
Alkohol im Pflegeheim ist gar nicht so selten, wie man vielleicht denkt. Es gilt generell als Tabu, über Sucht zu sprechen, aber noch schlimmer scheint die Hemmung zu sein, wenn es um die Suchtproblematik alter Menschen geht. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) geht bundesweit von 400.000 Menschen über 60 Jahren mit alkoholbezogenen Störungen aus. Der Hauptgrund hierfür ist die Tatsache, dass derzeit die Wirtschaftswundergeneration alt wird und ihren über Jahrzehnte gepflegten – und zu ihrer Zeit gesellschaftlich akzeptierten – Alkoholkonsum mit ins Altersheim nimmt. Zu wissen, wie mit dem Alkoholkonsum der Bewohner eines Pflegeheims umgegangen werden kann, ist daher für Pflegefachkräfte hilfreich.
Gründe für den Konsum von Alkohol im Pflegeheim
Die Gründe für den Konsum von Alkohol im Pflegeheim sind so vielfältig wie die Senioren selbst: Von dem schlichten Geselligkeitseffekt über den reinen Genuss, gepaart mit der Erhaltung von Lebensqualität bis hin zur Betäubung von psychischen oder physischen Schmerzen ist alles dabei. In die Entstehung einer Alkoholproblematik spielen viele Faktoren mit hinein wie z.B. die Tatsache, dass Alkohol leicht verfügbar und gesellschaftlich akzeptiert ist, oder dass Alkohol häufig getrunken wird, um Stress und psychische Belastungen des Lebens im Altersheim zu bewältigen.
Es gibt zwei Hauptgruppen unter den alkoholabhängigen Senioren: Die eine Gruppe trinkt bereits seit Jahrzehnten regelmäßig Alkohol in großen Mengen, ist einen gewissen „Pegel“ gewohnt und zeigt daher kaum Trunkenheits-Symptome auch bei größeren Mengen. Die andere Gruppe entwickelt aufgrund besonderer psychischer Belastungen und Verlusterlebnisse erst im höheren Alter eine Alkoholproblematik. Schätzungen der DHS zufolge haben 30 – 50 % der Senioren erst ab dem 60. Lebensjahr mit dem Problemtrinken begonnen.
Recht auf Selbstbestimmung
Das Recht auf Selbstbestimmung muss vor allen anderen Überlegungen stehen und Altenpflegekräfte sollten sich daher zunächst fragen, ob von dem Bewohner unter Alkoholeinfluss eine Fremdgefährdung ausgeht. Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes garantiert das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sofern die Rechte anderer nicht verletzt werden oder ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz vorliegt. Unter diese Entfaltung der Persönlichkeit fällt beispielsweise der Alkoholkonsum eines alkoholkranken Heimbewohners alleine in seinem Zimmer, wo er während seines Rausches niemanden in Mitleidenschaft zieht und sich mindestens so weit unter Kontrolle hat, dass er nicht auf Hilfe angewiesen ist.
Kein generelles Verbot von Alkohol im Pflegeheim
Demnach kann es kein generelles Verbot von Alkohol im Pflegeheim geben; eine Regulierung kann jedoch in Einzelfällen von Vorteil sein. Für eine Regulierung spricht z.B., dass Alkoholkonsum mit einem Verlust von Verhaltenskontrolle einhergehen und zu Problemen mit Personal und Mitbewohnern führen kann. Außerdem wird das menschliche Gehirn mit steigendem Alter anfälliger für Alkohol, da der verringerte Wasseranteil im Körper bei gleicher Alkoholmenge einen höheren Blutalkoholspiegel als bei jüngeren Menschen bedingt. Hinzu kommt, dass die Leistungsfähigkeit der Leber im Alter stark abnimmt und Alkohol schlechter abgebaut wird.
