Einige schwerstkranke und alte Patienten entscheiden sich, ihrem Leben per Sterbefasten ein Ende zu setzen. Ärzte und Pflegekräfte stellt diese Entscheidung vor eine moralische Herausforderung. Was genau ist unter dem Begriff Sterbefasten zu verstehen? Wie sieht die Rechtslage aus? Was gibt es bei der Begleitung der Patienten zu beachten?
Was ist Sterbefasten?
Sterbefasten bezeichnet den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Alternativ wird auch die Abkürzung FVNF verwendet. Befürworter sehen in FVNF eine humane Möglichkeit, um selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden.
Einige Betroffene verzichten konsequent auf jegliche Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Andere nehmen etwas Flüssigkeit zu sich, um den starken Durstgefühlen entgegenzuwirken. Einige Patienten stellen auch zunächst nur die Nahrungsaufnahme und erst einige Zeit später das Trinken ein. Je nach gewählter Variante und individuellem Gesundheitszustand dauert der Sterbeprozess beim FVNF zwischen einer Woche und 20 bis 30 Tagen.
Für Deutschland gibt es weder konkrete Zahlen noch Schätzungen, wie viele alte und schwerstkranke Menschen sich für diesen Weg entscheiden. Schätzungen aus den Niederlanden und Belgien gehen davon aus, dass zwischen 0,5 und 2,0 Prozent aller Todesfälle im Jahr auf FVNF zurückzuführen sind. Die Gründe, aus denen sich Patienten für FVNF entscheiden, sind sehr individuell. Eine wissenschaftliche Auswertung von 100 Fallberichten zeigt, dass 40 Prozent der Betroffenen an Krebs erkrankt waren. 32 Prozent litten an einer schweren somatischen Erkrankungen, 28 Prozent entschieden sich aufgrund schwerer Altersleiden wie starker chronischer Schmerzen, Erblindung, Taubheit oder einer Gehbehinderung zur Selbsttötung durch Fasten.
Mehrheit der Ärzte befürwortet begleitetes Sterbefasten
FVNF gilt als nicht revidierbare, sichere Methode für Patienten, die aus dem Leben scheiden möchten. Durch den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit können sie ihr Lebensende bewusst gestalten und sich von ihren Angehörigen verabschieden. Mediziner, die Patienten beim FVNF begleitet haben, weisen jedoch darauf hin, dass es sich um keinen leichten Weg handelt. Während das Hungergefühl bereits nach wenigen Tagen nachlässt, kommt es zu starken Durstgefühlen. Zudem können weitere Komplikationen wie Ängsten, Unruhe und Schlafproblemen auftreten. Eine professionelle palliativmedizinische Begleitung ist daher angeraten. Das Durstgefühl kann beispielsweise durch eine konsequente Mundpflege vermindert werden. Unruhe und Ängste lassen sich durch sedierende Medikamente abmildern.
Einer Befragung der Universität Göttingen aus dem Jahr 2015 zufolge sprechen sich viele Hausärzte und Palliativmediziner für den begleiteten FVNF aus. 62 der befragten Mediziner gaben an, Patienten den vergangenen fünf Jahren beim FVNF begleitet zu haben, 21 Prozent betreuten sogar mehr als fünf Personen. Die Zustimmung war dabei unter Ärzten, die eine medizinische Hilfe zur Selbsttötung befürworten, besonders hoch. Darüber hinaus sprachen sich aber auch viele Ärzten mit palliativmedizinischer Zusatzausbildung für begleiteten FVNF aus.
FVNF: Wie sieht die Gesetzeslage aus?
Das Thema aktive und passive Sterbehilfe wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Die aktive Sterbehilfe oder Tötung auf Verlangen ist in Deutschland laut § 216 Strafgesetzbuch (STGB) verboten und wird mit sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe belangt. Das in § 217 STGB festgeschriebene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung hatte der Bundesverfassungsgerichtshof jedoch im Februar 2020 für verfassungswidrig erklärt. Demnach steht es jedem Menschen frei, seinem Leben mit Hilfe anderer ein Ende zu setzen. Die nicht geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung blieb bereits zuvor strafbar.
Doch handelt es sich bei ärztlich begleitetem FVNF überhaupt um Beihilfe zur Selbsttötung? Laut Einschätzung der Bundesärztekammer ist dem nicht so. Vielmehr handele es sich um eine Sterbebegleitung und damit um eine palliativmedizinische Maßnahme. Es gelten daher auch keine berufsrechtlichen Einschränkungen. Dementgegen würde die Zwangsernährung bei einem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit eine rechtswidrige Körperverletzung darstellen.
Wie sollten Ärzte und Pflegekräfte mit dem Wunsch nach Sterbefasten umgehen?
Während Ärzte und Pflegekräfte in der Regel keine rechtlichen oder berufsrechtlichen Konsequenzen befürchten müssen, wenn sie Sterbende beim FVNF begleiten, treten bei einigen moralische Bedenken auf. Wer im medizinischen Bereich tätig ist, verfolgt zumeist das Ziel, anderen Menschen zu helfen und Leben zu retten. Wenn sich ältere oder schwerstkranke Patienten jedoch aus freien Stücken und unbeeinflusst dazu entscheiden, nicht mehr essen und trinken zu wollen, müssen Ärzte und Pflegende dies respektieren, rät die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Manche Patienten halten diesen Wunsch auch schriftlich fest, etwa in einer Patientenverfügung. Fühlen Pflegekräfte sich zur Sterbebegleitung nicht in der Lage, kann diese eventuell an ein Hospiz oder palliativmedizinisch geschulte Kollegen abgetreten werden.
Äußert ein Patient den Wunsch, sein Leben durch Fasten beenden zu möchten, sollte jedoch zunächst abgeklärt werden, ob diese Entscheidung tatsächlich wohlüberlegt ist und aus eigenem Willen getroffen wird. Bestehen ernste Zweifel an der Urteilsfähigkeit, sollte ermittelt werden, ob der Entscheidung eine psychische Erkrankung wie eine Depression zugrunde liegt. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Betroffene psychiatrisch untersucht werden muss. Oft gibt bereits ein Gespräch mit dem behandelnden Hausarzt Aufschluss über den Gemütszustand. Einfühlsame und ethisch reflektierende Gespräche mit dem Patienten sowie mit seinen Angehörigen sollten nicht nur zu Beginn des Prozesses stattfinden, sondern über den gesamten Verlauf hinweg. Auch im Team der Pflegekräfte sollte die Entscheidung des Patienten besprochen werden. Für den Fall, dass der Betroffene seine Entscheidung revidieren möchte, sollte ihm in den ersten Tagen regelmäßig etwas zu essen und zu trinken angeboten werden – es sei denn, der Patient lehnt dies ausdrücklich ab.