Die Hauptakteure der Interessenvertretung für Pflegekräfte waren bisher Gewerkschaften wie ver.di, Pflegekammern und Berufsverbände. Mit der Gründung des Bochumer Bunds im Mai 2020 trat eine spezielle Pflegegewerkschaft mit hohen Ambitionen auf den Plan. Mehr Einfluss, intensive Interessenbündelung und spezieller Fokus auf Pflegende — soweit die hochgesteckten Vorsätze.
Aufgaben und Ziele
“Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden […]” gewährleistet Artikel 9 des Grundgesetzes. Damit ist die Wahrung und Verteidigung von Arbeitnehmerinteressen als Hauptziel gewerkschaftlicher Zusammenschlüsse bereits umrissen.
Gegenüber Arbeitgeberverbänden treten Gewerkschaften als Verhandlungspartner auf. Im Fokus steht dabei die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder und die Durchsetzung angemessener Gehälter. Davon profitieren auch Arbeitgeber, da auf diese Weise Streiks oder Boykotts vermieden und wiederholte Verhandlungen mit Beschäftigten-Kleingruppen abgewendet werden können.
Dabei sind die Aufgaben von Gewerkschaften vielfältig. Etwa in Fällen von unbezahlten Überstunden oder Entlassungsdrohungen durch Krankheit unterstützen sie ihre Mitglieder bei rechtlichen Auseinandersetzungen und der Durchsetzung von Forderungen an die Arbeitgeber-Seite.
Gewerkschaften übernehmen darüber hinaus unterschiedliche Aufgaben für ihre Mitglieder wie den Einsatz für
- faire Bezahlung
- verbesserte Arbeitsbedingungen
- kürzere Arbeitszeiten
- weitere Urlaubstage
- intensivere Mitbestimmung
Vor- und Nachteile
Gewerkschaften unterstützen ihre Mitglieder bei Konflikten, die das Arbeitsrecht betreffen. Diese kostenlose Rechtsberatung bis hin zur Unterstützung vor Gericht hat den Effekt, dass die Arbeitsplätze von Gewerkschaftsmitgliedern als sicherer gelten. Ein klarer Vorteil, doch nicht der einzige. Mehr Mitbestimmung, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten und ein fester Stand in Tarifverhandlungen sind weitere Pluspunkte.
Nachteile einer Mitgliedschaft ergeben sich etwa beim Aufstieg in Führungspositionen. Im Falle eines Streiks könnten Loyalitätskonflikte entstehen, die bei Unternehmensleitungen eher nicht gerne gesehen werden.
Mitbestimmung für Arbeitnehmer
Die Beteiligung von Mitarbeitern an wichtigen Entscheidungsprozessen gehört zu den Hauptverdiensten von Gewerkschaften und ist dort ein dauerhaft wichtiges Thema. Die Durchsetzungskraft hängt dabei stark von der Mitgliederzahl ab. Je größer diese ist, desto mächtiger kann die Gewerkschaft bei Tarifverhandlungen mit Arbeitgeberverbänden und Unternehmern auftreten.
Zudem pochen Gewerkschaften auf eine bessere Umsetzung des Mitbestimmungsrechts für Arbeitnehmer. Noch immer werden Betriebsratswahlen in vielen Firmen unterbunden. Dagegen möchten Gewerkschaften hart vorgehen. Sie setzen sich konsequent für arbeitnehmerrechtliche Interessenvertretung ein.
Unterstützung in Rechtsfragen
Größter Vorteil der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist das geringere Risiko, entlassen zu werden. Laut der von Laszlo Goerke und Markus Pannenberg durchgeführten Studie “Trade Union Membership and Dismissals” haben Gewerkschaftsmitglieder ein um 50 % geringeres Kündigungsrisiko als Beschäftigte ohne Mitgliedsausweis einer Gewerkschaft. Da Gewerkschaften ihre Mitglieder sowohl durch eine kostenlose Rechtsberatung, als auch in einem möglichen Gerichtsverfahren unterstützen, werden im tatsächlichen Kündigungsfall höhere Abfindungen wahrscheinlicher.
Das bedeutet wiederum ein erhöhtes finanzielles Risiko für den Arbeitgeber — und vergrößert so die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung für nicht gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter.
