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Das Knochenmark leistet rund um die Uhr harte Arbeit, um den Körper mit neuen und wichtigen Blutzellen zu versorgen. Dieser Prozess der Hämatopoese (Blutbildung) ist sehr komplex. In diesem Artikel erfolgt eine Systematisierung und ein Überblick über die verschiedenen Teilbereiche der Hämatopoese. Außerdem werden die schwerwiegenden Folgen von Erkrankungen des blutbildenden Systems besprochen.
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Hämatopoese (Blutbildung) – Definition
Die Blutbildung beschreibt alle Prozesse, die für die Bildung und Ausreifung der vielen Blutzellen sorgen. Somit wird der Körper durchgehend mit den teils sehr kurzlebigen Zellen versorgt. Das zugrunde liegende Prinzip des gesamten Ablaufs ist die Differenzierung und die Zellteilung aus multipotenten hämatopoetischen Stammzellen. Dabei verlaufen die Entwicklungen für die unterschiedlichen Zelltypen des Blutes entlang von konkreten Blutzelllinien.
Hämatopoese (Blutbildung)- Ablauf und Lokalisation
Beim Erwachsenen läuft die Hämatopoese im roten Knochenmark ab, während der embryonalen Entwicklung ist sie allerdings zunächst im Dottersack, dann in Leber und Milz und abschließend im roten Knochenmark lokalisiert. Anhand der Orte der fetalen Blutbildung können verschiedene Phasen unterschieden werden:
- Extraembryonale Phase/Megablastoläre Phase: ab der dritten Schwangerschaftswoche beginnt im Dottersack die Blutbildung.
- Hepatolienale Phase: im Zeitraum der sechsten Schwangerschaftswoche bis zum vierten Lebensmonat findet die Hämatopoese zunächst in der Leber und später teilweise in der Milz statt.
- Medulläre Phase: ab dem fünften Lebensmonat ist das rote Knochenmark zuständig.
Diese Abschnitte sind nicht endgültig und eindeutig voneinander abgrenzbar und überlappen sich teilweise. Dennoch ist der ungefähre Ablauf der Verlagerung der Blutbildung so festzustellen.
Um den Prozess der Blutbildung nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, sich zunächst die verschiedenen Bestandteile des Blutes noch einmal vor Augen zu führen. Im Blut des Menschen finden sich verschiedene Zellarten:
- Erythrozyten: Sie dienen dem Sauerstoff- und Kohlendioxidtransport.
- Thrombozyten: Diese Zellart ist essentiell für das Stoppen von Blutungen (Hämostase).
- Granulozyten: Die vier Subtypen der Granulozyten haben eine große Bedeutung bei der zellulären Immunabwehr.
- Monozyten: Sie sind Vorläuferzellen der Makrophagen, die einen großen Teil der Erregerabwehr mittels des mononukleären-phagoytären Systems (MPS) übernehmen.
- Lymphozyten: Aus ihnen entstehen im Verlauf die T- und B-Lymphozyten und somit die Grundlage für die Abwehr von Fremdkörpern.
Diese ganzen Zellen müssen immer wieder neu gebildet werden, da sie teilweise nur wenige Stunden bis Tage alt werden oder ständig verbraucht werden. Die Details zu den einzelnen Zellreihen finden sich im nächsten Abschnitt, jede dieser Reihen verfolgt allerdings das gleiche Grundschema.
Am Anfang steht die multi-/pluripotente hämatopoetische Stammzelle. Aus ihr können alle möglichen Zelltypen entstehen, je nachdem welche Signale auf sie einwirken. Bindet ein Stammzellfaktor, ein Zytokin, so teilt sie sich in eine Progenitorzelle und eine weitere Zelle, die im Stammzellvorrat zurückbleibt. Es findet also eine asymmetrische Teilung statt. Je nach Vermittlermolekül (Interleukine) entsteht aus ihr eine lymphatische oder myeoloide Progenitorzelle. Diese sind nun oligopotent, können sich also nur noch in wenige unterschiedliche Zelltypen innerhalb eines Gewebstypen differenzieren.
Während ab diesem Zeitpunkt die Hämatopoese der lymphatischen Reihe im Blut weiterläuft, gibt es noch einen Zwischenschritt im Knochenmark für die weitere Differenzierung der myeloiden Progenitorzelle. Aus ihr entstehen CFU-Zellen (colony forming unit Zellen), die uni- oder bipotente Vorläuferzellen darstellen. Das bedeutet, dass sie sich ab jetzt nur noch in eine (uni) oder zwei (bi) andere Zelltypen weiterteilen können. Ein Beispiel hierfür ist CFU-Mast, welche sich zu Mastzellen differenziert oder CFU-E zu Erythroblasten.
