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Evidence-based nursing (EBN) prägt die moderne Gesundheitsversorgung maßgeblich. Sie basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und verbessert die Pflegequalität und Patientensicherheit. Pflegefachkräfte treffen fundierte Entscheidungen und optimieren die Patientenversorgung durch die Integration von EBN in ihre Praxis. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen der evidenzbasierten Pflege, ihre Bedeutung und praktische Anwendungen für Pflegekräfte.
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Evidence-based Nursing – Definition
Evidence-based nursing (EBN) oder evidenzbasierte Pflege ist ein Ansatz in der Krankenpflege. Er zielt darauf ab, Entscheidungen auf der Grundlage von evidenzbasierten Informationen zu treffen. Dies bedeutet, dass Pflegefachkräfte bei ihrer Tätigkeit nicht nur auf Traditionen oder persönliche Erfahrungen zurückgreifen, sondern auch auf das beste verfügbare wissenschaftliche Wissen. Damit ist EBN ein Ableger der evidenzbasierten Medizin. Das Verfahren basiert auf folgenden sechs Schritten:
- Aufgabenstellung
- Frageformulierung
- Literaturrecherche
- Beurteilung der Rechercheergebnisse
- Anpassung der Praxis
- Evaluation
Auf dieser Basis folgt die Pflegepraxis wissenschaftlichem Arbeiten.
Evidence-based Nursing – Aufgaben und Ziele
Insgesamt soll Evidence-based Nursing helfen, Pflegeentscheidungen auf dem neusten Stand der Forschung zu treffen und aktuellen Standards anzupassen. Diese ändern sich in der Medizin ständig. EBN soll dabei helfen, Methoden anzuwenden, die bei möglichst vielen Menschen zu positiven Effekten führen. Dafür müssen Pflegepersonen lernen, gute und aktuelle Publikationen zu finden, lernen, deren Aussagekraft und Inhalte zu interpretieren und damit zu arbeiten.
Statistiken verstehen: Grenzen von Evidence-based Nursing
Menschen sind immer individuell. EBN soll zwar helfen, Methoden in der Pflegepraxis zu finden, die mit einer möglichst großen Wahrscheinlichkeit zu einem Erfolg führen (also wenn dieser bei vielen anderen eintritt), das heißt aber nicht, dass sie das müssen. Evidenzbasierte Pflege sollte man deswegen immer im Zusammenhang mit individuellem Abwägen anwenden.
Evidence-based Nursing in sechs Schritten
Evidenzbasierte Pflege folgt einem strukturierten Prozess in sechs Schritten. Das verbessert die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen auf dem neuesten Stand der Forschung basieren und die besten Ergebnisse für die Patienten erzielen.
Aufgabenstellung klären
In diesem Schritt identifizieren Fachkräfte ein klinisches Problem oder eine Fragestellung, die Relevanz in der Pflegepraxis hat. Fällt das Problem beispielsweise in den eigenen Aufgabenbereich oder sollte man es an andere delegieren? Dieser Schritt ist die Basis den evidenzbasierten Pflegeprozesses und muss nur wenige Sekunden dauern. Er kann aber schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringen, wenn man ihn übergeht.
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Präzise Fragestellung
Ein klinisches Problem in eine präzise Frage zu verwandeln ist nicht immer leicht. Es erleichtert aber die Recherche zum Thema sowie die Umsetzung in die Pflegepraxis enorm. Die Präzise Fragestellung im Rahmen von Evidence-based Nursing zeichnet sich dabei damit aus, nicht einfach mit einem „ja“ oder „nein“ beantwortbar zu sein. In der Pflege hilft bei der Formulierung das PIKE-Schema. Dieses Akronym setzt sich folgendermaßen zusammen:
- “P“ steht für den Patient oder eine bestimmte Personengruppe, die betrachtet wird
- “I“ beschreibt die Intervention, die man aktuell anwendet
- “K“ formuliert man nicht immer mit, sondern dann wenn es eine Kontrollintervention gibt, mit der die ursprünglich betrachtete Intervention verglichen werden soll
- “E“ beschreibt das Ergebnis (Outcome), beziehungsweise die Variable mit der dieses gemessen werden soll
Recherche
Für die Recherche eignen sich die unterschiedlichsten Medien: Häufig verwendet man spezielle Plattformen für wissenschaftliche Veröffentlichungen – beispielsweise PubMed. Aber auch in Fachmagazinen und ähnlichen Medien (analog und digital) lassen sich wissenschaftliche Informationen finden. Der Vorteil von digitalen Bibliotheken ist dabei, dass man gezielt nach den durch das PIKE-Schema formulierten Keywords suchen kann. Experten/-innen im Bereich evidenzbasierte Pflege kennen sich dabei mit den Suchfunktionen der jeweiligen Tools aus und können gute Werke, Studien und Artikel identifizieren.
Beurteilen der Ergebnisse
Welche Evidenz ist die beste Quelle? Dieser Frage stellt sich die Wissenschaft immer und immer wieder. Auch beim Evendice-based Nursing findet sie Anwendung. Primär will man bei der Recherche möglichst vergleichbares Material zum eigenen Fall finden. Man sollte also darauf achten, dass die wissenschaftliche Fragestellung und die betrachtete Population möglichst dem konkret vorliegenden Fall entspricht. Beim Vergleich und der Berücksichtigung von Studien sollte man immer auch die Art der zugrunde liegenden Studie beachten. Davon abhängig ist der „Level of evidence“.
