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Orthostase bezeichnet die aufrechte Körperhaltung im Stehen und die dabei ablaufenden Kreislaufanpassungen. Um den Blutdruck aufrechtzuerhalten und eine ausreichende Organperfusion zu sichern, greifen verschiedene Regulationsmechanismen ineinander. Eine gestörte Orthostase-Regulation kann zu Symptomen wie Schwindel oder Ohnmacht führen. Der folgende Artikel erläutert die anatomischen Grundlagen, die physiologischen Prozesse sowie klinische Aspekte der Orthostase.
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Orthostase – Definition
Der Begriff Orthostase leitet sich aus dem Griechischen ab („orthós“ = aufrecht, „stásis“ = Stand) und beschreibt die aufrechte Körperhaltung im Stehen. Physiologisch umfasst der Begriff die mit dem Lagewechsel verbundenen Kreislaufanpassungen, die eine stabile Durchblutung des Gehirns und anderer Organe gewährleisten. Bleibt diese Regulation aus oder ist sie gestört, kann es zu Symptomen wie Schwindel oder Kollaps kommen.
Die orthostatische Reaktion bezeichnet die spezifische physiologische Anpassung des Kreislaufs an den Wechsel vom Liegen in den Stand beschreibt. Ziel der Reaktion ist die Aufrechterhaltung eines stabilen Blutdrucks.
Orthostase – Anatomische Grundlagen
Mehrere Organsysteme tragen zur Stabilisierung der Orthostase bei, indem sie eine ausreichende Durchblutung aller Gewebe sicherstellen und den Blutdruck regulieren.
Das Herz-Kreislaufsystem sorgt für die kontinuierliche Blutzirkulation, wobei Arterien und Venen den Blutfluss regulieren. Beim Übergang in die aufrechte Haltung verschiebt sich ein Teil des Blutvolumens in die unteren Körperregionen, insbesondere in die Beinvenen. Ohne Gegenregulation würde dies zu einem vorübergehenden Abfall des venösen Rückstroms und damit des Herzzeitvolumens führen.
Die Steuerung der Kreislaufreaktionen erfolgt über das autonome Nervensystem. Der Sympathikus erhöht bei Bedarf den Gefäßtonus und die Herzfrequenz, um den Blutdruck aufrechtzuerhalten, während der Parasympathikus in Ruhephasen eine Senkung der Herzfrequenz bewirkt.
Eine zentrale Rolle spielt zudem das Barorezeptorensystem. Barorezeptoren in der Halsschlagader (Karotissinus) und im Aortenbogen registrieren kurzfristige Blutdruckschwankungen. Ein Blutdruckabfall bei Orthostase aktiviert reflektorisch den Sympathikus. Dadurch kommt es zur Freisetzung von Noradrenalin, was eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße und eine Erhöhung der Herzfrequenz bewirkt.
Die Muskelpumpe unterstützt den venösen Rückfluss, indem sie durch Kontraktion der Beinmuskulatur die Venen komprimiert und das Blut in Richtung Herz transportiert. Zusätzlich verhindern venöse Klappen einen Rückfluss des Blutes und reduzieren so die Blutansammlung in den abhängigen Körperregionen.
Orthostase – Physiologie
Sobald der Körper in die aufrechte Position wechselt, sinkt das zentrale Blutvolumen, da etwa 500 bis 800 Milliliter Blut in die Bein- und Beckenvenen verlagert werden. Dadurch verringert sich das Schlagvolumen des Herzens, was zu einem vorübergehenden Abfall des systolischen Blutdrucks um bis zu 20 mmHg führen kann. Der diastolische Blutdruck bleibt weitgehend stabil oder steigt leicht an, um den mittleren arteriellen Druck zu erhalten.
Kreislaufkompensation
Um diesen Blutdruckabfall auszugleichen, werden innerhalb von Sekunden reflektorische Anpassungsprozesse aktiviert:
- Barorezeptor-Reflex: Die Barorezeptoren registrieren den sinkenden Blutdruck und senden daraufhin weniger Signale an das Kreislaufzentrum im Hirnstamm. Das aktiviert den Sympathikus.
- Sympathische Reaktion: Die Freisetzung von Noradrenalin bewirkt eine Vasokonstriktion in den peripheren Arterien, wodurch der Blutdruck stabilisiert wird. Gleichzeitig steigt die Herzfrequenz um etwa 10 bis 20 Schläge pro Minute, um das reduzierte Schlagvolumen zu kompensieren.
