Während die Impfungen gegen das Virus SARS-CoV-2 in Deutschland voranschreiten, suchen Wissenschaftler auch nach einer geeigneten Corona-Therapie. Eine Forschergruppe mit Mitgliedern vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) an der Charité Berlin und der Universität Bonn hat nun vier Wirkstoffe identifiziert, mit denen sich die Vermehrung des Virus in den Zellen hemmen lässt. Dazu gehört auch das Bandwurmmittel Niclosamid. In einer klinischen Studie soll die Wirksamkeit des Bandwurmmittels weiter untersucht werden.
Wie SARS-CoV-2 Zellprozesse manipuliert
Die Identifizierung der Wirkstoffe gelang den Forschern aufgrund gründlicher Vorarbeit. Die Forscher um den Privatdozenten Dr. Marcel Müller vom Institut für Virologie an der Charité Berlin und Dr. Nils Gassen vom Universitätsklinikum Bonn haben zunächst untersucht, wie das neue Coronavirus SARS-CoV-2 Zellprozesse für seine Zwecke manipuliert. Für ihr Überleben und ihre Vermehrung sind Viren von ihrer Wirtszelle abhängig. Um ungestört virales Material produzieren zu können, muss ein Virus dafür sorgen, dass es weder vom Immunsystem noch von den zelleigenen Überwachungssensoren entdeckt wird.
SARS-CoV-2 drosselt für diesen Zweck den Recycling-Mechanismus der Zelle: In einem als Autophagie oder Selbstverdauung bezeichneten Prozess baut diese Abfallprodukte und beschädigtes Zellmaterial ab und produziert daraus molekulare Strukturen für den Zellaufbau. SARS-CoV-2 täuscht der Zelle einen Nahrungsreichtum vor, woraufhin der Recycling-Mechanismus zurückgefahren wird. Die Forscher vermuten, dass sich das Virus auf diese Weise vor dem eigenen Abbau schützt. Diese Strategie verfolgt auch das MERS-Coronavirus, das eine grippeähnliche Erkrankung (“Middle East respiratory syndrome”) verursacht und das vom Forscherteam bereits Anfang 2020 untersucht wurde.
Warum ein Bandwurmmittel gegen Corona helfen könnte
Durch die Hemmung der Autophagie kann sich das neue Coronavirus weitgehend ungehindert in den Zellen vermehren. Die Forschergruppe vermutete jedoch, dass genau diese Strategie auch einen möglichen Angriffspunkt darstellt. Die Wissenschaftler prüften daher, ob Substanzen, die das Zell-Recycling anregen, die Produktion von infektiösem viralen Material beeinflussen. Im Praxistest erwiesen sich tatsächlich vier Verbindungen als wirksam. Alle werden bereits beim Menschen eingesetzt.
Den größten antiviralen Effekt weist das Bandwurmmittel Niclosamid auf. In einer früheren Studie hatte es bereits gegen das MERS-Coronavirus gewirkt. Das Medikament senkt die Produktion infektiöser Partikel um mehr als 99 Prozent. Noch dazu gilt es als gut verträglich. Das Forscherteam hält Niclosamid daher für einen aussichtsreichen Kandidaten für eine Corona-Therapie. Um diese Theorie zu bestätigen, sucht die Charité aktuell nach Teilnehmern für eine klinische Studie.
In der Phase-II-Studie mit dem Titel “NICCAM” wird das Bandwurmmittel in Kombination mit dem zugelassenen Medikament Camostat bei Patienten mit kürzlich diagnostizierter COVID-19-Erkrankung eingesetzt. Die Studie soll zeigen, ob sich diese Medikamentenkombination sicher, verträglich und wirksam anwenden lässt. Bewerben können sich Frauen und Männer, die vor wenigen Tagen per Schnelltest oder PCR-Test positiv auf Corona getestet wurden. Während des Studienzeitraums werden die Teilnehmer für sieben Tage und sieben Nächte in Quarantäne untergebracht.
Weitere potenzielle Kandidaten für eine Corona-Therapie
Neben dem Bandwurmmittel Niclosamid haben die Wissenschaftler noch drei weitere potenzielle Kandidaten für eine Corona-Therapie identifiziert. Dazu gehört das körpereigene Stoffwechselprodukt Spermidin. Es wird von jeder Zelle im Körper sowie von Darmbakterien produziert. Zudem ist es in reifem Käse, Weizenkeimen, Soja und Pilzen enthalten und als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich. Spermidin reduziert die Produktion von infektiösen SARS-CoV-2 Partikeln um 85 Prozent. Das ebenfalls körpereigene Spermin kann die Virusproduktion in menschlichen Lungenzellen und darmähnlichen Zellverbünden sogar um mehr als 90 Prozent reduzieren.
Diese Erfolge sind beachtlich, wurden allerdings unter Verwendung von Reinsubstanzen erzielt, die für eine medikamentöse Verabreichung nicht geeignet sind. Bevor Spermin und Spermidin für die Behandlung einer Corona-Erkrankung eingesetzt werden können, ist daher weitere Forschungsarbeit nötig. Unter anderem muss geklärt werden, ob überhaupt eine ausreichend hohe Konzentration der Substanzen im Blut erreicht werden kann, welche Nebenwirkungen dabei auftreten und zu welchem Zeitpunkt die Verabreichung sinnvoll ist. Von einer Selbsteinnahme raten die Forscher dringend ab.
Als dritte Substanz hat sich auch der AKT-Hemmer MK-2206 als wirksam gegen SARS-CoV-2 gezeigt. AKT-Hemmer wie MK-2206 werden aktuell in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit gegen verschiedene Krebsarten hin analysiert. Im Forschungsprojekt der Charité Berlin und der Uniklinik Bonn reduzierte der Wirkstoff die Produktion infektiösen viralen Materials um rund 90 Prozent. Die dafür nötigen Konzentrationen wurden in vorangegangenen Studien bereits im Blutplasma der Teilnehmer erreicht. Die Forschergruppe hält daher auch MK-2206 für einen aussichtsreichen Kandidaten für die Behandlung von COVID-19, der in klinischen Studien weiter untersucht werden sollte.
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