Erlebnisse, die ein Trauma auslösen, können jedem Menschen passieren. Medizinisches Personal ist bei der Arbeit zusätzlich großen psychischen Belastungen ausgesetzt, denn dort werden sie mit Schwerverletzten konfrontiert, die z.B. Opfer von Terroranschlägen oder Gewalttaten wurden. Viele tun sich schwer, mit dieser psychischen Belastung offen umzugehen, weil sie fürchten, vor ihren Kolleginnen und Kollegen als nicht belastbar dazustehen.
Dabei ist ein Trauma nicht anders als ein Knochenbruch. Beides muss ohne Schuldfrage aktiv korrigiert statt ignoriert werden, damit es nicht zu langwierigen Folgeschäden kommt. Kein/e behandelnde/r Chirurg/in wirft einem/einer Patienten/-in vor, dass ein stärkerer Knochen den Autounfall ausgehalten hätte. Genauso wenig darf medizinischen Fachkräften vorgehalten werden, dass eine belastbarere Psyche sie vor einem Trauma geschützt hätte.
Trauma – Entstehung und Definition
Ein Trauma ist eine starke psychische Erschütterung, die noch lange nach ihrem akuten Auftreten wirksam ist und durch plötzliche Belastungssituationen entsteht. Es ist eine körpereigene Schutzfunktion: Der Körper aktiviert das „Notprogramm“ durch erhöhten Blutdruck, die vermehrte Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin und ermöglicht es der traumatisierten Person, durch emotionale Abstumpfung (sog. Dissoziation) handlungsfähig zu bleiben.
Traumatisierungen können bei medizinischem Personal wie z.B. Pflegefachkräften, Ärzten/-innen, Rettungssanitätern/-innen usw. durch das Miterleben von Sterbeprozessen entstehen, durch die Konfrontation mit schwerverletzten Patienten/-innen oder durch Angriffe auf medizinisches Personal.
Trauma – Phasen
Eine Traumatisierung verläuft in fünf Phasen: Schockphase, Verarbeitungsphase, Stabilisierungsphase, Konfrontationsphase und Integrationsphase.
Schockphase
Die Schockphase kann unbemerkt und ruhig ablaufen: Ärzte/-innen, die in der Notaufnahme entschlossen eine verletzte Person wiederbelebt haben, stehen plötzlich wie versteinert da und betrachten ihre blutigen Hände. Oder Pflegekräfte, die soeben ein Kind haben sterben sehen und aus Fürsorge den Eltern gegenüber stoisch geblieben sind, gucken danach im Stationszimmer starr aus dem Fenster.
Die Schockphase kann aber auch nach außen sichtbar sein: Rettungssanitäter/-innen sitzen nach einer harten Einsatzfahrt im Krankenwagen und weinen. Oder Chirurgen/-innen, die soeben einen Patienten beim Eingriff verloren haben, schreien ihre Kollegen/-innen an und treten einen Mülleimer durchs Zimmer.
Verarbeitungsphase
In der Verarbeitungsphase denken Betroffene über das Erlebte nach, analysieren ihre Handlungen und suchen Fehler. Dies kann mit starken Stimmungsschwankungen verbunden sein: In der einen Sekunde jubelt der/die Arzt/Ärztin, dass er oder sie den Herzinfarktpatienten gerettet hat – in der nächsten Sekunde verzweifelt er oder sie daran, wie leicht es hätte schiefgehen können.
Jeder Mensch ist anders und verarbeitet Erlebnisse individuell. Während z.B. der eine Arzt aus einer solchen Situation gestärkt hervorgeht und bei der nächsten Reanimation noch effizienter arbeitet, kann das gleiche Erlebnis einen anderen Arzt durch Selbstzweifel oder Angst vor einem erneuten Erlebnis dieser Art zur Kündigung bringen.
Trauma bewältigen – Schritte der Therapie
Gerade Menschen in medizinischen Berufen gehen oft mit Galgenhumor und der Einstellung „was nicht umbringt, macht stärker“ mit belastenden Erlebnissen um. Das kann für manche wirken, aber nicht für alle und nicht in allen Situationen. Aufgrund dieser sarkastischen Gruppendynamik ist bei vielen Betroffenen oft der Wille enorm, traumatische Ereignisse ohne psychologische Hilfe zu bewältigen.