Die Lokalisation der Hämatopoese, ob die Zellen noch im Knochenmark sind oder schon im Blut oder Gewebe, lässt sich an dieser Stelle auch am Namen erkennen. Alle Zellen mit der Endung -blasten befinden sich noch im Knochenmark, alle anderen außer Stamm- und Progenitorzellen, sind bereits im Blut oder Gewebe aufzufinden. Erstere findet im Erwachsenen ausschließlich im Knochenmark statt und umfasst die Bildung von Erythrozyten, Thrombozyten, Monozyten und Granulozyten. Eine Bildung außerhalb des Knochenmarks findet nur in der Embryonalzeit oder durch Erkrankungen statt.
Hämatopoese (Blutbildung)- Die fünf Reihen
Entsprechend der finalen Blutzellen lassen sich fünf Reihen der Hämatopoese unterscheiden. Dabei umfasst die Leukopoese als Oberbegriff noch einmal die Granulopoese, Lymphopoese und Monozytopoese, kurz gesagt, die Bildung aller weißen Blutzellen. Eine andere Form der Systematisierung der Blutbildung ist die Einteilung nach dem Ort der Hämatopoese. Hier wird die Myelopoese von der Lymphopoese abgegrenzt. Erstere findet im Erwachsenen ausschließlich im Knochenmark statt und umfasst die Bildung von Erythrozyten, Thrombozyten, Monozyten und Granulozyten. Eine Bildung außerhalb des Knochenmarks findet nur in der Embryonalzeit oder durch Erkrankungen statt. Die Lymphopoese führt zur Entstehung von Lymphozyten, die zwar auch im Knochenmark stattfindet, aber die weitere Differenzierung zu T- und B-Lymphozyten verläuft im dafür bestimmten Organ, wie etwa im Thymus, im Lymphknoten oder der Milz.
Erythropoese
Die rote Zellreihe beschreibt die Entstehung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Im Normalfall dauert der Vorgang etwa eine Woche und die Erythrozyten besitzen eine Lebensdauer von etwa 120 Tagen.
Im Knochenmark erfolgt die Reifung ausgehend von der erythrozytären Vorläuferzelle über den Proerythroblasten zum Erythroblasten. Als Retikulozyten werden die Zellen aus dem Blut freigegeben. Retikulozyten besitzen für ein bis zwei Tage noch Reste von Zellorganellen, die dem ausgereiften Erythrozyten fehlen. Dieser bildet auch die nächste und letzte Stufe der roten Zellreihe.
Für die Regulation dieser Reihe ist vor allem das Hormon Erythropoetin (EPO) von Bedeutung, das die Hämatopoese beschleunigt. Deshalb ist es auch ein beliebtes Dopingmittel. Parakrin im Knochenmark steuert der Colony stimulation factor (CSF) die Proliferation.
Doping im Sport
Erythropoetin (EPO) ist ein beliebtes Dopingmittel, vor allem im Ausdauer- und Leistungssport. EPO stimuliert die Erythropoese, wodurch mehr Erythrozten gebildet werden. In der Folge wird mehr Sauerstoff transportiert, wodurch das Gewebe effizienter damit versorgt wird, was die Leistungsfähigkeit deutlich steigert.
Thrombopoese
Die Thrombopoese dauert etwa fünf bis zehn Tage, wobei die Thrombozyten bereits nach zehn bis zwölf Tagen wieder in der Milz abgebaut werden.
Ausgehend von der myeloiden Progenitorzelle (CMP) entsteht CFU-Meg als Zwischenstufe zum Megakaryoblast. Außerhalb des Knochenmarks läuft die Differenzierung zum Promegakaryozyt, Megakaryozyt und schlussendlich zum Thrombozyten weiter. Dieser Prozess wird über Thrombopoetin (TPO) gesteuert, das ähnlich wie EPO funktioniert. Außerdem nimmt Interleukin-11 eine große Rolle ein.
Wichtige Merkmale der Promegakaryozyten sind die zahlreich vorhandenen Granula, welche Cofaktoren für die Gerinnung enthalten, wie ADP und Calcium. Megakaryozyten besitzen einen großen Zellkern und einen polyploiden Chromosomensatz, wodurch mittels Abschnürung etwa 5.000 Thrombozyten aus einem Megakaryozyt entstehen.
Granulopoese
Die Granulopoese nimmt einen Zeitraum von etwa sieben bis zehn Tagen ein mit einer Lebensdauer je nach Subtyp von vier bis zehn Tagen.
Ausgehend von der Stammzelle bilden sich unter der Regulation von GM-CSF (Granulocyte macrophage colony-stimulating factor) die Zwischenstufen der CFU-Zellen. Der Ablauf für die einzelnen Typen von Granulozyten lautet wie folgt:
- CFU-Bas -> Basophiler Myeloblast mittels IL3 und IL4 zum Basophilen Granulozyten
- CFU-Eo -> Eosinophiler Myeloblast mittels IL3 und IL5 zum Eosinophilen Granulozyten
- CFU-G -> Neutrophiler Myeloblast mittels IL3, IL6 und G-CSF (Granulocyte colony-stimulating factor) zum Neutrophilen Granulozyten
Es wird also die Abfolge von Stammzelle zu CFU-Zelle zum Myeloblast und anschließend über den Promeyelozyt, Myelozyt, Metamyelozyt zum Stabkernigen Granulozyten und dann zum Segmentkernigen Granulozyten bei jedem Subtyp eingehalten. Nur die Vermittlermoleküle unterscheiden sich und sorgen für die Differenzierung zu verschiedenen Granulozyten.