Wann eine Regulierung von Alkohol im Pflegeheim sinnvoll ist
Eine Regulierung muss zwangsläufig erfolgen, wenn Alkohol mit Medikamenten kombiniert wird. Hierdurch steigt nicht nur die Belastung für den Organismus, sondern Alkohol hemmt oder verstärkt die Wirkung von Medikamenten in unkalkulierbarer Weise. Ferner erhöht sich die Sturzgefahr unter Alkoholeinfluss, was gerade bei älteren Menschen gefährlich ist, da ihre Knochensubstanz porös ist und sich somit das Risiko für Brüche erhöht.
Risikoarmes und risikoreiches Trinkverhalten einschätzen
Für die Einschätzung von risikoarmem und risikoreichem Trinkverhalten kann sich das Pflegepersonal an die Richtwerte halten, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vorgegeben werden: Hiernach liegt die Tagesgrenze reinen Alkohols für Menschen ab 65 Jahren für Frauen bei 12 Gramm und für Männer bei 24 Gramm. Liegt der Patient darunter, sollte alles im grünen Bereich sein, liegt er darüber, sollte man über eine Regulierung nachdenken.
Dies gilt jedoch nur, sofern keine zusätzlichen Medikamente eingenommen werden. Sollte dies der Fall sein, sollten Pflegekräfte und Pflegefachkräfte ärztlichen Rat einholen und klären, ob sich der Alkoholkonsum mit den jeweiligen Medikamenten verträgt.
Verträgliche Mengen für Senioren
Die Grenze zwischen maßvollem Genuss und Sucht verläuft fließend. Generell unbedenklich sind laut der Empfehlung des amerikanischen National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), worauf die BZgA verweist, 200 ml Bier oder 100 ml Wein pro Tag, sofern keine Wechselwirkungen mit Medikamenten zu erwarten sind. Ein gelegentliches Überschreiten dieser Mengen ist auch kein Problem, sollte aber nicht zur Norm werden.
Sonderfall: Alkoholabhängige Pflegeheimbewohner
Alkoholkranke Heimbewohner bilden die Ausnahme von der Regel und können von einem kompletten Alkoholverbot profitieren. Dies kann entweder die Pflegeleitung durchsetzen, wenn vom Konsumenten eine Gefahr für Dritte ausgeht (sprich: wenn das Pflegepersonal vermehrt belastet oder der Heimbetrieb gestört wird), oder ein gesetzlicher Betreuer.
Dilemma für Altenpflegekräfte
Recht auf Selbstbestimmung, Fürsorgepflicht und Wohnheimrichtlinien machen es dem Pflegepersonal nicht leicht, die Balance zwischen unrechtmäßiger Bevormundung und hilfreicher Intervention zu halten. Nicht zuletzt besteht laut Grundgesetz auch das Recht auf selbstschädigendes Verhalten: Demnach kann einem alkoholkranken und gesundheitlich fragilen älteren Menschen, der für sich selbst die Entscheidung getroffen hat, trotz der ihm bekannten gesundheitlichen Nachteile Alkohol zu konsumieren und dies in einer Weise tut, welche Dritte nicht in Mitleidenschaft zieht, der Konsum nicht verweigert werden.
Was Altenpflegekräfte tun können
Die BZgA gibt im Rahmen der Kampagne „Alkohol? Kenn dein Limit“ folgende Handlungs- und Formulierungsempfehlungen für Pflegekräfte: Zunächst sollte im Team darüber gesprochen werden, ob der Alkoholkonsum eines Bewohners auffällig erscheint, was durch eine Protokollführung eruiert werden sollte. Ist das Trinkverhalten auffällig, empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einer örtlichen Suchthilfe- oder ähnlichen Beratungsstelle bei der anschließenden Gesprächsführung mit dem Bewohner. Hierbei sollten vorwurfsvolle Formulierungen vermieden und stattdessen Unterstützung angeboten werden.
Alkoholkonsum beobachten
Die konsumierte Alkoholmenge eines Bewohners ermittelt man am besten per Protokoll im Pflegezimmer, damit der Bewohner es nicht mitbekommt. Hier kann jede Pflegekraft eintragen, was sie zu welcher Tageszeit beobachtet hat; nicht nur welche Alkoholmenge, sondern auch welche Verhaltensauffälligkeiten. So kann man gut eruieren, welche Gesamtmenge über einen Monat hinweg konsumiert wird, und welche gesundheitlichen Folgen dies hat.