Mitgliedsbeiträge
Die monatlichen Beiträge für die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wie ver.di liegen bei etwa einem Prozent des Bruttogehalts. Wer sich in Elternzeit befindet oder arbeitslos ist, kann einen Mindestbeitrag entrichten. Ein vergleichsweise geringer Preis für die Vorteile, die sich im Allgemeinen als Gewerkschaftsmitglied ergeben.
Eine Gewerkschaft kann im Allgemeinen nur durchsetzungsstark agieren, wenn sie eine große und stabile Mitgliederbasis hat. Fehlt diese, können Forderungen eventuell nicht vehement genug verteidigt werden. Somit ist die Entscheidung für eine Mitgliedschaft auch abhängig von der Repräsentation der jeweiligen Berufsgruppe.
Wer vertritt Pflegekräfte?
Die Pflegebranche zählt etwa 1,7 Millionen Beschäftigte, fast 400.000 davon arbeiten in der ambulanten Pflege. Damit bilden sie die größte Berufsgruppe im Gesundheitssystem. In großen Gewerkschaften fühlen sich viele von ihnen nicht angemessen repräsentiert. Dem Wunsch nach einer gebündelten Interessenvertretung versucht der im Mai 2020 gegründete Bochumer Bund nachzukommen. Doch neben der neu gegründeten Pflegegewerkschaft setzen sich ver.di, Pflegekammern und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) für die Interessen der Pflegekräfte ein. Wo liegen die Unterschiede?
Bochumer Bund
“Aus der Praxis für die Praxis” — so lautet das Credo des Bochumer-Bund-Gründers Benjamin Jäger. Sein Ziel: gegründet von Pflegenden, die im Beruf aktiv sind, soll die neue Pflegegewerkschaft die realen Bedürfnisse der Beschäftigten in der Pflege stärker berücksichtigen können.
Das sind die wichtigsten Fakten:
- der monatliche Beitrag für regulär Erwerbstätige liegt bei 12,50 Euro
- Studierende, Auszubildende und Personen in schwierigen finanziellen Situationen zahlen einen ermäßigten Monatsbeitrag von 4 Euro
- Ziel ist es, eine robuste Interessensvertretung für Pflegefachkräfte zu bieten und sich für mehr Mitbestimmung, bessere Arbeitszeitgestaltung, sowie faire Entlohnung einzusetzen
- ab 2021 ist beim Bochumer Bund eine Rechtsschutzversicherung und Rechtsberatung im Mitgliedsbeitrag enthalten
Ver.di
Auch ver.di setzt sich in Deutschland für die Interessen von Beschäftigen in der Pflegebranche ein. Dabei vertritt ver.di nicht nur Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, sondern unterstützt die Belange unterschiedlicher Berufsgruppen.
- nur etwa jede Fünfte Pflegekraft ist Mitglied bei ver.di
- der Mitgliedsbeitrag berechnet sich aus dem monatlichen Bruttogehalt
- als Gewerkschaft liegt der Schwerpunkt von ver.di in der Tarifpolitik und damit der Durchsetzung fairer Löhne und guter Arbeitsbedingungen
- durch Warnstreiks konnte ver.di bisher an einzelnen Einrichtungen eine Verbesserung der Bedingungen für die Arbeit erreichen (z.B. an der Berliner Charité)
- der von ver.di mit dem BVAP ausgehandelte Tarifvertrag für Mindestbedingungen in der Altenpflege wurde Anfang 2021 von der Caritas abgelehnt
- zentrales Anliegen von ver.di ist die Steigerung der Tarifbindung im Gesundheitswesen
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK)
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) stellt die größte Interessenvertretung deutscher Fachkräfte in der Pflege dar.
- Hauptziel ist die Bündelung gemeinsamer Interessen seiner Mitglieder aus dem Bereich der Alten- und Kinderkrankenpflege, sowie der Gesundheits- und Krankenpflege
- der monatliche Mitgliedsbeitrag ist vom monatlichen Bruttogehalt abhängig und beträgt zwischen 11 Euro und 31 Euro (der ermäßigte Betrag liegt bei 6,50 Euro)
- der Berufsverband setzt sich gegenüber Gesellschaft, Kostenträgern und Politik für die Belange seiner Mitglieder ein
- der DBfK ist keine Gewerkschaft, verfügt jedoch durch seine hohe Mitgliederzahl über ein großes Einflusspotenzial
- der DBfK unterstützt die finanzielle Geschlechtergleichstellung in Pflegeberufen, die Professionalisierung des Pflegeberufs und eine stärkere Anbindung der Pflege an die Wissenschaft
Pflegekammern
Bundespflegekammer und Landespflegekammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und als solche in erster Linie für die Selbstverwaltung der Pflegeberufe zuständig.