Monopoese
Die Monopoese dauert etwa acht Tage. Aus der Stammzelle entstehen mittels des gleichen Wachstumsfaktors der Granulopoese (GM-CSF) CFU-G/M-Zellen, die sich weiter zu Monoblasten im Knochenmark differenzieren und dann ins Blut abgegeben werden. Dort entwickeln sie sich zu Promonozyten und am Ende zu Monozyten. Diese zirkulieren zunächst im Blut und dienen hier der Phagozytose oder der Antigenpräsentation. Der Hauptanteil der Monozyten migriert allerdings in die Peripherie, wo die endgültige Reifung zu Makrophagen abläuft.
Monozyten sind als größte Zellen im Blutausstrich erkennbar mit einem bohnenförmigen Zellkern und Zytoplasma, das viel Granula enthält.
Lymphopoese
Die Lymphopoese lässt sich noch einmal in eine B-Zell-Reihe und eine T-Zell-Reihe unterteilen, wobei die genaue Dauer der Abläufe noch nicht abschließend erforscht ist. Beide starten im Knochenmark mit der lymphatischen Progenitorzelle (CLP), die sich zu Pro-B- und Pro-T-Lymphozyten differenziert. Ab hier wandern die Pro-T-Lymphozyten aus und die weitere Entwicklung erfolgt im Thymus (T = Thymus). Hier entstehen nach mehreren Zwischenschritten Naive CD4-positive- oder CD8-positive-T-Lymphozyten.
Die Pro-B-Lymphozyten entwickeln sich im Knochenmark (B = bone marrow) zu Prä-B-Lymphozyten und weiter zu unreifen und abschließend reifen, naiven B-Lymphozyten.
Bei beiden Reihen regulieren verschiedenste Interleukine das Wachstum und die Differenzierung, besonders die Interleukine IL-2, IL-4 und IL-7.
Hämatopoese (Blutbildung)- Erkrankungen und Folgen
Die Bandbreite der Erkrankungen, die das blutbildende System betreffen können ist enorm, weshalb eine abschließende Aufzählung im Rahmen dieses Artikels nicht möglich ist.
Grundlegend sorgen Störungen der roten Blutreihe für Anämien, beispielsweise wenn die zur Differenzierung notwendigen Substanzen wie Folsäure oder Eisen nicht zur Verfügung stehen. Eine Anämie ist im Blutbild vorwiegend über den Hämoglobin-Wert auffällig, die genaue Diagnostik hängt aber von vielen anderen Faktoren ab.
Die weiße Zellreihe betreffen vorwiegend Tumorerkrankungen oder Autoimmunerkrankungen. Diese Beispiele sorgen für eine erhöhte Leukozytenzahl (Leukozytose), niedrige Leukozytenzahlen (Leukozytopenie) entstehen durch Schädigung des Knochenmarks oder Infektionen. Eine Sepsis kann beides verursachen.
Auch die Leukämie ist ein Begriff, der häufig in diesem Zusammenhang fällt. Zu ihr zählen die Erkrankungen der Akuten myeloischen / lymphatischen Leukämie und die chronische myeloische / lymphatische Leukämie. Hierbei sind die Leukozyten massig vermehrt und werden ins Blut ausgeschwemmt (“buffy coat” nach Zentrifugation”).
Myeloproliferative Neoplasien
Hierunter wird eine Gruppe von chronischen Erkrankungen verstanden, welche schlussendlich für ein ungehemmtes und unkontrollierbares Wachstum der Blutzellen sorgen. Je nachdem, welche Reihe betroffen ist, zeigt sich im Labor eine starke Erhöhung der Zellen im Blut. Im Rahmen der Polycythaemia vera beispielsweise sind sowohl Erythrozyten, als auch Leukozytekn und Trhombozyten stark erhöht, während bei der chronisch myeloloischen Leukämie (CML) die Granulozytenzahl stark gestiegen ist.
Die Symptome richten sich nach der betroffenen Zellreihe, sind die Thrombozyten erhöht, neigen Patienten und Patientinnen vermehrt zu Thrombosen. Als Komplikationen kann etwa das Knochenmark veröden (Myelofibrose) oder die Erkrankung in eine gefährliche akute Leukämie übergehen.
- Herold G et. al., Innere Medizin 2024, Dr. Gerd Herold (Verlag), 1. Auflage
- Grundlagen der Hämatologie, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 17.06.2024)
- Knochenmark und Blutbildung, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 16.06.2024)