In der Pflege fehlt es chronisch an Personal. Das ist eine bekannte Tatsache und auch manche Maßnahmen der Politik konnten bisher den herrschenden Pflegenotstand nicht beseitigen. Umso wichtiger wäre es, genug Nachwuchs auszubilden, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Doch viele Pflegeschüler brechen die Ausbildung vorzeitig ab – Anlass, sich näher mit den Ursachen zu befassen.
Nach Angaben der Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR), Christine Vogler, liegt die Abbruchquote bei Pflegeschülern aktuell bei 28 Prozent. Das heißt: mehr als jeder vierte Pflegeschüler gibt seine Ausbildung vorzeitig auf. Vogler nannte diese Zahl bei Eröffnung des virtuellen Kongresses Pflege 2021. Dabei ist weniger die Ausbildungsvergütung der Auslöser – sie ist im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen sogar überdurchschnittlich gut – es sind vielmehr die schwierigen Bedingungen und fehlenden Perspektiven, die zur Resignation führen.
Lückenbüßer und fehlende Perspektiven
Zu wenig Ausbildung, zu schneller und zu viel Einsatz in Aufgaben einer vollausgebildeten Pflegekraft – so lassen sich die Klagen vieler Auszubildenden zusammenfassen. Da Auszubildende auf den Stellenschlüssel angerechnet werden können, sind sie für “Missbrauch” zu vollwertigen Pflegetätigkeiten geradezu prädestiniert. Mit ihrer Arbeitskraft lassen sich bestehende Personallücken relativ einfach und kostengünstig schließen. Für die Schüler bedeutet der Einsatz vielfach eine Überforderung. Sie werden zu früh mit Aufgaben konfrontiert, auf die sie nicht genug vorbereitet sind. Der Pflegealltag ist nicht nur hart und herausfordernd. Er bedeutet auch eine erhebliche emotionale Belastung. Nicht jeder kann gut damit umgehen, täglich mit Leid und Tod konfrontiert zu sein, schwierige Situationen und eigene Ohnmacht zu erleben.
Ein weiterer Abbruchgrund sind fehlende Perspektiven. Noch immer gibt es für ausgebildete Pflegekräfte wenig Aufstiegschancen bei zugleich mäßiger Vergütung – allen zwischenzeitlichen Verbesserungen zum Trotz. Einmal Pflegekraft – immer Pflegekraft, so könnte man es auch formulieren. Vielen Pflegeschülern ist diese “Aussichtslosigkeit” bei Beginn der Ausbildung noch nicht bewusst, mancher geht mit falschen Erwartungen an seine Aufgabe heran. Während der Ausbildung gewinnt man dann “Inneneinsichten” und der ursprünglich angestrebte Beruf wird nicht selten als Sackgasse empfunden. Dass daraus Konsequenzen gezogen werden, ist nicht weiter überraschend.
Corona hat die Situation verschärft
In Corona-Zeiten sind die Bedingungen eher noch schwieriger geworden. Die Zahl der Abbrüche steigt infolgedessen weiter. Für Pflegeschüler hat die Pandemie negative Auswirkungen in gleich zwei Bereichen: in der Pflege selbst und in der Ausbildung.
Alten- und Pflegeheime sind von Covid-19 besonders betroffen. In den Einrichtungen besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko, Infektionen führen bei den Bewohnern zu überdurchschnittlich vielen und schweren Erkrankungen, häufig mit Todesfolge. Das stellt stark erhöhte Anforderungen an die Hygiene, der Pflegeaufwand steigt ebenfalls nachhaltig. Immerhin besteht die Hoffnung, dass sich mit der angelaufenen Impfkampagne der Ausnahmezustand etwas relativiert. Aber Corona-Vorsichtsmaßnahmen werden noch lange den Heimalltag prägen. Dies wird auch die Pflegeschüler betreffen. Gerade erst haben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey vorgeschlagen, Auszubildende in den Einrichtungen für Tests einzusetzen. Es wäre eine weitere Aufgabe, die die Schüler “im Regelbetrieb” neben ihrer Ausbildung übernehmen müssten.
Seit dem vergangenen Jahr gilt in Deutschland die neue generalisierte Pflegeausbildung. Die bisherigen Ausbildungen zum Gesundheits- und Krankenpfleger, zum Altenpfleger und Kinderkrankenpfleger wurden zusammengeführt. Die ersten beiden Ausbildungsjahre sind jetzt gleich, erst im dritten erfolgt eine Spezialisierung. Viele Inhalte sind neu und umfassender als bei den alten Ausbildungsgängen. Die vorgesehene Praxisanleitung findet durch die Personalengpässe in den Einrichtungen nicht so statt wie das eigentlich beabsichtigt war. Hinzu kommt, dass der Unterricht hier wie an anderen Schulen unter Corona-Bedingungen durchgeführt wird. Digital- statt Präsenzwissensvermittlung und Homeschooling sind gang und gäbe – mit den gleichen Mängeln wie woanders auch.
Wenn Motivation zum Gefühl der Vergeblichkeit wird
Das Tragische bei den Abbrechern ist, dass es sich meist um junge Menschen handelt, die den Pflegeberuf mit einer hohen inneren Motivation und viel Empathie für die Pflegebedürftigen angehen. Die nicht selten idealistischen Vorstellungen stoßen sich oft zu sehr an dem realen Pflegealltag. Statt Zuwendung bestimmen Pflegeroutine und enge Arbeitstaktung die Tätigkeit – mit viel Druck, Hektik und Stress. Das führt zunächst zu Ernüchterung, nicht selten zu Enttäuschung, Frustration und dem Empfinden des vergeblichen Bemühens oder des falschen Tuns. Der Abbruch der Ausbildung ist vorprogrammiert.
Ein richtiges Rezept dagegen ist bisher nicht gefunden. Manche Einrichtungen versuchen es mit besonderen Ansprechpartnern für ihre Pflegeschüler. Aber Gespräche alleine lösen die Probleme nicht. Solange die Rahmenbedingungen für Pflegeschüler nicht stimmen, wird es wohl bei den hohen Abbruchquoten bleiben.