptome
Nach DSM-5 (aktuelles diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) lassen sich folgende fünf Essstörungen anhand diagnostischer Kriterien unterschieden: Pica, Ruminationsstörung, Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme (alle drei hauptsächlich im Kindesalter vorkommend) sowie Anorexia nervosa (AN), Bulimia nervosa (BN) und Binge-Eating-Störung (BES). Wie die meisten psychiatrischen Erkrankungen können diese aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein und auch als Mischform vorkommen. Die folgenden Absätze behandeln die bekanntesten Essstörungen.
Magersucht (Anorexia nervosa)
„Anorexie“ heißt eigentlich so viel wie „Appetitverlust“ – ein irreführender Begriff, der eigentlich auf ein gestörtes Körperbild hinweist, aufgrund dessen die Nahrungseinnahme reduziert wird oder andere Maßnahmen zur Gewichtsreduktion herangezogen werden. Dabei kann es sich beispielsweise um exzessiven Sport oder herbeigeführtes Erbrechen handeln. Generell ist die Magersucht definiert nach der Weigerung das altersentsprechende minimale Normalgewicht (BMI unter 17,5 kg/m2) zu halten, der Angst vor Gewichtszunahme und der gestörten Wahrnehmung der eigenen Figur.
Anorexia athletica
Als Anorexia athletica bezeichnet man die Störung bei (Leistungs-)Sportlern, das eigene Essverhalten so zu manipulieren, dass das Körpergewicht bis zum Untergewicht verändert wird. Bislang zählt man diese und weitere (Adipositas athletica, Muskeldysmorphie und Orthorexie) nicht gesondert als Essstörung. Auch, weil sie von normalen Verhaltensweisen im Sport – vor allem bei Leanness Sportarten – schwer abzugrenzen sind. Ein mögliches Maß zur Risikoabschätzung ist dabei die „Female Athlete Triade“, die die wechselseitigen Beziehungen von Energieverfügbarkeit, Menstruationsstatus und Knochengesundheit abschätzt und berücksichtigt. Ihre klinischen Endpunkte können unter anderem Amenorrhö (verminderte oder ausbleibende Menstruation), geringe Energieverfügbarkeit oder Osteoporose mit Stress-Knochenbrüchen sein.
Das DSM unterscheidet den restriktiven Subtyp (ohne Essanfälle oder andere Maßnahmen der Gewichtsreduktion) und den Binge-Eating oder Purging-Typ. Bei Letzterem treten während der Anorexia-Phase auch regelmäßig Essanfälle oder Purging-Verhaltensweisen (weitere Gewichtsreduktion durch Erbrechen, Laxantien- oder Diuretika-Missbrauch) auf. Nach ICD-10 (aktuelle internationale Klassifikation von Erkrankungen) wird außerdem zwischen „klassischer“ und „atypischer“ Anorexia nervosa unterschieden, wobei letztere nur einige Symptome der Magersucht mit sich bringt. Patienten mit letzterer Erkrankung können beispielsweise normalgewichtig sein oder Symptome anderer Essstörungen aufweisen.
Magersucht und Übergewicht – Wie soll das denn gehen?
Atypische Formen von Essstörungen wie Magersucht können besonders gefährlich werden, weil sie häufig nicht erkannt werden. Besonders bei Übergewichtigen ist dies ein Problem. Tritt eine Form Anorexie bei ihnen auf, wird diese nicht selten übersehen, mit anderen Diagnosen verwechselt und generell vorsichtiger die Diagnose gestellt. Erst kürzlich (am 13. Januar 2025) veröffentlichte eine Arbeitsgruppe um Natalia Garcia Moreno im Journal „Eating Disorders“ die Ergebnisse einer Studie zu dieser Stigmatisierung unter medizinischen Fachkräften.
Umso wichtiger ist es, in den therapeutischen Berufen genau auf den psychischen Zustand zu achten und vorurteilsfrei mit Symptomen umzugehen. Denn Mangelernährung und mögliche Folgeerkrankungen des Herz-Kreislauf- oder Nervensystems, des Hormonhaushalts sowie des Bewegungsapparats können auch bei Übergewichtigen auftreten!
Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)
Die Bulimia nervosa – auch als Hyperorexia nervosa oder Ess-Brech-Sucht bekannt – ist eine Erkrankung, die durch Anfälle übermäßigen Essens durch „Heißhungerattacken“ und anschließendem (selbst herbeigeführtem) Erbrechen gekennzeichnet ist. Während in den anfallsartigen Heißhungerattacken alles gegessen wird, was man findet (“Empty fridge Phänomen”), beschreiben Betroffene im Nachhinein häufig ein schlechtes Gewissen oder Angstzustände vor der Gewichtszunahme. Infolge dessen versuchen sie, die Kalorien durch Erbrechen wieder „loszuwerden“.
Klinisch gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen Bulimie und Anorexie (vor allem vom Purging-Typ), weswegen die Unterscheidung der beiden Essstörungen manchmal schwierig sein kann. Menschen mit Bulimia nervosa weisen häufig ein Körpergewicht im Normalbereich auf, können aber gleiche organische Folgestörungen haben. Außerdem treten Karies, Parotis-Schwellung sowie Verhärtungen an den Fingern und Handrücken vermehrt auf.
Binge-Eating-Störung (BES)
Die Binge-Eating-Störung ist gekennzeichnet durch wiederholte Essanfälle ohne anschließende Gegenmaßnahmen. Betroffene erleben Kontrollverlust, essen große Mengen schnell und heimlich, oft aus emotionalen Gründen. Sie ist besonders verbreitet bei Leuten mit Übergewicht, kommt aber vereinzelnd auch im Normbereich des BMI vor. Auch dabei kann das Gefühl von Ekel oder Schuld nach dem Essen aufkommen, dieses wird aber nicht durch andere Maßnahmen kompensiert. Fast die Hälfte der Betroffenen sind männlich, deutlich mehr als bei anderen Essstörungen.
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Pica-Syndrom
Das Pica-Syndrom (oder „Pica“) ist definiert durch den Konsum nicht-essbarer Substanzen, der mindestens einen Monat anhält (nach ICD-10 und DSM-5). Es tritt häufig im (Klein-)Kindesalter auf, kann aber auch noch im Erwachsenenalter vorkommen. Treten andere psychische Störungen (außer Intelligenzminderung) auf, ist die Diagnose restriktiv zu stellen, da sie sich in einigen Fällen mit Pica überschneiden können. Dazu zählen:
- Kleine-Levin-Syndrom
- schizophrene Störungen
- Hyperphagie
- Persönlichkeitsstörung/Münchhausen-Syndrom/vorgetäuschte Störung/Selbstverletzung: Schlucken von Substanzen, die bestimmt Symptome auslösen
Ob und wie (verhaltenstherapeutisch, medikamentös etc.) therapiert wird, hängt stark vom Einzelfall ab. Manchmal kann es aber auch zu chirurgischer Indikation kommen, wenn die unverdaulichen Substanzen einen Darmverschluss hervorrufen oder gefährliche Substanzen konsumiert werden.
Orthorexia nervosa
Wer auf gesunde Ernährung achtet, ist gesund – oder? Nicht immer. Die Orthorexia nervosa bezeichnet den krankhaften Fokus auf gesunde Ernährung. Noch ist keine Klassifikation der Erkrankung bestimmt – geschweige denn entschieden, ob es sich um eine Erkrankung handelt. Mit der Orthorexie geht häufig die Angst einher, durch ungesunde Ernährung krank zu werden. Die Abgrenzung zu einem aufwendigen Lebensstil ist jedoch schwierig.
Esssucht
Esssucht ist eine zwanghafte Störung, bei der Betroffene unkontrolliert essen, oft aus emotionalen Gründen, trotz negativer Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden. Sie ähnelt anderen Suchterkrankungen, und kann mit Binge-Eating, ständigem Essen oder Night-Eating (Essanfällen in der Nacht) einhergehen. Häufig (aber nicht immer) liegt zusätzlich eine Adipositas vor. Weder in ICD-10 noch in DSM-5 besteht aktuell eine Klassifikation.