Das Gespräch suchen
Als Faustregel für sensible Gespräche gilt: Man sollte andere so auf ein Problem ansprechen, wie man selbst darauf angesprochen werden möchte. Vorwürfe helfen niemandem, vielmehr sollten gemeinsame Handlungsoptionen gefunden werden. Persönliche Beobachtungen sind ein guter Einstieg, z.B.: „Ich mache mir Sorgen um Ihre Gesundheit, wenn ich die vielen Flaschen in Ihrem Zimmer sehe.“ Oder: „Ich finde es schade, dass Sie immer seltener Lust zum Spazieren haben, und frage mich, ob das mit Ihrem Alkoholkonsum zusammenhängt.“ Anschließend ist es gut, die Unterstützung des Teams anzubieten und auf Informationsangebote und Anlaufstellen hinzuweisen.
Das Problemgespräch sollte versöhnlich beendet werden, egal wie negativ die Erstreaktion des Bewohners ausfiel, z.B.: „Ich verstehe, dass Sie jetzt erstmal in Ruhe nachdenken möchten, aber ich würde mich freuen, wenn wir in ein paar Tagen nochmal reden.“
Betreutes Trinken
Im Düsseldorfer Altenzentrum St. Josef wird seit 2010 alternativ zum kompletten Alkoholverbot „betreutes Trinken“ praktiziert: Dort erhalten alkoholabhängige Bewohner dreimal täglich unter Aufsicht wahlweise ein Glas Wein, Bier oder Sekt. Ob die Bewohner auch zwischen den Ausgaben Alkohol konsumieren, kann die Einrichtung aber nicht kontrollieren, denn Privatzimmer und Schränke sind Privatsphäre und dürfen nur mit Einwilligung des Bewohners überprüft werden. Die Resonanz der Bewohner auf das Projekt ist bisher positiv, da viele die Regulierung gepaart mit Eigenverantwortung zu schätzen wissen.
Suchtprävention
Suchtprävention bei älteren Menschen erfordert Sensibilität und Zeit, denn die Symptome von Alkoholsucht können auch mit normalen Altersbeschwerden verwechselt werden: Gangunsicherheit und vermehrte Stürze, Zittern, Ängste und depressive Verstimmungen, Schlafstörungen sowie Verwirrtheit und mangelnde Konzentration können entweder harmlose Alterserscheinungen oder Anzeichen für eine Alkoholsucht sein.
Ältere Menschen sollten daher auch zur Selbstbeobachtung ermutigt werden, z.B. indem man sie fragt, ob sie heutzutage mehr oder weniger Alkohol vertragen als früher; dies kann auf eine Toleranzbildung oder Leberprobleme hinweisen. Viele sind froh über die Nachfrage und bemerken dadurch selbst, ob etwas nicht stimmt. So unterstützt man die Selbständigkeit der Heimbewohner und lässt sie aktiv an ihrer eigenen Gesundheitsfürsorge teilhaben.
Passende Stellenangebote für Pflegekräfte
Wer derzeit auf der Suche nach einem passenden Stellenangebot im Bereich Pflege ist, findet bei Medi-Karriere eine große Auswahl, beispielsweise Altenpflege-Stellen, Jobs für Gesundheits- und Krankenpfleger/innen oder Kinderkrankenschwester-Stellenangebote.
1. Rausch um Alter – der Umgang mit Alkohol im Pflegeheim, www.rechtsdepesche.de (Abrufdatum: 15.08.2021)
2. Alkohol im Alter birgt besondere Risiken, www.bzga.de (Abrufdatum: 15.08.2021)
3. www.biva.de/recht-auf-rausch/ (Abrufdatum: 15.08.2021)
4. www.alcoholrehabguide.org/blog/alcohol-nursing-home/ (Abrufdatum: 15.08.2021)