Der Weg aus ein einer psychischen Erkrankung gestaltet sich nicht selten als hart, steinig und anstrengend. Um bei der Bewältigung nicht komplett alleine gelassen zu werden, wurde das Konzept des/der Genesungsbegleiters/-in ins Leben gerufen. Ganz nach dem Motto “Wer selbst schwere Zeiten durchgestanden hat, weiß am besten, was in solchem Situationen hilft”, helfen und unterstützen dabei Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung andere Betroffene bei der Überwindung von Erkrankungen, schweren Krisen und seelischen Ausnahmezuständen.
Welche Voraussetzungen man für diese noch recht neuartige Ausbildung erfüllen sollte, was genau ein/e Genesungsbegleiter/in tagtäglich macht und wie die beruflichen Perspektiven im weiteren Arbeitsleben aussehen, wird in diesem Beitrag behandelt.
Was macht ein/e Genesungsbegleiter/in?
Genesungsbegleiter/innen sind Menschen mit eigener Krisenerfahrung, die andere Betroffene unterstützen, die sich gerade in ähnlichen Situationen befinden. Das Konzept funktioniert nach dem sogenannten “EX-IN-Prinzip”: Das steht für “Experienced Involvement”, also die Beteiligung Erfahrener. Die Idee hinter diesem Berufsbild ist, dass sich Psychiatrie-Erfahrene zu Fachkräften im psychiatrischen System qualifizieren und im Anschluss daran anderen Personen als Genesungsbegleiter/in bei der Bewältigung ihrer Probleme zur Seite zu stehen. Diese Initiative geht von einem EU-weiten EX-IN-Projekt aus, welches seit 2005 besteht.
Genesungsbegleiter/in-Ausbildung – Übersicht
Die Ausbildung zum/zur Genesungsbegleiter/in kann man in Deutschland an vielen Standorten absolvieren. Die meisten davon sind dem EX-IN-Verband Deutschland untergeordnet. Ziel der Ausbildung ist es, sich intensiv mit der eigenen Genesungsgeschichte auseinander zu setzen und dann zu lernen, inwiefern man mit den eigenen Erfahrungen anderen helfen, beziehungsweise als Genesungsbegleiter/in von Nutzen sein kann.
Genesungsbegleiter/in-Ausbildung – Zugangsvoraussetzungen
Für die Ausbildung zum/zur Genesungsbegleiter/in ist formal gesehen ein Schulabschluss nicht zwingend notwendig, jedoch sollte man auf jeden Fall dazu in der Lage sein, Berichte zu schreiben und Texte lesen zu können. Darüber hinaus gibt es noch einige persönliche Eigenschaften, die man mitbringen sollte:
- Erfahrung mit Psychiatrie, schweren Lebenskrisen und/oder starken seelischen Erschütterungen und deren Bewältigung
- keine akut bestehende Krise oder Sucht, stabile gesundheitliche Situation
- Bereitschaft zur Selbstfürsorge, stabiles privates und soziales Netz
- Reflexions- und Gruppenfähigkeit
- Offenheit gegenüber anderen Sichtweisen, Bereitschaft zum Erfahrungsaustausch
- Empathie und Behutsamkeit
- Zuverlässigkeit
- keine geplanten wesentlichen Veränderungen im eigenen Lebensumfeld während des Kurses (wie Trennung, Umzug, Jobwechsel)
- eventuell Erfahrungen mit dem Trialog-Prinzip
Was bedeutet Trialog?
Trialog umfasst ein Behandlungskonzept der Psychologie, bei dem Betroffene, Angehörige und Professionelle im Rahmen des Behandlungsprozesses als gleichberechtigt angesehen werden. Mit dieser Gleichstellung soll eine angenehme Behandlungsatmosphäre ohne Hierarchien aufgebaut werden.
Genesungsbegleiter/in-Ausbildung – Form und Aufbau
Im Normalfall findet die Ausbildung zum/zur Genesungsbegleiter/in in EX-IN-Kursen an mehreren Wochenenden am Stück statt, an denen man jeweils Unterricht in den einzelnen Modulen erhält. Insgesamt gibt es zwölf Module, davon fünf Basis- und sieben Aufbaumodule. Dazu kommen noch ein Vortrag über die eigene Genesungsgeschichte, zwei Praktika, ein individuelles Portfolio sowie eine Abschlusspräsentation. Die Ausbildung wird von einem Trainerteam geleitet, dass immer mindestens aus einem/-r fertig ausgebildeten EX-IN-Genesungsbegleiter/in und einer Person mit einer psychiatrischen Fachausbildung inklusive Berufserfahrung besteht.
Die Kosten für die Ausbildung belaufen sich im Mittel auf ungefähr 200 bis 250 Euro pro Modul, also insgesamt zwischen 2.500 und 3.000 Euro plus 50 Euro für das abschließende Zertifikat.
