Mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte würden unter bestimmten Gegebenheiten in Erwägung ziehen, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Aber was müsste sich ändern, um diese Menschen für die Pflege zurückzugewinnen? Die Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ hat die Bedingungen für eine Erhöhung der Arbeitsstunden oder eine mögliche Rückkehr in den Beruf ermittelt.
Pflegekräfte weiter dringend gesucht
Der Pflegenotstand war bereits vor der Corona-Pandemie unumstritten. Die erhöhte Belegung von Krankenhausbetten hat dennoch das ohnehin an der Belastungsgrenze stehende pflegerische Gesundheitssystem in Mitleidenschaft gezogen. Obwohl die Zahl der Pflegekräfte in den letzten Jahren zugenommen hat, erfüllen die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesem Berufszweig den Bedarf nicht.
Das voranschreitende Altern der Bevölkerung und der demographische Wandel haben mehr pflegebedürftige Menschen zur Folge. Allein in der Altenpflege erwartet man einen zusätzlichen Bedarf von 180.000 Pflegekräften bis 2030. In Krankenhäusern wird ein Mehrbedarf von 100.000 Pflegekräften geschätzt. Zudem werden in den nächsten zehn bis zwölf Jahren etwa 500.000 Fachkräfte im Pflegebereich das Rentenalter erreichen.
Von den Arbeitnehmern/-innen in Pflegediensten und in der Langzeitpflege leiden viele unter hoher Arbeitsbelastung, Personalmangel und dem Zurückbleiben hinter den eigenen fachlichen Ansprüchen. Das hat zur Folge, dass 25 Prozent in den ersten fünf Jahren nach der Ausbildung ihren Beruf wechseln. Knapp zwei Drittel der Pflegekräfte in der Langzeitpflege und die Hälfte der Pflegekräfte im Pflegedienst von Krankenhäusern arbeiten in Teilzeit. Die Besetzung einer Stelle im Beruf als Gesundheits- und Krankenpfleger/in dauert aktuell im Schnitt 230 Tage. Bei einer Stelle für die Tätigkeit als Altenpfleger/in sind es 210 Tage.
Angebot und Nachfrage an Pflegefachpersonal
Besonders im pflegerischen Bereich besteht eine große Differenz zwischen dem Bedarf und dem Angebot an Fachpersonal. Verschiedene Ansätze werden zur Lösung des Problems diskutiert. Dazu gehören die Ausweitung von Ausbildungskapazitäten, das Anwerben qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland und die Gewinnung von Quereinsteigern. Die meisten dieser Möglichkeiten sind jedoch in ihrer Kapazität begrenzt und schaffen neue bürokratische und teilweise sprachliche Barrieren. Auch die Förderung von Stundenerhöhung und Berufsrückkehr ist einer der Lösungsansätze.
Mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte möglich
Die Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ hat die Bereitschaft ausgestiegener Pflegekräfte und Teilzeitkräfte ermittelt, in ihren Beruf zurückzukehren oder ihre Stunden zu erhöhen. Von den 223.093 Teilzeitkräften im Pflegedienst der Krankenhäuser und den 184.687 in der Langzeitpflege und Betreuung wären bei gleicher Bereitschaft wie in der Studie zwischen 34 und 75 Prozent bereit, ihre Wochenstunden aufzustocken. Bei durchschnittlichen zehn Stunden mehr in der Woche ergäbe das ein Potenzial von 38.000 bis zu 78.000 Vollzeitäquivalenten.
Etwa 1,275 Millionen ehemalige Pflegende waren zum Zeitpunkt der Befragung nicht im pflegerischen Bereich tätig. Überträgt man die Bereitschaft der Teilnehmer/innen aus der Studie auf die Gesamtheit der nicht Pflegenden, ergibt sich ein Potential von insgesamt 263.000 bis 583.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten auf Fachkraftniveau. Davon stünden 152.000 beziehungsweise 335.000 Pflegekräfte in der Altenpflege zu Verfügung. Im Bereich der Krankenpflege ergäbe sich ein Potential von 111.000 bis zu 248.000 Vollzeitäquivalenten.
Insgesamt ergäbe sich nach diesen Hochrechnungen ein vorsichtig geschätztes Potenzial von 302.000 zusätzlichen examinierten Pflegefachkräften. Bei optimistischer Schätzung könnten 661.000 Vollzeitkräfte für die Pflege gewonnen werden. Die zusätzlichen Fachkräfte würden eine bessere Pflege ermöglichen und die Arbeitsbedingungen verbessern.