Arbeit mit Studien: Level of Evidence
Evidenzbasierte Pflege arbeitet mit Studien und Fachartikeln als Quellen. Wie viel Aussagekraft eine Studie und deren Ergebnisse hat, hängt von mehreren Faktoren ab. Einen groben Überblick gibt der „Level of Evidence“ (auf Deutsch: Evidenzgrad oder Evidenzklasse). Je nachdem fallen die empfohlenen Konsequenzen für die Praxis aus: Er hängt von den systematisch empirisch erbrachten Beweisen eines Artikels.
Niedrige Evidenzklassen haben entsprechend Expertenmeinungen, Tierexperimente oder auch Querschnittstudien, während randomisierten Kontrollstudien ein hoher Grad zugesprochen wird. Da für Empfehlungen immer möglichst viele Fälle betrachtet werden sollten, ist der Level of Evidence am höchsten bei Meta-Analysen und Systematischen Übersichtsarbeiten (Systematik Review).
Anwendung in der Pflegepraxis
Eine Herausforderung von Evidence-based Nursing ist die Umsetzung von Theorie in die Praxis. Bei der Überlegung sollte man immer die eigenen Handlungsmöglichkeiten, aber auch Wünsche und Forderungen der Patienten mit einbeziehen: Zweimal in der Stunde einen bettlägerigen Patienten umzulagern, um einem Dekubitus vorzubeugen, ist bei einem normalen Personalschlüssel nicht umsetzbar und stimmt vermutlich auch mit den Wünschen der meisten Patienten nicht überein. Generell sollte man auch bei evidenzbasierter Pflegepraxis immer bedenken: Jeder Patient ist ein Mensch mit dem Wunsch nach Respekt und Würde.
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Evaluation
Im sechsten Schritt der evidenzbasierten Pflege wird die Auswirkung der umgesetzten Praktiken auf die Patientenversorgung bewertet. Hierbei analysiert man die Ergebnisse der Pflegeinterventionen, um festzustellen, ob die angewandten evidenzbasierten Praktiken die gewünschten Verbesserungen in Bezug auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten erzielten. Diese Bewertung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Pflegepraxis kontinuierlich optimiert wird und den bestmöglichen Nutzen für die Patienten bietet. Sie ermöglicht es Pflegefachkräften auch, ihre Entscheidungen und Handlungen zu reflektieren und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen.
EBN in der Pflege – Beispiel
Die 34-jährige Frau Muster hat sich bei Motorradfahren eine Fraktur des Oberschenkelhalses zugezogen, die chirurgisch gerichtet wird. In der Vergangenheit hatte sie bereits eine Tiefe Beinvenenthrombose (TVT). Dazu kommen mehrere Thrombose-Risikofaktoren, beispielsweise die Einnahme von hormoneller Kontrazeption („die Pille“) und eine Autofahrt über mehrere Stunden am Vortag. Das Pflegeteam der unfallchirurgischen Station berät über mögliche Maßnahmen der Prophylaxe auf Basis von Evidence-based Nursing.
Schritte | Anwendung |
Schritt 1: Problem | Erhöhtes Thromboserisiko durch hüftnahe Fraktur und zusätzliche Risikofaktoren, Suche nach Prophylaxen im Rahmen der Pflege (Mobilisation und physikalische Maßnahmen) |
Schritt 2: Fragestellung | Welchen Effekt hat die Mobilisation in den ersten Stunden Post-OP (K) im Vergleich zu späterer Mobilisation (I) auf das Thromboserisiko (E) bei jungen Patienten mit hüftnahen Frakturen (P)? |
Schritt 3: Recherche | AWMF-Leitlinien zur Prophylaxe von Thromboembolie, Thromboembolieprophylaxe in der Orthopädie (S3-Leitlinien), Studiensuche zu Mobilisation als Thromboseprophylaxe |
Schritt 4: Bewertung | Der aktuelle Stand der Forschung zeigt einen Zusammenhang zwischen frühzeitiger Mobilisation und einem geringeren Thromboserisiko, das spiegeln auch die aktuellen Leitlinien wider |
Schritt 5: Änderung der Pflegepraxis | Gemeinsam mit Physiotherapeuten erstellt das Team einen Mobilisationsplan, der zum frühst möglichen Zeitpunkt beginnt und die Last auf dem Bein von Frau Muster stetig erhöht. Nach Absprache mit der Patientin beginnt der Plan am Tag der OP |
Schritt 6: Evaluation | Die Maßnahmen sind bei Frau Muster erfolgreich. In der Nachbesprechung wird jedoch herausgearbeitet, dass die Maßnahmen, die die junge und sportliche Patientin umsetzen konnte, bei älteren Patienten für mehr Schwierigkeiten hätten sorgen können |
Evidence-based Nursing – Fazit
Die evidenzbasierte Pflege ist ein strukturierter Ansatz, der darauf abzielt, Entscheidungen in der Pflegepraxis auf dem neuesten Stand der Forschung und des wissenschaftlichen Wissens zu treffen. Durch einen sechsstufigen Prozess ermöglicht die evidenzbasierte Pflege eine kontinuierliche Verbesserung der Pflegequalität und der Patientenergebnisse. Individuelle Entscheidungen können Pflegekräfte damit gestützt auf wissenschaftlich strukturierte Grundlagen treffen. Wird EBN in Kombination mit individueller Berücksichtigung der Patientwünsche und den jeweilig individuellen Herausforderung angewandt, verbessert man damit Prozesse und erhöht die Chance auf Erfolge auf Ebene der Gesundheit und des Wohlbefindens von Pflegebedürftigen.
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- Burns, Rohrich, Chung et al., The Levels of Evidence and their role in Evidence-Based Medicine, Plast Reconstr Surg., veröffentlicht bei PubMed, 2011