Genesungsbegleiter/in-Ausbildung – Inhalte und Dauer
Jeder der zwölf Wochenendblöcke umfasst Freitag, Samstag und Sonntag zu jeweils acht bis neun Stunden Unterricht. Inhaltlich sind die einzelnen Blöcke aufeinander aufbauend und umfassen zum einen Themen, bei denen man sich mit sich selbst und der eigenen Vergangenheit beschäftigt und zum anderen Inhalte über den korrekten und zielführenden Umgang mit Patienten/-innen im späteren Berufseinsatz. Folgende Tabelle liefert einen Überblick über die jeweiligen Inhalte der Module:
Modul | Inhalt |
Basismodul 1 | Gesundheitsfördernde Haltungen (Salutogenese) |
Basismodul 2 | Empowerment in Theorie und Praxis |
Basismodul 3 | Erfahrung und Teilhabe |
Basismodul 4 | Perspektiven und Erfahrung von Genesung (Recovery) |
Basismodul 5 | Trialog |
Aufbaumodul 1 | Selbsterforschung |
Aufbaumodul 2 | Fürsprache |
Aufbaumodul 3 | Assessment (Ganzheitliche Bestandsaufnahme) |
Aufbaumodul 4 | Begleiten und Unterstützen |
Aufbaumodul 5 | Krisenintervention |
Aufbaumodul 6 | Lehren und Lernen |
Aufbaumodul 7 | Abschlussmodul |
Zusätzlich zu der Theorie in den Modulen gibt es auch noch einige Bestandteile praktischer Art. Im Rahmen von zu absolvierenden Praktika sollen die theoretischen Grundlagen in der Realität Anwendung finden. Außerdem können bereits erste Erfahrungen aus einer anderen Perspektive gesammelt werden: Statt selber in der Rolle des/der Patienten/-in zu sein, bietet ein Praktikum eine hervorragende Möglichkeit, mal die Sichtweise des/der Behandelnden einzunehmen.
Die gemachten Erfahrungen sollen dabei auch den anderen Kursteilnehmern/-innen zugänglich gemacht werden, damit diese davon profitieren können, weshalb alle Einsätze im Rahmen eines Vortrages innerhalb der Gruppe noch einmal präsentiert und reflektiert werden. Hier sind die zusätzlichen praktischen Bestandteile aufgeführt:
Aufgabe | Bestandteile & Bedingungen |
Schnupperpraktikum | mindestens 40 Stunden, während Modul drei bis fünf, Reflexion des “Seitenwechsels”, Sensibilisierung für Tätigkeit als Genesungsbegleiter/in, Berichterstellung |
Aufbaupraktikum | mindestens 80 Stunden, Erprobung der eigenen Qualitäten und neu erworbenen Fähigkeiten & Kompetenzen, Berichterstattung |
Portfolio | Erstellung nach Vorgaben des Dachverbandes, verpflichtende Abschnitte: Spurensuche, Qualitäten, Planung und Persönliches Professionelles Profil |
Abschlusspräsentation | am Ende des Kurses, Reflexion der Kursinhalte, der eigenen Kompetenzen & Fähigkeiten und der Rolle im Kurs |
Genesungsbegleiter/in-Ausbildung – Abschluss
Sind alle der zuvor genannten Abschnitte der Ausbildung erfolgreich absolviert worden, endet der Kurs mit einer Abschlusspräsentation. Wieder wird an dieser Stelle großer Wert darauf gelegt, die übrigen Kursteilnehmer/innen an den eigenen Erfahrungen teilhaben zu lassen, weshalb man thematisch unter anderem auf seine persönlichen Lernerfolge und neue Erkenntnisse eingeht und rückblickend die eigene Rolle innerhalb der Ausbildungszeit reflektiert.
Abschließend erhält man das Zertifikat des Dachverbands und kann sich damit als „EX-IN (Experienced-Involvement) Genesungsbegleiter/in“ ausweisen. Für das Zertifikat ist es notwendig, dass man maximal zehn Prozent Fehlzeiten hat, ansonsten müssen entsprechend versäumte Inhalte erst noch nachgeholt werden. Da die Kurse zur Ausbildung aber in regelmäßigen zeitlichen Abständen erfolgen, ist das in der Regel kein Problem.
Genesungsbegleiter/in Stellenangebote
Perspektiven nach der Ausbildung
Möchte man das EX-IN-Konzept nach der Ausbildung weiter unterstützen und verbreiten, hat man die Möglichkeit, selber eine Ausbildung zum/-r Trainer/in für EX-IN-Modelle zu absolvieren und somit neue Genesungsbegleiter/innen anzuleiten oder als Dozent/in Vorträge zu entsprechenden Themen zu halten. Es ist als Genesungsbegleiter/in ebenfalls möglich, in politischen Gremien oder anderen EX-IN-Verbänden (regional, deutschland- oder EU-weit) Mitglied zu werden und damit die Verbreitung und Etablierung des Ex-In-Konzeptes zu verbessern.
Darüber hinaus kann man auch Forschungsarbeit in psychischen oder psychosozialen Bereichen betreiben. Wer in Richtung Selbstständigkeit strebt, kann außerdem eine eigene Selbsthilfegruppe für Betroffene gründen und somit in der Arbeit als Genesungsbegleiter/in weitestgehend unabhängig agieren.