Wichtigste Bedingungen für den Wiedereinstieg und die Stundenerhöhung
Besonders bei Themen, die sich in den Bereich „Organisation und Führung“ einteilen lassen, wünschen sich viele der Teilnehmer/innen Verbesserungen. Vor allem im zwischenmenschlichen Bereich sehnen sich die Befragten nach Verbesserung. So wurde der faire Umgang unter Kollegen/-innen von fast allen als sehr wichtig oder wichtig angegeben. Ebenfalls fallen ein wertschätzender und respektvoller Umgang von Vorgesetzten, Sensibilität für die Arbeitsbelastung und eine vereinfachte Dokumentation in diese Kategorie. Vor allem Krankenpflegekräfte legten Wert auf die Augenhöhe gegenüber Ärzten/Ärztinnen.
Viele Studienteilnehmer/innen legten besonders viel Wert auf Zeit für menschliche Zuwendung und fachgerechte Pflege. Entsprechend wurde vor allem die bedarfsgerechte Personalbemessung als wichtige Voraussetzung für den Wiedereinstieg oder die Stundenerhöhung angegeben. Viele setzten zudem voraus, nicht mehr unterbesetzt arbeiten zu müssen. Auch legten die Befragten Wert auf Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. In diesem Zusammenhang steht der Wunsch nach einem geregelten und verbindlichen Dienstplan und weniger geplanten Überstunden oder spontanem Einspringen aus dem Frei.
Zum Thema „Weiterbildung und Karriere“ gaben viele ein höheres Gehalt bei Fort- oder Weiterbildungen als wichtig an. Potenzielle Wiedereinsteiger/innen legten zudem Wert auf eine strukturierte Einarbeitung.
Methodik der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“
Die bundesweite Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ zeigt die hohe Bereitschaft der Pflegekräfte auf, unter den richtigen Bedingungen ihre Stunden zu erhöhen oder in den Beruf zurückzukehren. Als Anknüpfung an die gleichnamige Bremer Studie wurde wissenschaftlich untersucht, wie hoch das Potenzial aus diesen Faktoren in der Pflege liegt. Dafür wurden bei der Befragung im Herbst 2021 12.684 Antworten von Teilzeitpflegekräften und ausgestiegenen Pflegekräften ausgewertet. Des Weiteren formuliert die Studie eine ausführliche Handlungsempfehlung.
Befragung potenzieller zusätzlicher Pflegekräfte
Obwohl die Stichprobe selbstselektiv und damit nicht repräsentativ ist, können aus den Antworten der fast 13.000 Befragten plausible Aussagen über die Stichprobe hinaus getroffen werden. Die zentrale Frage „Würden Sie unter den richtigen Bedingungen wieder in der Pflege arbeiten?“ konnte anhand einer Skala von 1 („ausgeschlossen“) bis 10 („sehr wahrscheinlich“) beantwortet werden.
Den Wiedereinstieg in ihren Beruf schlossen lediglich 11,8 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte aus. Ganze 60,7 Prozent gaben eine Tendenz zur Rückkehr (also eine Zahl höher oder gleich 6 auf der Skala) an. Von den Teilzeitkräften gaben 30,6 Prozent an, eine Stundenerhöhung auszuschließen. Von ihnen tendierte immerhin knapp die Hälfte zu einer Stundenerhöhung. Etwa ein Fünftel der Befragten beider Gruppen gab sogar den Wiedereinstieg beziehungsweise die Stundenerhöhung als sehr wahrscheinlich an. Im Median gaben die potenziellen Wiedereinsteiger/innen eine gewünschte Arbeitszeit von 30 Stunden pro Woche an, während die Teilzeitkräfte ihre Arbeitszeit im Schnitt um zehn Stunden erhöhen würden.
Für die Hochrechnung wurde eine regelmäßige Wochenstundenzeit von 38,5 Stunden einer (zurück-)gewinnbaren Vollzeitäquivalenz vorausgesetzt. Die Berechnung des Gesamtstundenvolumens basierte auf den mittleren gewünschten Arbeitszeiten (mehr) pro Woche. Daraus wurden zwei Werte errechnet. Ein konservativer Wert, der als Hochrechnung aus allen, die eine 8 oder höher auf der Bereitschaftsskala angegeben hatten, sowie ein optimistischer Wert, der alle mit einer 2 oder höher berücksichtigt.
Fazit: Mehr Pflegekräfte durch bessere Arbeitsbedingungen
Auch wenn das Ergebnis der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ nicht den einen Lösungsansatz zur Behebung des Pflegenotstands liefert, zeigt es doch, dass viele Vollzeitäquivalente im pflegerischen Gesundheitsbereich durch die richtigen Bedingungen (zurück-)gewonnen werden könnten. Die Befragung ergab, dass es besonders wichtig ist, die Teufelsspirale zwischen Mangel an Personal und schlechten Arbeitsbedingungen zu durchbrechen. Das Resultat wäre ein Potenzial von mindestens 300.000 zusätzlichen Pflegekräften – allein durch Wiedereinsteiger/innen und Stundenerhöhung von Teilzeitkräften.
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1. “Ich pflege wieder, wenn…” www.arbeitnehmerkammer.de (Abrufdatum 12.05.2022)