- für Angehörige von Pflegeberufen ist die Mitgliedschaft gesetzlich verpflichtend
- die Höhe des Mitgliedsbeitrages unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Landespflegekammern
- oberstes Ziel ist die Sicherstellung der Pflegequalität, wobei auch die Interessen der zu Pflegenden berücksichtigt werden
- Pflegekammern schaffen Berufsordnungen und überwachen die Einhaltung der Berufspflichten
- Pflegekammern organisieren die berufliche Fort- und Weiterbildung, legen Ausbildungs- und Praxisstandards fest und sind für die Prüfungsabnahme zuständig
Forderungen für die Arbeit von Pflegekräften
Immer mehr Beschäftige in der Pflegebranche wünschen sich eine Vertretung, die die realen Belange der Pflegekräfte in den Fokus stellt. Der Bochumer Bund wirbt damit, dass die gewerkschaftliche Vertretung der Pflegenden ausschließlich von Personen ausgeübt wird, die selbst aus dem Pflegeberuf kommen.
Dieses Alleinstellungsmerkmal macht die neue Pflegegewerkschaft für viele Fachkräfte in der Pflege interessant. Da die tatsächliche Stärke der Verhandlungsposition des Bochumer Bunds nicht zuletzt von der Entwicklung seiner Mitgliederzahlen abhängt, bleibt jedoch aktuell noch offen, ob er eine ernstzunehmende Alternative zur Vertretung der Interessen der Pflegeberufe bei ver.di darstellen wird.
Klage über Mitgliederschwund
Unabhängig vom Pflegesektor lässt sich in Gewerkschaften über alle Berufssparten hinweg seit einigen Jahren ein Mitgliederschwund beobachten. Für diese Entwicklung sind mehrere Faktoren verantwortlich.
- Mitgliedsbeiträge: Gestiegene Lebenshaltungskosten veranlassen viele Arbeitnehmer dazu, monatliche Ausgaben wie den Gewerkschaftsbeitrag herunterzuschrauben.
- Erwerbslosigkeit: Auch steigende Erwerbslosenzahlen sorgen für Austritte aus der Gewerkschaft.
- neue Branchen: Mit dem Boom der IT- und Dienstleistungsbranche der letzten Jahrzehnte hat sich die Arbeitswelt massiv verändert. Kritiker argumentieren, Gewerkschaften seien nicht mehr zeitgerecht.
- Individualität: Große Organisationen haben in einer stark individualistisch geprägten Gesellschaft für den Einzelnen an Attraktivität eingebüßt.
Fazit
Sicherer Arbeitsplatz, Rechtsschutz, Mitbestimmung — Mitglieder von Gewerkschaften haben eindeutige Vorteile. Jedenfalls dann, wenn man sich von der jeweiligen Gewerkschaft korrekt repräsentiert sieht und die Interessen der eigenen Berufsgruppe intensiv vertreten werden. Pflegekräfte sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitssystem. Ob sich der Bochumer Bund als schlagkräftige Vertretung der Interessen von Pflegenden bewährt, wird sich zeigen.
Stellenangebote für Pflegefachkräfte
Wer nicht nur auf der Suche nach einer passenden Gewerkschaft, sondern auch nach einer neuen Stelle ist, findet bei Medi-Karriere die passenden Stellenangebote für Krankenpfleger/innen sowie Jobs für Altenpfleger/innen.
1. Laszlo Goerke & Markus Pannenberg, 2010. Trade Union Membership and Dismissals, URL: http://ftp.iza.org/dp5222.pdf
2. www.bochumerbund.de/Startseite/ (Abrufdatum: 23.03. 2021)
3. Who cares? – Zur Reichweite gewerkschaftlicher Interessenvertretung für gute Pflege in Deutschland, www.uni-muenster.de (Abrufdatum: 23.03.2021)
4. www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html (Abrufdatum: 23.03.2021)