Einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie zufolge fehlen den deutschen Krankenhäusern in der Intensivpflege bis zu 50.000 Vollzeitkräfte. Der tatsächliche Personalmangel liege damit weit über den bisherigen Schätzungen. Diese gingen bisher von 3.000 bis 4.000 fehlenden Pflegefachpersonen aus, schreibt Autor und Gesundheitsforscher Michael Simon in seiner am 1. Juni 2022 veröffentlichten Analyse. Pflegeverbände fordern angesichts dieser Ergebnisse eine bessere Primärvorsorge sowie die Einführung einer einheitlichen und verbindlichen Pflegepersonalregelung.
Intensivpflege – Mangel an Vollzeitkräften weit größer als geschätzt
Ein verbindliches Verfahren zur Personalbedarfsermittlung in der Intensivpflege gibt es derzeit nicht. Simon bezieht sich in seiner Studie daher auf die Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie auf die seit 2019 bundesweit geltende Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung (PpUGV). Die Angaben, wie viele Vollzeitkräfte aktuell auf den Intensivstationen beschäftigt sind und wie viele Intensivbetten zur Verfügung stehen, wurden der Krankenhausstatistik und dem Intensivregister entnommen.
Im Jahr 2020 waren demnach bundesweit 28.000 Vollzeitbeschäftigte in der Intensivpflege tätig. Für die Betreuung von 21.000 Intensivbetten wären nach PpUGV jedoch 50.800 Vollzeitkräfte nötig. Um die Personaluntergrenzen einzuhalten, müsste die Zahl der Intensivpflegekräfte in Vollzeit also verdoppelt werden. Die Empfehlungen der DIVI gehen sogar davon aus, dass für eine umfassende Betreuung der Intensivpatienten 78.200 Vollzeitkräfte erforderlich sind. Für das Jahr 2020 ergibt sich damit eine Unterbesetzung von rund 50.000 Beschäftigten. Bisher ging die öffentliche Diskussion davon aus, dass den Intensivstationen 3.000 bis 4.000 Pflegefachkräfte fehlen. Die tatsächliche Zahl liegt weit darüber.
Zahl der Intensivbetten geschrumpft
Simon schätzt, dass die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in der Intensivpflege im Verlauf der Corona-Pandemie sogar noch weiter zurückgegangen ist. Bei dieser Schätzung beruft er sich auf die Zahl der belegbaren Intensivbetten laut Intensivregister: Bundesweit gibt es in Deutschland etwa 28.000 Intensivbetten. Die Krankenhäuser meldeten Ende Dezember 2020 jedoch nur 26.700 tatsächlich verfügbare Intensivbetten, von denen 22.000 belegt waren. Im April 2022 standen nur noch 24.400 Intensivbetten zur Verfügung, davon 20.600 belegt.
Im internationalen Vergleich weist Deutschland überdurchschnittlich viele Intensivbetten auf. Das geht allerdings mit einer der niedrigsten Personalquoten in der Pflege einher. Laut Empfehlungen der PpUGV und der DIVI müssten beim derzeitigen Personalbestand sogar noch mehr Intensivbetten gesperrt werden, als derzeit der Fall ist. Der PpUGV zufolge dürften man von den vorhandenen 28.000 Intensivbetten nur 11.700 belegen, und müsse deshalb rund 60 Prozent der Betten sperren. Die DIVI gibt sogar an, dass nur 7.500 Intensivbetten genutzt werden könnten. Das bedeutete, dass rund 75 Prozent der vorhandenen Betten zu sperren sind.
Intensivpflege – Forderungen an die Politik
Die Unterbesetzung führt zu einer hohen Arbeitsbelastung für Fachkrankenpfleger/innen in der Intensivpflege. Simon fürchtet, dass aufgrund dieser Überlastung in Zukunft noch mehr Pflegefachkräfte aus dem Beruf ausscheiden werden. Der Gesundheitsexperte fordert daher von der Bundesregierung, Änderungen an der PpUGV vorzunehmen, ein einheitliches und verbindliches Verfahren zur Personalbedarfsermittlung an Krankenhäusern einzuführen, das Intensivregister umzugestalten und die Krankenhausfinanzierung zu verbessern.
Angesichts der Studienergebnisse machen auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und der Deutsche Pflegerat (DPR) ihre Forderungen deutlich. Der DBfK ruft die Bundesregierung dazu auf, die Primärversorgung zu verbessern, um Aufenthalte auf der Intensivstation nach Möglichkeit zu vermeiden. Einen Beitrag dazu sollen unter anderem Community Health Nurses leisten. Der DPR fordert die Einführung einer Pflegepersonalregelung, der sogenannten PPR 2.0, die auch die Bereiche der Kindermedizin und der Intensivpflege einschließen soll. Zugleich müsse die Politik die komplexen Ursachen für den Personalmangel in der Pflege analysieren und einen auf den Ergebnissen aufbauenden Gesamtplan für die pflegerische Versorgung der Bevölkerung erstellen.
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1. Pflegenotstand auf Intensivstationen, www.boeckler.de/pdf/Study_474_Simon_Intensivpflege_.pdf (Abrufdatum 08.06.2022)
2. DBfK: Studie zur Personalnot auf Intensivstationen macht Probleme der Gesundheitsversorgung deutlich, www.dbfk.de (Abrufdatum: 08.06.2022)
3. Deutscher Pflegerat fordert umgehende Einführung der PPR 2.0, deutscher-pflegerat.de (Abrufdatum 08.06.2022)