Genesungsbegleiter/in – Gehalt während der Ausbildung
Die Ausbildung zum/zur Genesungsbegleiter/in wird nicht vergütet. Es besteht allerdings die Möglichkeit, über Stipendien, Stiftungen oder den aktuellen Arbeitgeber finanzielle Unterstützung zu erhalten.
Genesungsbegleiter/in – Gehalt im weiteren Berufsleben
Bei der Ausbildung zum/zur Genesungsbegleiter/in handelt es sich um eine noch recht “junge” Qualifikation, weshalb es noch keine tarifliche Anerkennung dafür gibt. Dies ist eher eine Ausnahme für Berufe im Gesundheitswesen, denn normalerweise sind die Gehälter für Krankenschwestern, Medizinische Fachangestellte und Co. per Tarifvertrag festgelegt. Eine formale Aufnahme ist daher schon in Planung.
Das monatliche Bruttogehalt eines/-r Genesungsbegleiters/-in beträgt im Mittel 3.038 Euro. Auffällig ist, dass die Bezahlung stark mit der geographischen Lage variiert: Im Süden und Westen Deutschlands beträgt das Gehalt durchschnittlich um die 3.000 Euro, während es im Osten und Nordosten der Bundesrepublik nur auf circa 2.500 Euro kommt. Die besten Aussichten bezüglich der Vergütung hat man in Hessen und Baden-Württemberg, wo das Bruttogehalt bei 3.289 Euro monatlich liegt. Doch auch die berufliche Erfahrung spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle beim endgültigen Gehalt, wie die folgende Grafik darstellt.
Genesungsbegleiter/in – Aufgaben im Arbeitsalltag
Das Aufgabenfeld als Genesungsbegleiter/in kann sich über einen sehr weiten Bereich erstrecken. Da jede/r Betroffene eine persönliche Geschichte mitbringt, gilt es, alle Maßnahmen möglichst auf den/die Klienten/-in individuell anzupassen. Grundsätzlich berät, begleitet und unterstützt man den/die Patienten/-in in den verschiedensten Lebenssituationen. Dabei kristallisieren sich im Regelfall diese Aufgaben heraus: Selbstversorgung und Wohnen, Tagesgestaltung, Ausbildung und berufliche Rehabilitation, Krisenintervention und Behandlungspläne schreiben.
Genesungsbegleiter/in – Weiterbildungsmöglichkeiten
Das Feld der psychischen Erkrankungen ist sehr weit gefasst und dementsprechend gibt es auch viele Möglichkeiten, sich in bestimmten Bereichen weiterzubilden und sich zu spezialisieren. Mögliche Spezialgebiete sind beispielsweise die Arbeit mit Jugendlichen, Gefängnisinsassen oder Menschen mit Suchtproblemen. Aber auch Spezialisierungen auf bestimmte Krankheiten und der Umgang mit diesen, wie Schizophrenie, Depression oder bipolaren Störungen sind als Genesungsbegleiter/in erwägenswert.
Wer darüber hinaus eine Hochschulzugangsberechtigung besitzt, kann außerdem ein Studium der Psychologie als Weiterbildungsmaßnahme in Betracht ziehen und als Psychologe/-in arbeiten.
Genesungsbegleiter/in – Arbeitszeiten
Das Arbeitspensum als Genesungsbegleiter/in ist recht variabel, denn die Einsatzzeit muss auf die jeweiligen, individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände des/der Patienten/-in abgestimmt werden und mit dem persönlichen Tagesablauf vereinbar sein. In der Regel kann man aber sagen, dass sich die wöchentliche Arbeitszeit auf etwa 20 bis 30 Stunden beläuft.
Genesungsbegleiter/in – Wo kann gearbeitet werden?
Die Einsatzmöglichkeiten in diesem Berufsfeld sind recht vielfältig, denn die Betreuung von psychischen Erkrankungen kann durch verschiedene Institutionen geschehen. Klassischerweise werden Genesungsbegleiter/innen in Kliniken, psychiatrischen Einrichtungen, Wohnheimen oder Beratungsstellen angestellt. In letzter Zeit haben sich auch immer mehr Möglichkeiten ergeben, online Beratungen zu psychischen Problemstellungen durchzuführen. Doch auch beispielsweise im Maßregelvollzug oder in der Jugendhilfe kann das Fachwissen eines/r Genesungsbegleiters/-in Anwendung finden.
Passende Stellenangebote für Genesungsbegleiter/-innen
Auf der Suche nach einem Job im Bereich der Genesungsbegleitung? Auf Medi-Karriere findet man zahlreiche Angebote zu freien Stellen als Genesungsbegleiter/in, Jobs als Sozialpädagoge/-in oder zu Berufen im Bereich Psychologie.
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Trialogisches Forum, https://www.dgppn.de/... (Abrufdatum: 01.12.2022)
- Genesungsbegleiter/in, https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/... (Abrufdatum: 29.11.2022)