In zahlreichen Berufen gehört Bereitschaftszeit zum Alltag, so auch in der Pflege. Über die Frage, wie Beschäftigte während der Rufbereitschaft entlohnt werden, gibt es immer wieder Streit. Im März 2021 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg nun ein Grundsatzurteil gefällt. Demnach kann die berufliche Bereitschaft unter gewissen Voraussetzungen komplett als Arbeitszeit gewertet werden.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Wann gilt Rufbereitschaft als Arbeitszeit?
Die Arbeit in Bereitschaft kennen viele Pflegekräfte und Rettungssanitäter. Das ständige Bereithalten für einen möglichen Arbeitseinsatz wirkt sich oft negativ auf das Privatleben und die Work-Life-Balance aus. Häufig gibt es daher Streit um die Frage, wie die Rufbereitschaft entlohnt wird.
Das deutsche Arbeitsrecht unterscheidet drei Arten des Bereitschaftsdienstes: Bei der Arbeitsbereitschaft müssen Beschäftigte am Arbeitsplatz einsatzbereit sein. Im Bereitschaftsdienst ist die Anwesenheit am Arbeitsplatz nicht erforderlich, Beschäftigte müssen aber zeitnah vor Ort sein können und der Arbeitgeber gibt vor, wo sie sich aufhalten dürfen. Während der Rufbereitschaft können Beschäftigte ihren Aufenthaltsort frei wählen, müssen jedoch jederzeit einsatzbereit sein. Einige Verträge machen genaue Vorgaben, wie schnell sie im Falle eines Einsatzes am Arbeitsplatz eintreffen müssen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst gelten als Arbeitszeit. Über die Wertung der Rufbereitschaft hat der EuGH nun ein Grundsatzurteil gefällt.
Dem Urteil vorangegangen waren die unabhängig voneinander erhobenen Klagen eines deutschen Feuerwehrmanns und eines slowenischen Technikers. Die Richter entschieden, dass die Bereitschaftszeit unter gewissen Umständen komplett als Arbeitszeit gelten kann. Das sei dann der Fall, wenn die Rufbereitschaft den Arbeitnehmer in seiner Freizeitgestaltung “objektiv ganz erheblich” beeinträchtigt.
Bereits 2003 hatte der EuGH entschieden, dass die Zeit in Bereitschaft unabhängig vom tatsächlichen Arbeitseinsatz als Arbeitszeit gewertet werden kann, sofern der Arbeitgeber sich während dieser Zeit einsatzbereit am Arbeitsplatz aufhalten muss, der nicht mit seiner Wohnung identisch ist. Das aktuelle Urteil baut auf dieser Entscheidung auf. Der Urteilsspruch hat Auswirkungen auf alle Branchen, die unter die Arbeitszeitrichtlinie der EU und das deutsche Arbeitszeitgesetz fallen, darunter auch Pflegeberufe.
Nationale Gerichte müssen über Einzelfälle entscheiden
Die Einzelfälle müssen noch von den nationalen Gerichten geprüft werden. Der EuGH hat den Richtern dafür Kriterien an die Hand gegeben. Unter anderem müssen die Richter die Frist berücksichtigen, innerhalb derer die Beschäftigten sich am Einsatzort einfinden müssen. Auch die Häufigkeit der Einsätze spielt für die Bewertung eine Rolle. Führt die Rufbereitschaft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Arbeitseinsatz, hindert dies einem Gutachten von Generalanwalt Giovanni Pitruzzella zufolge den Beschäftigten daran, seine Freizeit zu planen. Darüber hinaus seien weitere Faktoren wie die Verpflichtung zum Tragen von Dienstkleidung zu beachten. Aber auch Erleichterungen sollen in die Entscheidung einfließen, etwa die Bereitstellung eines Dienstfahrzeugs. Bei der Beurteilung dürfen ferner nur solche Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Beschäftigten durch Arbeitgeber oder Tarifvertrag auferlegt sind. Führen organisatorische Schwierigkeiten oder Entscheidungen des Arbeitnehmers dazu, dass er seine Freizeit nicht frei planen kann, habe dies keinen Einfluss auf die Wertung der Rufbereitschaft.
Kommt es während der Rufbereitschaft zu keiner erheblichen Einschränkung der Freizeitgestaltung, sei dem EuGH zufolge nur die Zeit als Arbeitszeit anzusehen, in der tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wird. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die Beschäftigten sich zu häufig in Rufbereitschaft halten müssen. Auch dürfen die Zeiträume der Rufbereitschaft nicht so lang sein, dass sie Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer gefährden.
Anspruch auf volle Vergütung lässt sich nicht ableiten
Der EuGH stellt darüber hinaus klar, dass sich aus seiner Entscheidung kein Anspruch auf die volle Entlohnung der Bereitschaftszeit ableiten lasse. Die reguläre Vergütung sei nur verpflichtend, wenn Beschäftigte nach einem Notruf auch ihre reguläre Arbeit aufnehmen. Weitere Vorgaben zur Entlohnung der Rufbereitschaft macht der EuGH nicht. Der Gewerkschaft ver.di zufolge gilt für alle Rufbereitschaften, die als Arbeitszeit eingestuft werden, der Mindestlohn.
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