Wer Distanz von seinem Trauma sucht, kann z.B. ein Hobby oder Sozialkontakte pflegen, denn Entspannung, Freundschaften und familiärer Rückhalt sind ein gutes Heilmittel gegen Traumastörungen. Neben kostenfreien Hotlines (etwa bei psyche.net) oder gibt es z.B. auf diverse Belastungssituation abgestimmte Online-Kurse, Podcasts oder Bücher. Auch Notfallseelsorger/-innen, klinikinterne Psychologen/-innen sowie psychiatrische Notaufnahmen können genutzt werden.
Stabilisierung
In der Stabilisierungsphase erlangen Betroffene ihre Regulationsfähigkeit über ihre Gefühle zurück, das Gedankenkarussell kommt zur Ruhe und Spannungen lösen sich. Entspannungs- und Achtsamkeitstechniken können dabei helfen, Stress zu reduzieren.
Mit etwas Abstand zur belastenden Situation wird einem klar, welche Stärken man aus dem Trauma ziehen kann, z.B. dass man als Arzt/Ärztin Leben rettet oder dass man als Pfleger/in bei Todesfällen den Angehörigen eine Stütze ist. Findet sich nichts Positives in einem Trauma – wenn man z.B. als Rettungssanitäter/in grundlos attackiert wurde – können mit Hilfe von Therapeuten/-innen Bewältigungstechniken erlernt werden, z.B. die Vorstellung, dass man das belastende Ereignis in einen Tresor einschließt.
Gefühl der Sicherheit wiedererlangen
Wieder ein Sicherheitsgefühl zu erlangen ist essentiell, denn nur so können körpereigene Erholungsprozesse beginnen und Kraftreserven geschont werden, damit kein Erschöpfungszustand oder Burnout eintritt. Mentale Entspannungsübungen wie z.B. autogenes Training können dabei helfen, den Blutdruck runterzubringen und das Atmen zu verlangsamen, wenn man schon beim Betreten der Notaufnahme, des Krankenwagens oder OPs zu hyperventilieren beginnt. Auch Mantras können Sicherheit vermitteln: „Ich kann das. Ich bin gut in meinem Job. Ich weiß, was ich mache.“
Zur Ruhe kommen
Viele medizinische Fachkräfte bleiben nach Akutbelastungssituationen lieber im Zustand des sog. Hyperarousal (der Übererregung), als zur Ruhe zu kommen. Denn in der Ruhe und Entspannung warten unterdrückte Gefühle wie Panik, Selbstzweifel, Wut und Trauer. Inseln der Stille, Entspannung und Ruhe sind aber unverzichtbar, auch wenn es auf der Station noch so heiß hergeht.
Hilfreiche Gewohnheiten nutzen
Traumatische Erfahrungen konfrontieren einen mit viel neuer, unverarbeiteter Information auf einmal. Daher sind altbewährte Lieblingsgewohnheiten das beste Gegenmittel nach einem Trauma. Wichtig ist nur, dass man sich durch die vermeintliche Ablenkung keinen neuen Stress aufbürdet: schweißtreibendes Marathontraining oder ein blutrünstiger Horror-Film sind eher unangemessen.
Über das Trauma reden
Die Redewendung „sich etwas von der Seele reden“ gibt es nicht umsonst, denn was ausgesprochen ist, wird greifbar und kann verarbeitet werden. Als Gesprächspartner/in eignen sich Vertrauenspersonen in- und außerhalb der Arbeit, egal ob Kollegen oder Kolleginnen oder ein guter Kumpel. Vor allem medizinische Fachkräfte sollten dabei aber bedenken, dass manche gern aus Sensationslust blutige Geschichten hören.
Es gibt jedoch auch ein Zuviel: Wer immer wieder Details bespricht, belebt seine Panik wieder und verstärkt die Traumatisierung, statt Erleichterung zu schaffen. Auch wenn das Gegenüber mehr wissen will, sollte man immer nur so viel erzählen, wie es angenehm ist. Da mit einem Trauma ein Kontrollverlust verbunden ist, sollte man sich beim Erzählen das Gefühl der Selbstbestimmung erhalten.