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)
Bei anhaltender Orthostase nimmt die Durchblutung der Nieren vorübergehend ab. Das stimuliert die Freisetzung von Renin, was die Kaskade des RAAS auslöst. Renin katalysiert die Bildung von Angiotensin I, das durch das Angiotensin-Converting-Enzym (ACE) in Angiotensin II umgewandelt wird. Angiotensin II bewirkt eine Vasokonstriktion und trägt so zur Blutdruckstabilisierung bei. Gleichzeitig kommt es zur Stimulation der Aldosteron-Ausschüttung, welche zu einer vermehrten Natrium- und daraus folgend Wasserretention in der Niere führt, um das Blutvolumen langfristig zu erhalten
Mechanische Unterstützung des venösen Rückflusses
Zusätzlich zu den neuronalen und hormonellen Reaktionen spielt die Muskelpumpe eine zentrale Rolle. Die Kontraktion der Beinmuskulatur komprimiert die Venen und treibt das Blut zurück zum Herzen. Die Atmungspumpe verstärkt diesen Effekt. Die Inspiration senkt den intrathorakalen Druck und erleichtert den Blutrückfluss in die großen thorakalen Venen.
Durch das Zusammenspiel dieser Mechanismen bleibt der Blutdruck im Stehen weitgehend konstant, was eine ausreichende Durchblutung des Gehirns und anderer Organe sicherstellt.
Orthostase – Klinische Bedeutung
Die orthostatische Regulation hängt von verschiedenen Faktoren wie Alter, körperlicher Fitness und Hydratationsstatus ab. Während gesunde Menschen den Wechsel in die aufrechte Haltung problemlos kompensieren, kann eine gestörte Anpassung zu Schwindel, Benommenheit oder kurzzeitiger Bewusstlosigkeit führen. Besonders zwei Krankheitsbilder sind klinisch relevant: die orthostatische Hypotonie und das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS).
Altersabhängigkeit der Regulation
Mit zunehmendem Alter nimmt die Effektivität der Kreislaufanpassung ab, was das Risiko für eine orthostatische Hypotonie erhöht. Ursache ist eine reduzierte Barorezeptor-Sensitivität, eine verminderte sympathische Gegenregulation und eine altersbedingte Abnahme des intravaskulären Flüssigkeitsvolumens. Besonders ältere Menschen mit Multimedikation oder Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus sind anfälliger für orthostatische Dysregulationen.
Orthostatische Hypotonie
Von einer orthostatischen Hypotonie spricht man, wenn der systolische Blutdruck nach dem Aufstehen innerhalb von drei Minuten um mindestens 20 mmHg oder der diastolische Blutdruck um mindestens 10 mmHg absinkt. Ein häufiger Grund ist ein Volumenmangel, der durch Dehydratation, Blutverlust oder eine gestörte Salzregulation entsteht. Auch Medikamente wie Antihypertensiva, Diuretika oder Psychopharmaka können die Kreislaufanpassung beeinträchtigen. Eine weitere Ursache sind autonome Dysfunktionen, wie sie bei Morbus Parkinson oder einer diabetischen Neuropathie vorkommen.
Betroffene berichten oft über Schwindel, Sehstörungen oder ein Schwarzwerden vor den Augen. In schweren Fällen kann es zu einer Synkope kommen. Zur Diagnostik werden der Schellong-Test (aktive Orthostase) oder eine Kipptischuntersuchung (passive Orthostase) eingesetzt, bei denen die Kreislaufreaktionen beim Wechsel in den Stand überprüft werden. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache. Eine erhöhte Flüssigkeits- und Salzaufnahme sowie das Tragen von Kompressionsstrümpfen können die Beschwerden lindern. In schweren Fällen kommen Medikamente wie Fludrocortison oder Midodrin zum Einsatz, um den Blutdruck zu stabilisieren.
Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)
Beim posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) kommt es nach dem Aufstehen innerhalb von zehn Minuten zu einer übermäßigen Steigerung der Herzfrequenz um mehr als 30 Schläge pro Minute bei Erwachsenen und mehr als 40 Schläge pro Minute bei Jugendlichen, ohne dass der Blutdruck relevant abfällt. Die genaue Ursache ist nicht vollständig geklärt, aber es wird eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems vermutet. Häufig tritt POTS bei jungen Menschen auf, insbesondere bei Frauen, und kann mit chronischer Erschöpfung, Schlafstörungen oder gastrointestinalen Beschwerden einhergehen.
Die Behandlung umfasst nicht-medikamentöse Maßnahmen wie eine erhöhte Flüssigkeits- und Salzaufnahme sowie regelmäßiges Ausdauertraining, um die Kreislaufregulation zu verbessern. In schweren Fällen können Medikamente wie Beta-Blocker (bei hyperadrenergen POTS-Formen) oder Ivabradin (zur gezielten Reduktion der Sinusknotenaktivität) helfen, die Herzfrequenz zu kontrollieren. Obwohl POTS die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann, lassen sich die Symptome durch eine gezielte Therapie oft gut kontrollieren.
- Pape, H. C. et. al., Physiologie (Thieme, 10. Auflage, 2023)
- Kreislaufregulation, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 02.03.2025)
- Synkope, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 02.03.2025)
- Freeman, R. et. al., Consensus statement on the definition of orthostatic hypotension, neurally mediated syncope and the postural tachycardia syndrome, https://doi.org/... , (Abrufdatum: 02.03.2025)