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Essstörungen – Ursache
Die Ursachen für Essstörungen können vielfältig sein. Zum einen wurden für Anorexie und Bulimie gleichermaßen genetische Effekte nachgewiesen. Ob sie auch mit organischen Störungen einhergehen, ist nicht vollends geklärt. Neben diesen intrinsischen Faktoren können auch äußerliche Variablen die Entwicklung von Essstörungen beeinflussen: soziale Erwartungen, das familiäre Umfeld, Kindheitserfahrungen oder Beziehungsstörungen können das eigene Körperbild bis zum krankhaften verändern. Häufig lernen junge Menschen die Verknüpfung von Körpergewicht und Selbstwertgefühl.
Soziale Medien und das Körperbild
Besonders junge Menschen sind vulnerabel für extrinsische Faktoren, so auch beispielsweise den Einfluss durch soziale Medien, in denen unrealistische Körperbilder vermittelt werden und Algorithmen, die Nutzende an eine immer extremere Visualisierung bestimmter Körperbilder heranführen. Das gilt für besonders niedriges Körpergewicht, es wurden aber beispielsweise auch bereits Zusammenhänge zwischen neueren Trends, wie Mukbang Video Konsum (Darstellung von Personen, die große Mengen Essen zu sich nehmen) und Symptomen von Essstörungen untersucht.
Essstörungen – Therapie
Die Therapie von Essstörungen basiert meist auf einer Mischung aus Psychotherapie und Antidepressiva, da die Wirkung beider Therapieformen in Kombination deutlich besser als die jeweilig alleinige Therapie zu sein scheint. Die Psychotherapie steht dabei vor der Herausforderung, die gestörte Selbstwahrnehmung zu verbessern. Gleichzeitig finden sich Ängste, beispielsweise vor Gewichtszunahme. Zur Standardtherapie gehört ein Behandlungsvertrag, in dem sich beispielsweise auf eine bestimmte Gewichtszunahme geeinigt wird.
Das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Therapeuten- und Patientenseite ist dafür unverzichtbar. Gleichzeitig wird mit der Familie (vor allem bei Minderjährigen) und dem soziotherapeutischen Umfeld (die Alltagsumgebung, Bildungseinrichtung, Betreuungspersonen und ähnliche) so gearbeitet, dass ein Rückfall möglichst unwahrscheinlich wird. Insgesamt arbeitet man an Essstörungen häufig mit Verhaltenstherapie.
Hilfe finden
Weltweit stirbt etwa alle 52 Minuten eine Person an den Folgen einer Essstörung (allein 58 Todesfälle in Deutschland im Jahr 2022). Umso wichtiger ist es, gesellschaftlich Abstand von Stigmatisierung von Körperbildern oder psychiatrischem Hilfeanspruch zu nehmen. Wer bei sich selbst Symptome einer Essstörung feststellt, sollte sich nicht scheuen, professionelle Hilfe zu ersuchen – das muss nicht direkt über psychiatrische oder psychotherapeutische Praxen gehen, sondern kann im ersten Schritt im hausärztlichen Umfeld stattfinden.
Darüber hinaus gibt es einige Anlaufstellen für Informationen und Hilfe für Menschen mit gestörtem Essverhalten oder anderweitiger psychischer Belastung:
- ANAD e.V. – Beratung & Therapie: www.anad.de
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – Info & Hilfe: www.bzga-essstoerungen.de
- Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) – Fachinformationen: www.dgess.de
- Telefonseelsorge – 0800 111 0111 (kostenfrei, anonym, 24/7)
Wer das Gefühl hat, akut Hilfe zu brauchen, sollte diese auch unbedingt aufsuchen! In vielen größeren Städten gibt es psychiatrische Notaufnahmen, zu denen man in schwierigen Situationen gehen kann.
Passende Therapie-Jobs
Wer auf der Suche nach Jobs ist, die sich mit der Therapie von Menschen mit Essstörungen und anderen psychischen und physischen Erkrankungen befassen, findet bei Medi-Karriere zahlreiche Stellenanzeigen als Psychologe, Psychotherapeuten-Jobs und weitere Stellenanzeigen in der Therapie.
Häufige Fragen
- Welche Formen von Essstörungen gibt es?
- Wann muss man in eine Klinik für Essstörungen?
- Welche Essstörungen gibt es in ICD-10?
- Was sind Psychogene Essstörungen?
Zu den häufigsten Essstörungen gehören Anorexia nervosa (Magersucht), bei der Betroffene extreme Angst vor Gewichtszunahme haben und stark untergewichtig sind, sowie Bulimia nervosa (Bulimie), die durch Essanfälle mit anschließendem Erbrechen oder anderen kompensatorischen Maßnahmen gekennzeichnet ist. Eine weitere verbreitete Form ist die Binge-Eating-Störung, bei der wiederholte Essanfälle ohne Gegenmaßnahmen auftreten, oft begleitet von Scham und Kontrollverlust. Zudem gibt es weitere atypische Essstörungen wie das Pica-Syndrom (Verzehr nicht-nahrhafter Substanzen) oder die Orthorexie (zwanghafte Fixierung auf gesunde Ernährung, keine offizielle Erkrankung).
Eine Klinik für Essstörungen ist notwendig, wenn die körperliche oder psychische Gesundheit stark gefährdet ist, etwa durch extremes Untergewicht, Mangelernährung oder ernsthafte Begleiterkrankungen. Auch bei schweren Essanfällen, Kontrollverlust oder Suizidgedanken kann eine stationäre Behandlung helfen. Die Entscheidung sollte mit Ärzten oder Therapeuten getroffen werden, wenn ambulante Hilfe nicht ausreicht.
In der ICD-10 sind Essstörungen unter F50 klassifiziert, darunter Anorexia nervosa (F50.0) mit extremem Untergewicht und Bulimia nervosa (F50.2) mit Essanfällen und kompensatorischem Verhalten. Zudem gibt es atypische Formen (F50.1, F50.3) sowie unspezifische Essstörungen (F50.8, F50.9). Die Binge-Eating-Störung ist in der ICD-10 nicht eigenständig aufgeführt, wurde aber in der ICD-11 ergänzt.
Psychogene Essstörungen sind psychisch bedingte Essstörungen, die durch emotionale oder seelische Belastungen ausgelöst oder verstärkt werden. Betroffene nutzen das Essverhalten unbewusst zur Emotionsregulation, was langfristig zu körperlichen und psychischen Schäden führen kann.
- S3-Leitlinie der Diagnostik und Behandlung der Essstörung,https://register.awmf.org/... (Abrufdatum 02.02.2025)
- Ash et al., Associations between mukbang viewing and disordered eating behaviors, erschien in: International Journal of Eating Disorders, 2023
- Ewers Set al., Sportpsychiatrie und -psychotherapie – gestörtes Essverhalten und Essstörungen im Leistungssport, erschien in: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Ausgabe 68, 2017
- Galmiche et al., Prevalence of eating disorders over the 2000–2018 period: a systematic literature review, erschien in: The American Journal of Clinical Nutrition, Ausgabe 109, 2019
- Jaruga-Sękowska et al., The Impact of Social Media on Eating Disorder Risk and Self-Esteem Among Adolescents and Young Adults: A Psychosocial Analysis in Individuals Aged 16-25, erschien in: Nutrients, 2025
- Moreno et al.,Weight Stigma’s Effects on Misdiagnosis of Eating Disorders Among Laypeople and Healthcare Professionals, erschien in: International Journal of Eating Disorders, 2025
- Richard et al., EATING DISORDERS IN ADOLESCENTS AND YOUNG ADULTS, erschien in: Medical Clinics of North America, Ausgabe 84, 2000
- Falkai et al., Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Thieme (Verlag), 7. Auflage, 2021
- Payk et al., Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme (Verlag), 8. Auflage, 2021