Anfang Juli 2020 ist das neue Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) im Bundestag verabschiedet worden. Das Ziel: die Situation von Intensiv-Pflegebedürftigen verbessern, Fehlanreize in der Intensivpflege vermeiden, die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen stärken und den Zugang zur medizinischen Rehabilitation erleichtern. Nachdem der erste Entwurf des Gesetzes auf erhebliche Widerstände gestoßen war, wurde es kurzfristig überarbeitet. Doch auch an der neuen Version gibt es noch Kritik.
Neue Qualitätsvorgaben für die Intensivpflege
“Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung” – so heißt das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit vollem Namen. Unter anderem werden damit neue Qualitätsvorgaben für die Intensivpflege festgelegt. Patienten, die etwa künstliche Beatmung benötigen, sollen überall hohe Versorgungsstandards erwarten können, in entsprechenden Pflegeeinrichtungen wie auch zu Hause. Der Bundestag hat das Gesetz bereits verabschiedet, in Kraft tritt es am Tag nach der Verkündung, die vermutlich im Herbst 2020 stattfinden wird.
“Intensiv-Pflegebedürftige sollen dort versorgt werden können, wo es für sie am besten ist. Das darf keine Frage des Geldbeutels sein,” schreibt Spahn in einer Presseerklärung der Bundesregierung. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt das Gesetz unter anderem Qualitätsstandards für die Intensivpflege zu Hause vor.
Die Neuerungen zur Intensivpflege im Überblick
Für die Intensivpflege sieht das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz die folgenden Regelungen vor:
- Ins SGB V wird ein neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege aufgenommen.
- Verordnet werden darf die außerklinische Intensivpflege nur von besonders qualifizierten Ärztinnen und Ärzten.
- Die außerklinische Intensivpflege kann in Pflegeeinrichtungen, Intensivpflege-Wohneinheiten, speziellen Einrichtungen für behinderte Menschen, aber auch in der eigenen Wohnung oder in betreuten Wohnformen erfolgen.
- Außerklinische Intensivpflege darf nur von qualitätsgeprüften Pflegediensten erbracht werden.
- Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) prüft einmal im Jahr, ob die medizinische und pflegerische Versorgung am Ort der Intensivpflege sichergestellt ist.
- Bessert sich der Zustand des Patienten und er ist nicht mehr auf außerklinische Intensivpflege angewiesen, erfolgt die Kostenübernahme noch für weitere sechs Monate. Die Krankenkassen dürfen die Leistungsdauer auch darüber hinaus verlängern.
- Intensiv-Pflegebedürftige, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind, werden von den Eigenanteilen entlastet. Das soll sicherstellen, dass die Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten des Patienten abhängt.
- Durch Anreize wie zusätzliche Vergütungen werden Krankenhäuser dazu angehalten, Patienten vor der Entlassung nach Möglichkeit von der künstlichen Beatmung zu entwöhnen.
Regelungen zur medizinischen Rehabilitation
Weiterhin soll das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz den Zugang zur medizinischen Rehabilitation erleichtern. Stellen etwa Ärzte die Notwendigkeit einer geriatrischen Rehabilitation fest, sind die Krankenkassen an diese Feststellung gebunden. Bei anderen Indikationen für eine Reha darf die Krankenkasse nur von der Verordnung abweichen, wenn der MDK diese überprüft und zu einem anderen Urteil als der Arzt gelangt. Zudem wird der Mehrkostenanteil halbiert, den Versicherte für die Auswahl einer anderen als der von der Krankenkasse zugewiesenen Reha-Einrichtung zahlen müssen.
Kurzfristige Änderungen nach heftiger Kritik
Am ersten Gesetzesentwurf hatte sich heftige Kritik entzündet. Die ursprüngliche Version des Gesetzes sah noch vor, dass die Intensivpflege in der eigenen Wohnung eine Ausnahme sein sollte. Ärzte, Patientenvertreter und Sozialverbände protestierten dagegen. Sie befürchteten, dass es vermehrt zu Zwangseinweisungen von Intensiv-Pflegebedürftigen kommen würde. Nun heißt es im Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, dass “berechtigten Wünschen der Versicherten” zu entsprechen sei.
Auch die geänderte Fassung stößt noch auf Kritik
Sowohl die große Koalition als auch die Krankenkassen zeigen sich mit der verabschiedeten Fassung des Gesetzes zufrieden. Das neue Gesetz sorge für mehr Qualität in der außerklinischen Intensivpflege, baue Fehlanreize ab und wirke Missbrauch entgegen, meint etwa Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion.
Doch auch in seiner aktuellen Fassung stößt das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz noch auf Kritik. Die Oppositionsparteien Grüne, Linke und FDP wollten beispielsweise das Intervall der Kontrolle durch den MDK bei zwei aufeinanderfolgenden positiven Überprüfungen auf drei Jahre erhöhen. Das sollte den Patienten die jährliche Überprüfung ersparen. Die Koalition lehnte diesen Antrag jedoch ab.
Opposition und Patientenverbände sehen zudem weiterhin die Möglichkeit, dass Patienten gegen ihren Willen in die stationäre Intensivpflege verwiesen werden. Die Formulierung der “berechtigten Wünsche” von Betroffenen lasse eine Hintertür offen, da unklar sei, wer über die Berechtigung dieser Wünsche entscheide. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert daher, dass mit dem Gesetz immer noch zu weit in die Rechte der Betroffenen eingegriffen würde. Außerdem würde dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu viel Spielraum bei der Entscheidung über die Versorgungsqualität zukommen. Ähnliche Befürchtungen äußert auch die LIGA, ein Zusammenschluss von 13 Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen.