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Die Entscheidung über Ressourcenverteilung bzw. die Zuteilung von medizinischem Fachpersonal auf Patienten/-innen nennt sich Triage. Dazu gibt es nun einen neuen Gesetzentwurf. Dabei sollte speziell berücksichtigt werden, dass der Schutz von Menschen mit Behinderungen bei knappen Behandlungskapazitäten gewahrt bleibt. Diesbezüglich hatte der Bundestag zuletzt abschließende Gesetzesänderungen (das „Zweite Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes“) beschlossen. Es beinhaltet die Neuregelung der Triage, die eine feste Behandlungsreihenfolge bei knappen medizinischen Kapazitäten garantieren soll.
Dieser Artikel fasst die nachrichtliche Lage zum Triage-Gesetz (Stand 2022) übersichtlich zusammen und erklärt Hintergründe und Kritik an dem Vorhaben.
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Triage – Definition
Triage ist Französisch und heißt übersetzt „Auswahl“ oder „Sichtung“. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Militärmedizin und diente dazu, Feldärzten eine klare Vorgabe bezüglich der Behandlungsreihenfolge auf dem Schlachtfeld zu geben. Mangelnde Ressourcen und Zeit mussten dort gezielt eingesetzt werden, und dabei galt es, einige Punkte zu beherzigen, zum Beispiel die Schwere der Verletzung, die Überlebenswahrscheinlichkeit, der Militärrang etc.
Der Triage-Begriff wird in Deutschland ausschließlich im Gesundheitsbereich verwendet. Dort bezeichnet er laut Gesetzestext „die Festlegung einer Behandlungsreihenfolge je nach Schwere der Verletzung beziehungsweise Erkrankung“. Das sog. Triagieren ist Alltag in Notaufnahmen und selten ethisch problematisch. Das kann es jedoch schnell werden, wenn knappe Kapazitäten auf das dringende Erfordernis einer intensivmedizinischen Behandlung treffen.
Ex-post-Triage vs. Ex-ante-Triage
Bei der Triage trifft man zwei große Unterscheidungen. Diese nennen sich Ex-ante-Triage und Ex-post-Triage. Diese beiden Begriffe werden in diesem Absatz genauer erklärt.
- Ex-ante-Triage: Bei neu aufgenommenen Patienten/-innen muss festgelegt werden, wer einen Behandlungsplatz zugewiesen bekommt. Hier wird vorab entschieden, wer behandelt wird. Diese Triage-Form ist aus medizinethischer Sicht unproblematisch und daher Bestandteil des aktuellen Gesetzes.
- Ex-post-Triage: Hierbei wird darüber entschieden, bei welchem Menschen zugunsten eines/-r anderen Patienten/-in mit höheren Überlebenschancen eine bereits begonnene Behandlung abgebrochen wird. Es wird im Nachhinein eine weniger erfolgversprechende Behandlung beendet, was medizinethisch fragwürdig sein kann. In einem vorherigen Gesetzesentwurf wurde festgelegt, dass diese Triage-Form dann zulässig ist, wenn drei intensivmedizinische Fachärzte/-innen diese Entscheidung gemeinsam treffen. Im aktuellen Gesetz wurde das gestrichen.
Besonderheit: Menschen mit Behinderung
Das Coronavirus lieferte im Frühjahr 2020 erschreckende Bilder aus dem italienischen Bergamo. Dort starben Menschen in überfüllten Krankenhäusern auf den Fluren. Daher entstand auch in Deutschland die Sorge vor lebensbedrohlicher Überlastung und damit verbundenen schweren Triage-Entscheidungen. Daher formulierten mehrere medizinische Fachgesellschaften in gemeinsamer Absprache hilfreiche Empfehlungen zur Entscheidungshilfe in diesen außergewöhnlichen Fällen.
Diese ursprüngliche Entscheidungshilfe sah die Orientierung an den Erfolgsaussichten einer medizinischen Behandlung vor. Demnach wurden schwere Begleiterkrankungen und körperliche Gebrechlichkeit als Negativindikatoren gewertet. Daraufhin kritisierten Behindertenverbände diese (nicht rechtsverbindlichen) Empfehlungen als systematische Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen.
Mehrere schwer- und schwerstbehinderte Menschen legten Verfassungsbeschwerde ein. Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Constantin Grosch (SPD), der selbst im Rollstuhl sitzt und Sprecher der Behindertenbewegung AbilityWatch ist, war einer von ihnen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte als direkte Reaktion auf diese Verfassungsbeschwerde: „Prinzipiell muss klar sein, dass Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden.“
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Triage
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied aufgrund dieser Verfassungsbeschwerde zum Jahresende 2021, „dass der Gesetzgeber wegen Untätigkeit die Verfassung verletzt hat, konkret Artikel 3: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Der Gesetzgeber habe versäumt, „Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, aber überlebenswichtiger Behandlungsressourcen benachteiligt“ werde.
Das Triage-Gesetz musste daraufhin entsprechend überarbeitet werden und liegt nun in dieser neuen Form vor. In dem geltenden Gesetzentwurf ist u.a. Ex-post-Triage verboten: „Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen.“ Es regelt daher ausschließlich Vorgaben zur Ex-ante-Triage.
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Das Triage-Gesetz im Überblick
Was das neue Triage-Gesetz im Einzelnen ausmacht, ist in diesem Abschnitt noch einmal genau zusammengefasst:
- Das Triage-Gesetz regelt, dass niemand „bei der Zuteilung von knappen, überlebenswichtigen Behandlungskapazitäten benachteiligt“ werden darf, „insbesondere nicht wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.“
- Auswahlkriterien, die sich nicht auf die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ auswirken, dürfen bei der Triage nicht berücksichtigt werden. Dies betrifft v.a. „schwammige“ Kriterien wie Lebensqualität und Einschränkungen.
- Komorbiditäten (= weitere Erkrankungen) dürfen nur berücksichtigt werden, „soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination, die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern.“
- Die Entscheidung muss von zwei intensivmedizinischen Fachärzten/-innen mit mehrjähriger praktischer und einschlägiger Berufserfahrung getroffen werden. Beide müssen den/die Patient/in unabhängig voneinander – also ohne sich zuvor oder danach miteinander diesbezüglich ausgetauscht zu haben – untersuchen.
- Die aktuelle Triage-Regelung betrifft nur Infektionskrankheiten wie das Coronavirus. Sie hat keine Auswirkungen auf andere Erkrankungen oder Not- und Unfälle.
Kritik am Triage-Gesetz
Obwohl das Triage-Gesetz mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nun mit dem Gesetz konform ist, gibt es vor allem von zwei Seiten Kritik. Diese äußern vor allem Sozial- und Behindertenverbände wie auch Ärztevertreter/innen und Ärzteverbände. Was sie genau an dem Gesetz auszusetzen haben, wir folgend erklärt.
Kritik von Sozial- und Behindertenverbänden
Sozial- und Behindertenverbände kritisieren, dass auch die aktuelle Version des Triage-Gesetzes eine ethisch unrechtmäßige Diskriminierung von Senioren/-innen und behinderten Menschen nicht ausschließt. Sie sehen diese Personengruppen generell als benachteiligt an und bemängeln, dass es keine objektiven Kriterien gebe, diese strukturelle Benachteiligung zu unterbinden. Daher wurde vorgeschlagen, dass ein Losverfahren über die Reihenfolge der intensivmedizinischen Behandlung entscheiden solle.
Kritik von Ärztevertretern/-innen und Ärzteverbänden
Ärztevertreter/innen und Ärzteverbände kritisieren, dass das Triage-Gesetz keine verbindliche Rechtssicherheit für Mediziner/innen schafft. Ärztepräsident Klaus Reinhardt befand hierzu: „Um das zu erreichen, hätte im Gesetz neben dem Kriterium der Überlebenswahrscheinlichkeit auch die ärztliche Indikation und der Patientenwille verankert werden müssen.“ Außerdem seien andere denkbare Triage-Situationen (z.B. inländische Katastrophen wie Flugzeugabstürze, Naturkatastrophen, Kriege, Terroranschläge etc.) nicht bedacht und geregelt worden.
Ärztevertreter/innen kritisierten außerdem Rechtsunsicherheit und bezeichneten die Triage-Regelung als kaum praktikabel: Statt der ursprünglich geplanten drei sollen nun trotzdem immerhin noch zwei Ärzte/-innen über die Zuteilung entscheiden müssten. Das sei zeitaufwendig und in Notzeiten wie Corona personell nicht machbar.
Besonders wird aber das Verbot der Ex-post-Triage von Ärztevertretern/-innen und Ärzteverbänden kritisiert. Der Marburger Bund argumentierte: „In einer Situation existenzieller Ressourcenknappheit kann es richtig sein, einen Patienten mit nur noch geringen kurzfristigen Überlebenschancen zugunsten eines anderen mit deutlich besseren kurzfristigen Überlebenschancen vom Beatmungsgerät zu trennen.“ In solchen Fällen müsse es möglich und gesetzlich geregelt sein, möglichst viele Menschenleben zu retten.
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- Triage-Gesetz, https://www.rnd.de/... (Abrufdatum: 21.11.2022)
- Triage, https://www.bundestag.de/... (Abrufdatum: 21.11.2022)
- Triage-Gesetz, https://www.tagesschau.de/... (Abrufdatum: 21.11.2022)