Inhaltsverzeichnis
Seit dem 1. September gilt die Tarifpflicht in der Altenpflege. Ab diesem Stichtag müssen ambulante, stationäre und teilstationäre Pflegebetriebe ihr Personal entweder nach Tarif bezahlen oder ein Gehalt in vergleichbarer Höhe anbieten. Nur dann können sie ihre Leistungen weiterhin mit den Pflegekassen abrechnen. Was es über die Tarifbindung in der Altenpflege zu wissen gibt, klärt dieser Artikel.
Inhaltsverzeichnis
- Basis für die Tarifpflicht in der Altenpflege
- Nur ein Viertel aller Pflegeeinrichtungen zahlt nach Tarif
- Welche Pflichten gelten für Pflegeanbieter?
- Mit wie viel mehr Gehalt können Altenpflegekräfte rechnen?
- Wie wird die Tarifpflicht finanziert?
- Kritik an der Tarifpflicht
- Grundgehalt von 4.000 Euro
- Stellenangebote für Altenpfleger/innen
GVWG – Basis für die Tarifpflicht in der Altenpflege
Grundlage für die Tarif-Pflicht in der Altenpflege ist das Gesundheitsvorsorgeweiterentwicklungsgesetz, kurz GVWG. Das Gesetz wurde im Juni 2021 verabschiedet. Vorausgegangen waren Bestrebungen, einen bundesweiten Tarifvertrag in der Altenpflege einzuführen. Die Gewerkschaft verdi hatte sich bereits mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) auf eine entsprechende Regelung geeignet. Das Vorhaben scheiterte allerdings am Veto der Caritas.
Als Alternative brachten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) das sogenannte “Pflege-Tariftreue-Gesetz” auf den Weg. Das Ziel: die Vergütung von Pflegekräften zu verbessern. Die geplanten Regelungen flossen ins GVWG ein. Neben der Tariftreue legt das Gesetz auch neue Zuschläge für Pflegebedürftige fest, die mit der Verweildauer in der Pflegeeinrichtung steigen. Zudem erhalten Pflegekräfte mehr Entscheidungsbefugnisse.
Nur ein Viertel aller Pflegeeinrichtungen zahlt nach Tarif
Bislang wird rund die Hälfte aller Pflegekräfte-Gehälter in Deutschland nach Tarifvertrag ausgezahlt. In der Pflegebranche gelten unter anderem die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes für Bund, Länder und Kommunen, Arbeitsrechtsregelungen der kirchlichen Pflegeanbieter sowie die Tarifverträge des Deutschen Roten Kreuzes, der Arbeiterwohlfahrt und der Parität. Die Tarifverträge regeln die Höhe des Grundgehalts, gegliedert nach Position und Berufserfahrung und die Höhe von Zuschlägen, zum Beispiel für Wechselschichten, Feiertags-, Nacht- und Wochenenddienste.
Während die meisten Beschäftigten in der Krankenpflege nach Tarifvertrag vergütet werden, ist dies nur für wenige Altenpflegekräfte der Fall. Eine Auswertung der Landesverbände der Pflegekassen zeigt, dass lediglich rund ein Viertel aller Pflegeeinrichtungen in der Altenpflege tarifgebunden sind. Das führt zu deutlichen Gehaltsunterschieden in der Kranken- und Altenpflege: Im Jahr 2020 betrug das Gehalt von Gesundheits- und Krankenpfleger/innen im Durchschnitt 3.578 Euro brutto im Monat. Fachkräfte in Pflegeheimen erhielten 215 Euro weniger, Pflegefachkräfte in Altenheimen sogar 287 Euro weniger. Die Tarif-Pflicht nach GVWG soll diese Diskrepanz ausgleichen und damit die Tätigkeit in der Altenpflege für Nachwuchskräfte attraktiver machen.
Welche Pflichten gelten für Pflegeanbieter?
Das GVWG sieht vor, dass Pflegeeinrichtungen ihren Pflege- und Betreuungskräften ab September 2022 ein Gehalt in Tarifhöhe zahlen müssen. Einrichtungen, die bislang weder einem Tarifvertrag noch einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung unterlagen, konnten sich bis zum 30. April 2022 für eine von drei Varianten für die Entlohnung ihrer Beschäftigten entscheiden:
- Echter Tarifvertrag: Pflegeanbieter schließen einen Haustarifvertrag mit einer Gewerkschaft ab oder werden Mitglied in einem Arbeitgeberverband mit Tarifbindung.
- Anlehnung an Tarifvertrag: Pflegeeinrichtungen passen ihre Gehälter an einen regionalen Tarifvertrag an und bezahlen ihre Beschäftigten gemäß Tariftabelle.
- Regional übliches Entgelt: Pflegeanbieter orientieren sich bei der Vergütung am regional üblichen Entgeltniveau. Wie hoch das regional übliche Entgelt ausfällt, haben die Landesverbände der Pflegekassen ermittelt. Die Werte basieren auf Meldungen von tarifgebundenen Einrichtungen sowie von Pflegeanbietern mit kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen.
Ab dem 1. September 2022 müssen die Einrichtungen ihre gewählten Entlohnungsregelungen nun umsetzen. Nur unter dieser Voraussetzung können sie weiterhin Versorgungsverträge mit den Pflegekassen abschließen und eine Refinanzierung für ihre Leistungen erhalten. Bestehende Versorgungsverträge sind bis zum 31. August 2022 anzupassen.
Tarifpflicht – Mit wie viel mehr Gehalt können Altenpflegekräfte rechnen?
Pflege- und Betreuungskräfte werden in drei Entgeltgruppen eingeteilt:
- Gruppe A: Pflege- und Betreuungskräfte ohne einjährige Berufsausbildung
- Gruppe B: Pflege- und Betreuungskräfte mit mindestens einjähriger Berufsausbildung
- Gruppe C: Pflege- und Betreuungskräfte mit mindestens dreijähriger Berufsausbildung
Für die Entlohnung in der Pflege gelten ab September 2022 die folgenden Untergrenzen:
- Gruppe A: 13,70 Euro/Stunde
- Gruppe B: 14,60 Euro/Stunde
- Gruppe C: 17,10 Euro/Stunde
Diese Werte dürfen Pflegeeinrichtungen nicht unterschreiten. Die von den Landesverbänden der Pflegekassen ermittelten regional üblichen Entgelte liegen in vielen Bundesländern noch höher. Das niedrigste regional übliche Entgelt ergibt sich für Bremen und liegt bei 14,79 Euro/Stunde für Gruppe A, 15,64 Euro/Stunde für Gruppe B und 20,12 Euro/Stunde für Gruppe C. In Schleswig-Holstein können ungelernte Hilfskräfte der Gruppe A sogar ein Mindestgehalt von 17,75 Euro/Stunde erwarten. Examinierte Pflegefachkräfte der Gruppe C müssen mit mindestens 23,89 Euro/Stunde entlohnt werden. Für Pflegekräfte der Gruppe B fällt das Entgeltniveau in Baden-Württemberg mit 19,11 Euro/Stunde am höchsten aus.
Insgesamt führt die Tarif-Pflicht in der Altenpflege laut Bundesarbeitsministerium zu Gehaltssteigerungen von durchschnittlich 300 Euro im Monat.
Wie wird die Tarifpflicht finanziert?
Höhere Gehälter müssen natürlich finanziert werden. Das GVWG sieht vor, dass sowohl tarifgebundene als auch nicht-tarifgebundene Einrichtungen, die das regional übliche Entgelt zahlen, zu 100 Prozent von den Pflegekassen refinanziert werden. Nicht-tarifgebundene Pflegeeinrichtungen dürfen dabei das regional übliche Entgeltniveau ohne sachlichen Grund nicht um mehr als zehn Prozent überschreiten.
Um die Pflegekassen bei dieser Leistung zu unterstützen, wurde der Pflegeversicherungsbeitrag für Kinderlose auf 3,4 Prozent des Bruttolohns angehoben. Zusätzlich zahlt der Bund der Pflegeversicherung einen jährlichen Zuschuss von einer Milliarde Euro.
Kritik an der Tarifpflicht
Die Pflicht zur Tarifbindung stellt für viele Pflegeeinrichtungen eine schwerwiegende Veränderung dar. Der AOK Bundesverband geht davon aus, dass ab September 2022 rund 80 Prozent der Einrichtungen nach Tarif oder ein Gehalt in vergleichbarer Höhe zahlen werden. Pflegeanbieter, die bereits an einen Tarifvertrag oder eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung gebunden sind, bleiben von den Veränderungen nicht unberührt. Die Angleichung der Gehälter führt zu einer neuen Wettbewerbssituation in der Pflegebranche. Wer Fachkräfte gewinnen und halten möchte, muss attraktivere Löhne bieten als die Konkurrenz.
Bislang waren tarifgebundene Einrichtungen hier im Vorteil. Nun müssen sie sich an die veränderten Gegebenheiten anpassen. Hinzu kommt, dass sich die steigenden Gehälter für Pflegekräfte indirekt auch auf die Vergütung anderer Beschäftigter auswirken kann. So wird es vermutlich auch zu Gehaltsanpassungen für Führungspositionen kommen.
Pflegeeinrichtungen stehen nun vor der Herausforderung, diese Mehrausgaben zu leisten. Zwar verspricht der Bund die komplette Refinanzierung der Tarifbindung durch die Pflegekassen – genau dort hapert es aber in der Praxis. Einige Pflegebetreiber kritisieren, dass die Angebote der Kostenträger weit unter den tatsächlichen Mehrkosten liegen. Mehrere private Pflegeanbieter und ihre Bundesverbände haben vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Tarifpflicht eingelegt. Sie sehen die termingerechte bundesweite Umsetzung und die Refinanzierung durch die Pflegekassen als nicht gesichert an.
Kritik gibt es aber auch von den Gewerkschaften. Der verdi-Bundesvorstand warnt, dass Anbieter Dumpingverträge mit Pseudogewerkschaften abschließen könnten, um weiterhin keine fairen Löhne zahlen zu müssen.
Grundgehalt von 4.000 Euro
Während sich einige Pflege-Unternehmen vor Gericht beschweren, haben andere Anbieter bereits vor dem Stichtag erste Maßnahmen zur Tarif-Pflicht umgesetzt. Der große deutsche Pflegeheimbetreiber Korian hat für zwei seiner Betriebe in Rheinland-Pfalz einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft verdi abgeschlossen und zahlt Hilfskräften bis zu 700 Euro mehr im Monat, das Gehalt für Pflegefachkräfte steigt um bis zu 1.500 Euro. Bis zum 1. September möchte Korian das “Worx” genannte Vergütungsmodell bundesweit ausrollen. Der Pflegeheimbetreiber Dorea möchte Fachkräften in Vollzeit ab September mindestens 4.000 Euro im Monat zahlen, Betreiber Kursana kündigte an, die Gehälter für Pflegehilfs- und Fachkräfte um 14 bis 17 Prozent zu erhöhen.
Passende Stellenangebote für Altenpfleger/innen
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1. Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, www.bundesgesundheitsministerium.de (Abrufdatum 18.08.2022)
2. Bundesweite Übersicht des regional üblichen Entgeltniveaus, https://www.aok.de (Abrufdatum 18.08.2022)