Zeit lassen
Wie lange es dauert, ein Trauma zu bewältigen, ist vom Individuum und dem Trauma abhängig, denn Schwere und Art des Traumas sind entscheidend. Als Faustregel gilt: Findet man nach und nach in seinen gewohnten Lebensalltag zurück, benötigt man keine professionelle Hilfe. Zeigen sich jedoch in den ersten Monaten z.B. Depressionen, Flashbacks, Schlafstörungen oder plötzlich auftretende physische Beschwerden, ist eine Psychotherapie ratsam.
Konfrontation
Oft reicht die natürliche Stabilisierungsphase bei der Traumabewältigung aus, in schwierigeren Fällen kann jedoch eine Traumaexposition sinnvoll sein. Hierbei wird der oder die Betroffene erneut mit dem Trauma konfrontiert, um die Symptome langfristig zu lindern. Der oder die Betroffene ruft sich die Bilder des Todes oder des Eingriffes unter Aufsicht eines/einer Therapeuten/-in in Erinnerung mit dem Ziel, das Erlebnis als „alten Film“ abzuspeichern und als Vergangenheit abzuhaken.
Integration
Zuletzt wird das Trauma in die persönliche Lebensgeschichte integriert und abgehakt. Hilfreiche Fragen sind z.B.: Was kann ich daraus lernen? Wie kann ich mit einer vergleichbaren Situation umgehen? Kann ich etwas tun, um es zu verhindern oder abzuschwächen? Wer in dem vergangenen Negativereignis etwas Positives findet, kann einen Sinn erkennen und mit dem Trauma abschließen.
Mögliche Folgen eines unverarbeiteten Traumas
Bleibt ein Trauma unverarbeitet, kann es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) werden, die eventuell dauerhaft das Leben des oder der Betroffenen verändert. Eine PTBS kann Beziehungen erschweren, die Lebensfreude beeinflussen und zu Depressionen oder Panikattacken führen. Schlimmstenfalls kann eine PTBS chronisch und nur mit einer langfristigen Traumatherapie behoben werden.
Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Typische Symptome einer PTBS sind
- Flashbacks der Traumasituation
- Vermeidung von Traumareizen, z.B. Angst den OP zu betreten
- Emotionale Taubheitsgefühle
- Übererregung, z.B. Schwitzen, Zittern, Herzrasen
- erhöhte Schreckhaftigkeit
- andere psychische Erkrankungen, z.B. Depression, Burnout, Angst-, Ess- oder Persönlichkeitsstörung
Halten diese Symptome länger an und beeinträchtigen das private, soziale oder berufliche Leben, sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden.
Trauma bewältigen – Professionelle Hilfe suchen
Die Psychotherapie zur Bewältigung von Traumata ist so individuell wie der oder die Betroffene selbst. Sie beginnt mit einer Aufklärung über das Krankheitsbild und erleichtert die Verarbeitung durch das Erlernen von Entspannungstechniken und Selbstmanagementfertigkeiten zur emotionalen Regulation. Ihr Ziel ist die Reduzierung der hohen Emotionalität und der damit verbundenen Anspannung. Die Betroffenen lernen zu erkennen, dass ihr Trauma eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis darstellt und können so z.B. Schuldgefühle oder Selbstzweifel überwinden.
Passende Stellenangebote für Pflegekräfte
Wer auf der Suche nach einem passenden Stellenangebot für Pflegekräfte ist, findet bei Medi-Karriere eine breite Auswahl – zum Beispiel Jobs für Gesundheits- und Krankenpfleger/innen sowie Altenpfleger/innen-Stellenangebote.
1. psychotraumatologie.de/selbsthilfe/ueberwinden.html (Abrufdatum: 28.02.2022)
2. trauma-akut.de/trauma-ueberwinden-diese-moeglichkeiten-gibt-es/ (Abrufdatum: 28.02.2022)
3. psychotherapie-hegner.de/trauma-verarbeitung/ (Abrufdatum: 28.02.2022)
4. Unfreiwilliges Wiedererleben: Trauma erkennen & behandeln, www.oberbergkliniken.de (Abrufdatum: 28.02.2022)
5. Mit drei Phasen zurück ins Leben, www.spiegel.de (Abrufdatum: 28.02.2022)
6. www.christina-ralfs.de/leistungsspektrum/traumatherapie/ (Abrufdatum: 28.02.2022)
7. traumaheilung.de/die-schwierigkeit-von-entspannung/ (Abrufdatum: 28.02.2022)