Psychische Erkrankungen sind heute die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit und haben die lange dominierenden Knochen- und Skeletterkrankungen auf Platz 2 verdrängt. Fast jeder dritte BU-Antrag ist inzwischen psychisch oder psychosomatisch begründet. Bis es zur Berufsunfähigkeit kommt, geht allerdings meist eine längere Krankheit voraus. Ältere Beschäftigte im Gesundheitswesen sind überdurchschnittlich häufig von psychischen Erkrankungen betroffen.
Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor. Sie zeigt über alle Berufsgruppen hinweg ein deutliches Ansteigen psychischer Probleme im Berufsleben. Die dadurch bedingten Ausfalltage sind ein zuverlässiger Indikator für die immer größer werdende Relevanz des Themas. Waren 1998 noch 27,3 Millionen Ausfalltage psychisch erkrankt bedingt, lag die Zahl 2018 schon bei 111,8 Millionen. Das bedeutet mehr als eine Vervierfachung innerhalb eines Zeitraums von nur 20 Jahren.
Frauen jenseits der 45 überdurchschnittlich anfällig
Im Schnitt kamen danach 2018 auf jeden Arbeitnehmer in Deutschland drei Ausfalltage durch psychische Erkrankungen. Frauen über 45 Jahre waren mit fünf Arbeitstagen überdurchschnittlich lange krank. Frauen mit Tätigkeiten im Gesundheitswesen sind noch stärker betroffen. Hier lag der Ausfall-Schnitt sogar bei 6,2 Tagen. Frauen stellen rund drei Viertel der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Zur Situation der Männer in diesem Bereich lagen keine Angaben vor. Es darf aber vermutet werden, dass der Anteil der von Burnout, Depressionen und anderen psychischen Problemen Betroffenen hier ebenfalls hoch ist. Selbst hochqualifizierte Mediziner sind nicht vor psychischen Erkrankungen gefeit.
Die generelle Zunahme psychischer Erkrankungen im Beruf ist eine Folge starker Arbeitsverdichtung, gestiegener Anforderungen und eines deutlich höheren Erfolgs- und Leistungsdrucks – eine Erscheinung in vielen Branchen. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit mehr und mehr verwischen. Ständige Erreichbarkeit und Rufbereitschaft verhindern das Abschalten auch nach dem offiziellen Feierabend. Das Gesundheitswesen gilt dabei traditionell als ein Bereich, in dem Arbeiten besonders belastend ist.
Warum Arbeiten im Gesundheitswesen besonders belastet
Arbeitszeiten im Krankenhaus unterscheiden sich seit jeher von denen in vielen anderen Berufen. 24 Stunden-Dienst, Wochenend-Dienst, Spätdienst, Nachtdienst, Schichtbetrieb sind typische Arbeitszeit-Erscheinungen im Krankenhaus, die physisch und psychisch belasten. Nicht zu unterschätzen ist die Belastung durch die tägliche Konfrontation mit Leid und Tod sowie – nicht selten – mit der Vergeblichkeit des eigenen Bemühens. Ein weiterer Belastungsfaktor ist die in den letzten Jahren stark intensivierte Ökonomisierung des Gesundheitswesens mit einer wesentlich engeren Arbeitstaktung, strikteren Vorgaben und engerer Überwachung bei Ausübung der Tätigkeit. Last but not least hat auch die Bürokratisierung des Gesundheitswesens mit zahlreichen Reporting- und Dokumentationspflichten das Arbeiten nicht einfacher gemacht.
Ein multikausales Geschehen
Dass gerade ältere Frauen im Gesundheitswesen überdurchschnittlich oft an psychischen Erkrankungen leiden, ist nicht wirklich überraschend. Statistisch gesehen werden generell bei Frauen psychische Erkrankungen häufiger diagnostiziert als bei Männern. Das liegt nicht an geschlechtsspezifischer Befindlichkeit oder unterschiedlicher psychischer Konstitution, sondern eher am Umgang und unterschiedlicher Symptomatik bei den Geschlechtern im Zusammenhang mit psychischen Leiden.
Auch der Altersfaktor lässt sich erklären. Viele psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depression bauen sich erst über Jahre auf, ehe sie zum Ausbruch kommen. Es ist oft der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Selbst eine vergleichsweise geringe Mehrbelastung kann dann zum Krankheitsausbruch führen. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Alter die Belastungsfähigkeit tendenziell abnimmt. Stress, Hektik und hohe Arbeitsbelastung werden nicht mehr so leicht genommen wie in jungen Jahren. Ein weiteres Spezifikum bei Frauen ist, dass sie nach wie vor Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen – eine hoch anspruchsvolle Aufgabe, die ihren Tribut fordert.
Anspruch und Wirklichkeit
Arbeitgeber im Gesundheitswesen sind vor diesem Hintergrund besonders gefordert, Maßnahmen zur psychischen Gesundheit und zum Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu ergreifen, wie etwa öfter das Gespräch zu suchen und sich nach dem Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erkundigen – im wohlverstandenen Eigeninteresse, aber auch aus Fürsorgepflicht. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander. Aber auch Gefährdete selbst sind gefordert, achtsam und sorgsam mit sich selbst umzugehen. Selbstschutz fördert die psychische Stabilität.