Sexuelle Belästigung ist leider ein Thema, mit dem sich auch Pflegekräfte im Beruf konfrontiert sehen. Die Krankenpflege ist ein intimer Bereich, in dem man eine enge Beziehung zu Patienten hat. Sich genau da gut abgrenzen zu können, wo Verhalten übergriffig wird, ist nicht immer so einfach. Die Mehrheit der Krankenschwestern und Pfleger gibt an, schon mal von Patienten sexuell belästigt worden zu sein. Das passiert nicht nur Frauen, auch Männern – doch neigen diese oft noch weniger dazu, dies zu melden. Wie soll man damit umgehen, wenn Patienten ein unangemessenes verbales Verhalten zeigen und anzügliche Bemerkungen machen oder man angefasst wird und Patienten tätig werden? Was können Arbeitgeber tun, um ihre Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen? Wie sieht die Rechtslage aus und wozu sind Vorgesetzte verpflichtet? Der folgende Artikel gibt einige Tipps, wie man in solchen Fällen verfahren sollte.
Sexuelle Belästigung erkennen
Sexuelle Belästigung ist im Allgemeinen jeder unerwünschte sexuelle direkte oder indirekte physische Kontakt oder Kommentar. Eine Handlung oder Bemerkung kann auch als Belästigung angesehen werden, wenn die Pflegekraft den Patienten anweist, aufzuhören, das aber ignoriert wird.
Begünstigende Faktoren im Pflegeberuf
Aufgrund der physischen Natur der Krankenpflege ist unangemessenes körperliches Verhalten möglicherweise etwas schwerer zu erkennen. Unangemessene Berührungen sind dennoch alle, die sich auch unangenehm anfühlen. Es ist nichts anderes als in der Öffentlichkeit unerwünscht von einem fremden Menschen berührt zu werden. Denn nur, weil man in der Pflege arbeitet, hat eine andere Person nicht das Recht, jemanden anzufassen. Die meisten Patienten wollen bei Untersuchungen oder Behandlungen die Hand halten oder den Arm der Pflegekraft berühren, aber würden nicht weiter gehen.
Eine gute Faustregel ist, sich daran zu orientieren, ob der Kontakt unter den gegebenen Umständen objektiv angemessen ist – beispielsweise hat bei einer Blutdruckmessung die Hand nichts auf dem Oberschenkel der Pflegekraft zu suchen. Wird dem Patienten hingegen ins Bett geholfen und dieser benötigt Stabilisierung und Unterstützung, kann es sein, dass die Hand vielleicht schon mal auf eine Weise auf die Pflegekraft gelegt wird, die sonst nicht erforderlich wäre.
Rechtliche Lage
Laut Gesetz versteht man unter sexueller Belästigung jede sexuell bestimmte Handlung, die unerwünscht ist und die Würde des Menschen verletzt oder herabsetzt – darunter zählen sexistische und erniedrigende Kommentare, genauso wie körperliche Annäherungen, die nicht gewollt sind.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen. Das kann von einer Abmahnung bis hin zu einer Kündigung bei Mitarbeitern bzw. Entlassung eines Patienten führen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gilt als Arbeitsunfall, wenn sie einen psychischen oder physischen Schaden zur Folge hat – das ist vielen gar nicht bekannt. Betroffene haben daher Anspruch auf Kostenübernahme bei ärztlicher und psychologischer Behandlung.
Sexuelle Belästigung – Was Betroffene tun können
Die beste Verteidigung in solchen Fällen beginnt mit der Meldung. Egal, wer die belästigende Person ist – ob Vorgesetzter, Patient oder Mitarbeiter – Pflegekräfte können Maßnahmen ergreifen, um Belästigungen am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Sexuelle Belästigung darf nicht toleriert werden. Das ist ein wesentlicher Bestandteil der Selbstpflege und Selbstachtung.
Grenzen aufzeigen
Jeder weiß und spürt ganz genau, wann die persönliche Grenze überschritten wird. Pflegekräfte sollten den Patienten oder die Patientin sofort auffordern – nicht bitten – von weiteren unangemessenen Kommentaren oder Handlungen Abstand zu nehmen und damit aufzuhören. Wenn also jemand eine anzügliche Bemerkung macht, sollte man sofort und klar mitteilen, dass man nicht möchte, dass so mit einem geredet wird. Das ist nicht immer einfach, besonders, wenn man sich gut mit dem Patienten versteht, aber notwendig, damit die Beziehungsebene in keine Schieflage gerät. Wenn man das nicht tut, muss man damit rechnen, dass es wieder und wieder passiert und der Patient sein Verhalten möglicherweise noch steigert. Daher sollte eine Pflegekraft sofort Grenzen setzen, sobald das Verhalten in diese Richtung einschlägt.
Sich an den Vorgesetzten wenden
Unangemessenes Verhalten sollte dem Vorgesetzten gemeldet werden, damit die Leitung darauf aufmerksam wird. Wenn Kommentare und Handlungen aufhören, nachdem man dem Patienten direkt in der Situation aufgefordert hat, sein Verhalten zu ändern, muss normalerweise nichts weiter unternommen werden. Ist eine Handlung schwerwiegend oder gewalttätig, sollte sie ebenfalls sofort der Leitung mitgeteilt werden, die das Verhalten dann bei dem Patienten anspricht.
