Der Kollegin einen Gefallen tun, mal wieder Überstunden machen oder noch einen Patienten versorgen, obwohl es gerade nicht zum eigenen Aufgabenbereich gehört: Vielen Pflegekräften fällt es im Arbeitsalltag schwer, auch einmal Nein zu sagen. So verständlich die Gründe auch sind, so wichtig ist es, Grenzen zu setzen. Das freundliche Nein zu Vorgesetzten, Kollegen und Patienten lässt sich lernen.
Wer Grenzen setzen kann, fördert Karriere und Wohlbefinden
Einen Kollegen oder eine Kollegin, die hilfsbereit alle Aufgaben übernimmt und immer zur Stelle ist, falls mal jemand gebraucht wird – so jemanden gibt es auf fast jeder Station. Wer stets “Ja” sagt, wenn er um einen Gefallen gebeten wird, ist bei anderen Mitarbeitern sehr beliebt. Der eigenen Karriere tut man dadurch jedoch keinen Gefallen. Und auch das eigene Wohlbefinden leidet.
Beschäftigte in der Kranken- und Altenpflege sind bereits stark belastet. Sie weisen einen weit höheren Krankenstand auf als Arbeitnehmer in anderen Berufsgruppen. Pro Jahr fallen sie im Durchschnitt 23 Tage lang krankheitsbedingt aus. Der Großteil der Krankheitstage geht dabei auf psychische Störungen und Krankheiten des Bewegungsapparates zurück. Das zeigt der TK-Gesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse. Nimmt man noch mehr Arbeit an, als man eigentlich erledigen müsste, steigt damit auch die psychische und physische Belastung. Das führt wiederum zu einem höheren Risiko, im Beruf Fehler zu machen, unter denen eventuell die Patienten leiden. Grenzen zu setzen ist aber nicht nur aus gesundheitlicher Sicht ein wichtiges Talent. Wer klar und freundlich “Nein” sagen kann, gilt auch als selbstbewusst und selbstständig – Eigenschaften, die für Führungspositionen begehrt sind.
Warum das Nein-Sagen im Beruf so schwer fällt
Seine eigenen Grenzen zu erkennen und zu schützen ist also eine sehr positive Fähigkeit. Warum fällt es vielen Menschen dennoch so schwer, im Beruf auch einmal Nein zu sagen? Das hat viele verschiedene Gründe. So lernen die meisten Menschen schon in frühester Kindheit, dass ein Nein eine unerwünschte Antwort ist, der andere Menschen mit Unverständnis und Ablehnung begegnen. Ein Nein zieht meist negative Konsequenzen nach sich. Aus Angst vor diesen Konsequenzen scheuen sich viele Menschen auch im Erwachsenenalter, jemandem eine Bitte abzuschlagen.
Die Angst vor dem Nein lässt sich auch noch auf weitere Gründe zurückführen:
- Man hat Angst vor Ablehnung durch Kollegen, Patienten oder Angehörige
- Man hat Angst, etwas zu verpassen
- Man fühlt sich geschmeichelt, dass einem bestimmte Aufgaben zugetraut werden
- Man strebt nach dem Gefühl, gebraucht zu werden (Helfer-Syndrom)
- Man vergleicht sich und möchte mit Kollegen mithalten können
Gerade in der Pflege kommt auch noch das Verantwortungsbewusstsein für Patienten hinzu. Die Bitte nach Mehrarbeit oder Überstunden abzulehnen geht oft mit der Sorge einher, dass Patienten nicht ausreichend versorgt werden. Aus diesen Gründen tappen viele Pflegekräfte schnell in die sogenannte Gefälligkeitsfalle: Ist man als Person bekannt, die keinen Gefallen ausschlägt, häufen sich die Anfragen. Schnell erreicht man das Ende der eigenen Kapazitäten, traut sich aber dennoch nicht, weitere Bitten abzulehnen.
Nein zu sagen lässt sich lernen
Die gute Nachricht für alle, die aus der Gefälligkeitsfalle ausbrechen möchten: Nein zu sagen lässt sich lernen. Dabei helfen die folgenden Tipps:
- Nicht sofort antworten: Im Arbeitsalltag fühlt man sich von Bitten und Anfragen oft überrumpelt. Bevor man übereilt zusagt, weitere Aufgaben zu übernehmen, sollte man daher zunächst einmal etwas Bedenkzeit erbitten.
- Motive hinterfragen: Warum hat man das Bedürfnis, Ja zu sagen? Möchte man wirklich helfen oder stecken die oben genannten Ängste und Sorgen dahinter? Wer seine eigenen Beweggründe besser versteht, erkennt leichter, wann er Nein sagen sollte.
- Persönliche Konsequenzen klären: Welche Auswirkungen hätte es, eine Bitte anzunehmen? Welche Konsequenzen würde ein Nein nach sich ziehen? Ist man bereits sehr gestresst und soll nun noch zusätzliche Überstunden absolvieren? Damit steigt das Risiko, Fehler zu machen. Eventuell gibt es Alternativen oder einen Ausgleich.
- Keine Schuldgefühle machen: Wer Nein sagt, fühlt sich anschließend oft schuldig. Für seine eigenen Grenzen muss man sich jedoch nicht schämen. Seine Grenzen durchzusetzen dient in der Pflege nicht nur der eigenen Sicherheit, sondern schützt letztlich auch Patienten.
Richtig Nein sagen: Strategien und Tipps
Wie sagt man nun auf freundliche Weise Nein, wenn der Vorgesetzte oder Kollegen um einen Gefallen bitten? Die folgenden Strategien helfen:
- Die Ablehnung begründen: Informiert man sein Gegenüber sachlich, warum man einer Bitte nicht nachkommen kann, fällt es dem anderen leichter, das Nein zu akzeptieren. Allerdings sollte man dabei nicht zu Notlügen greifen. Kommt die Flunkerei heraus, schafft man sich damit schnell eine schlechte Reputation.
- Alternativen anbieten: Falls möglich, kann man Alternativen aufzeigen. Eventuell kann man in dieser Woche keine Spätschicht für den Kollegen übernehmen, aber in der nächsten Woche durchaus eine Schicht tauschen.
- Folgen verdeutlichen: Welche negativen Konsequenzen hätte es, wenn man die Bitte annimmt?
- An Abmachungen erinnern: Steht die Bitte im Gegensatz zu zuvor getroffenen Vereinbarungen, sollte man darauf deutlich hinweisen.
- Fristen setzen: Bietet sich keine Alternative an, kann man eventuell eine Frist vorgeben, wann man eine Aufgabe frühestens übernehmen kann.
- Verantwortung betonen: Möchten Kollegen eine Aufgabe abwälzen, kann man betonen, dass die Verantwortung für diese Aufgabe speziell ihnen übertragen wurde.
Egal ob gegenüber dem Chef, den Kollegen oder den Patienten: Wichtig ist es, stets bestimmt, aber freundlich aufzutreten. So stressig der Arbeitsalltag oft auch ist, keinesfalls sollte man die Stimme heben oder gar beleidigend werden. Höflichkeit und Professionalität sind auch beim Nein-Sagen oberstes Gebot.
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