In Deutschland fehlen mehr als 30.000 Kräfte in der Alten- und Krankenpflege. Der Pflegenotstand ist jedoch nicht ausschließlich ein quantitatives, sondern ebenso ein qualitatives Problem. Denn es herrscht ein akutes Akademiker-Defizit im Pflegebereich. Auch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland weit hinterher.
Akademiker in der Pflege – in Deutschland eine Ausnahme
Studierte Pflegekräfte in Deutschland stellen die Ausnahme dar. Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Grünen-Anfrage im Sommer dieses Jahres gibt es hierzulande rund 4.000 akademisch ausgebildete Pflegekräfte. Ihr Anteil in der ambulanten Pflege beträgt lediglich 0,34%, in der stationären Pflege 0,45%. In der Schweiz liegt der Anteil dahingegen bei 10%, während in Norwegen 100% der Pflegekräfte studierten.
Außerdem beschäftigt sich nur ein Teil der deutschen Pflege-Akademiker mit körperbezogener Pflege. Der Rest befasst sich mit Pflegedienstleistungen, der Aus- und Weiterbildung oder der Verwaltung im “Back Office”.
Pflegeberufe haben ein Imageproblem
Die geringe Akademisierung ist sicher auch dem schlechten Image des Pflegeberufs geschuldet. Bescheidene Verdienstaussichten und schwierige Arbeitsbedingungen mit überschaubaren Aufstiegschancen werden somit häufig mit dem Beruf verbunden. Demnach wünschen sich wenige ein Studium in diesem Gebiet.
Bedenklich ist überdies, dass bei den nicht akademisch ausgebildeten Pflegekräften eine Qualitätsverschlechterung festzustellen ist. Laut einer aktuellen Prognose-Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ist der Anteil der Fachkräfte in der Langzeitpflege im Zeitraum von 2007 bis 2017 abgeebbt. In der ambulanten Pflege ist der Anteil der Fachkräfte von 59% auf 50% zurückgegangen, in der stationären Pflege von 39% auf 35%.
Es findet folglich eine Deprofessionalisierung statt – das Gegenteil dessen, was angesichts des steigenden Pflegebedarfs eigentlich nötig wäre.
Pflegeberufegesetz mit Rahmenvorgaben für Pflegestudium
Die im Rahmen der Studie befragten Experten sprachen sich für einen ausgewogenen Qualifikations-Mix im Pflegebereich aus. Neben Pflegehelfern mit ein- und zweijähriger Ausbildung sowie Pflegefachkräfte mit dreijähriger Ausbildung solle es zudem akademisch ausgebildete Kräfte mit Bachelor- oder Masterabschluss geben. Immerhin hat die Bundesregierung mit dem Pflegeberufegesetz die rechtlichen Voraussetzungen für eine vereinheitlichte und verbesserte Ausbildung geschaffen.
Die bisher getrennten Ausbildungen in der Alten-, Kinder- und Krankenpflege werden künftig durch eine übergreifende generalistische Ausbildung abgelöst. Ergänzend dazu ist ein berufsqualifizierendes Pflegestudium mit bundesweit einheitlichen Rahmenvorgaben vorgesehen. Das im Jahr 2017 verabschiedete Gesetz tritt Anfang nächsten Jahres in Kraft.
Nichtsdestotrotz ist es bis zu einer ausreichenden Akademisierung des Pflegepersonals noch ein weiter Weg. Nach einer bereits 2012 gegebenen Empfehlung des Deutschen Wissenschaftsrates wird gefordert, dass mindestens 10% des Pflegepersonals an deutschen Kliniken studiert haben sollte. Das würde bedeuten, dass sich der heutige Anteil von deutlich unter einem Prozent verzwanzigfachen müsste. Dieses Ziel wird selbst unter besten Bedingungen nur langfristig zu erreichen sein.
Es ist nicht ausschließlich wichtig, den Anteil der Studierenden pauschal zu erhöhen. Besonders gefordert sind mehr hochqualifizierte Kräfte in der unmittelbaren Pflegetätigkeit, nicht im Hintergrund.
Akademiker in der Pflege senken Sterblichkeit
Fundiertes und umfassenderes Wissen in der praktischen Pflege wirken sich positiv aus. So weist eine neue Analyse nach, dass die Mortalitätsrate in Krankenhäusern mit einem hohen akademischen Pflegekräfte-Anteil signifikant niedriger sei. 10% mehr Studierende sind also mit 7% weniger Sterblichkeit gleichzusetzen.
Dieser Befund ist ein zusätzliches Argument, sich für eine stärkere Akademisierung des Pflegeberufs einzusetzen.