Die Behandlung verweigern
Sollte es der Pflegekraft unangenehm sein, den Patienten weiter zu betreuen, kann dieser einer anderen Pflegekraft zugewiesen werden. In dramatischen Fällen und nach wiederkehrenden Belästigungen ohne Einsicht muss der Patient aus der Praxis oder Einrichtung entlassen werden. Es gelten spezifische Gesetze, die die Beendigung der Beziehung zwischen Arzt, Patient und Entlassung regeln, damit der Patient trotzdem weiterhin Zugang zu medizinischer Versorgung hat.
Den Kontakt zu den Angehörigen suchen
Manchmal kann es helfen, sich an die Angehörigen der Patienten zu wenden, sich ihnen anzuvertrauen und sie darüber zu informieren, dass sich ihr Familienmitglied nicht entsprechend verhält. Gleichzeitig kann man die Angehörigen dazu ermuntern, auch dafür zu sorgen, dass die Person alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angemessen behandelt.
Hilfe einfordern
Betroffene können sich an eine Vertrauensperson aus dem Team oder der Arbeitnehmervertretung wenden sowie eine Gleichstellungs- und Frauendiskriminierungsbeauftragte aufsuchen. Einige Pflegeeinrichtungen bieten auch Deeskalationstrainings an. Darüber hinaus stehen auch zahlreiche Beratungsstellen und Hotlines bereit, deren Mitarbeiter den Betroffenen zuhören und sie über ihre Rechte aufklären – wie beispielsweise das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Sexuelle Belästigung – Was Vorgesetzte tun können
Arbeitgeber sind rechtlich dazu verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor sexuellen Übergriffen, Belästigungen und Diskriminierung jeder Art zu schützen. Darüber hinaus können sie einige weitere Schritte unternehmen, damit sich ihr Team gut aufgefangen fühlt, Kompetenzen in dieser Thematik erweitert und Unsicherheiten abgebaut werden.
Mitarbeiter ernst nehmen
Es ist wichtig, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Anliegen gesehen und gehört fühlen und sie die volle Rückendeckung ihrer Vorgesetzten bekommen. Das schafft Vertrauen und stärkt das Teamgefühl. Solche Vorfälle sollten nicht heruntergespielt oder mit „Stell dich nicht so an“-Bemerkungen ignoriert werden.
Mit Patienten sprechen
Sollten Mitarbeiter melden, dass Patienten sich im Ton vergreifen oder körperlich tätig werden, ist es ratsam, dass die Leitung mit den Patienten spricht und ihnen deutlich zu verstehen gibt, dass das Verhalten nicht angebracht ist und im Falle wiederkehrender Belästigung die Pflege abgebrochen werden muss.
Betriebsinterne Beschwerdestellen einrichten
Das Thema sollte genügend Raum in der betrieblichen Präventionskultur bekommen und klare Ansprechpartner vorhanden sein. Es ist wichtig, dies als einen wichtigen Teil in das Arbeitsschutz-Konzept und die Hausordnung einfließen zu lassen. Das sorgt dafür, dass Betroffene weniger Hemmungen und Schamgefühle haben, darüber zu sprechen. So können alle Vorfälle dokumentiert, gemeinsam Leitlinien entwickelt und entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Mitarbeiter schulen
Vorgesetzte können Fortbildungen anbieten, in denen Mitarbeiter geschult werden, wie sie mit sexueller Belästigung umgehen können. Es ist dabei hilfreich, sich auszutauschen – wenn man erfährt, dass es Kolleginnen oder Kollegen genauso geht oder schon ergangen ist, fällt die Scham ab und das sorgt für Erleichterung. Ebenso kann man sich abschauen, wie Praxisanleiter damit umgehen – das ist besonders für Auszubildende und Berufsanfänger wichtig.
Auswirkungen von sexueller Belästigung
Sexuelle Belästigung ist nicht nur eine rechtliche Angelegenheit, sondern auch ein Faktor, der das Miteinander am Arbeitsplatz bestimmen kann. Bei einem respektvollen Umgang mit anderen geht es darum, sein Gegenüber als selbstbestimmten Menschen mit eigenen Rechten und Grenzen anzusehen und nicht als Objekt. Pflegende sind dieser Art von Gewalt durch ihre körpernahe Arbeit mehr ausgesetzt als viele andere Berufsgruppen. Das führt zu mehr Unzufriedenheit, emotionaler Erschöpfung und einem psychischen Unwohlsein – besonders dann, wenn es sich um wiederkehrende Belästigungen und schwerwiegende Vorfälle handelt. Betroffene können Ängste und Misstrauen entwickeln, werden aggressiv, ekeln sich vor ihrem Beruf, schämen sich, fühlen sich schuldig und verlieren immer mehr die Freude am Job. Das kann zu Depressionen und einem niedrigen Selbstwert führen und in eine stark belastende Situation münden.
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