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Die Hirnnervenkerne sind zentrale Strukturen im Hirnstamm. Sie sind maßgeblich für die Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Atmung, Herzschlag und Reflexe sowie für sensorische und motorische Fähigkeiten, darunter Gesichtssinn, Gehör und Mimik. Ein umfassendes Verständnis der Hirnnervenkerne ist für die Diagnose und Behandlung neurologischer Störungen entscheidend, da Schädigungen dieser Kerne weitreichende Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem und die damit verbundenen Körperfunktionen haben können. In diesem Artikel werden die Lage samt Anatomie, Funktion und Klinik der Hirnnervenkerne behandelt.
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Hirnnervenkerne – Definition
Im Hirnstamm und zervikalen Rückenmark finden sich Ansammlungen von Zellkörpern, die Signale an die Hirnnerven senden und von ihnen empfangen. Sie bestimmen somit die Qualitäten, über welche die verschiedenen Hirnnerven verfügen.
Hirnnervenkerne – Anatomie und Lage
Verteilt über den Hirnstamm finden sich die verschiedenen Kerne der Hirnnerven. Im folgenden wird die Lage der Kerne von kaudal nach kranial in den bestimmten Abschnitten des Hirnstamms besprochen.
Zervikales Rückenmark und Medulla oblongata
Die Medulla oblongata, das verlängerte Rückenmark, wird in eine ventral gelegene Pyramis und ein dorsal gelegenes Tegmentum myelencephali unterteilt. In letzterem liegen folgende Kerne:
- Nuclei vestibulares (superior, inferior, medialis, lateralis)
- Nuclei cochleares (anterior und posterior)
- Nucleus nervi hypooglossi
- Nucleus dorsalis nervi vagi
- Nucleus tractus solitarii
- Nucleus spinalis nervi trigemini
- Nucleus ambiguus
Pons (Brücke) und Mesencephalon
Im Tegmentum der Brücke sitzen Kerne des Nervus trigeminus, abducens und facialis. Im Mesencephalon findet man den Nucleus nervi oculomotorii, seinen Nachbarn – den Edinger-Westphal-Kern (Nucleus accessorius nervi oculomotorii) und den Nucleus nervi trochlearis.
Hirnnervenkerne – Funktion
Die Hirnnervenkerne vermitteln verschiedene Qualitäten an die Hirnnerven oder empfangen diese von den Hirnnerven. Dabei sind Afferenzen sensible Informationen aus der Peripherie und Efferenzen motorische Informationen, die an die Muskulatur gesendet wird.
Allgemeine Somatoafferenzen
Die allgemeine Somatoafferenz beschreibt sensible Informationen, die aus der Haut oder der quergestreiften Skelettmuskulatur empfangen werden. Das sind also Signale, die zum Beispiel von Mechanorezeptoren der Haut oder den Muskelspindeln an das zentrale Nervensystem gesendet werden. Folgende Kerne erhalten allgemeine Somatoafferenzen von Hirnnerven und leiten sie an das zentrale Nervensystem weiter:
- Nucleus mesencephalicus nervi trigemini
- Nucleus principalis nervi trigemini
- Nucleus spinalis nervi trigemini
Sie sind alle an der sensiblen Informationsverarbeitung des Nervus trigeminus beteiligt. Zusätzlich spielt der Nucleus spinalis nervi trigemini noch bei den Nervi glossopharyngeus und vagus eine Rolle. Der Nucleus mesencephali nervi trigemini ist wichtig für die Verarbeitung propriozeptiver Informationen – als jene, die die Lage des Körpers im Raum widerspiegeln. Die anderen beiden Kerne sind wichtig für die Weiterleitung von Signalen über Druck- und Berührungsempfinden.
Allgemeine Viszeroafferenzen
Die allgemeine Viszeroafferenz beschreibt sensible Informationen, die aus Organen oder Gefäßen empfangen werden. Das sind also Signale, die zum Beispiel von Mechanorezeptoren oder Chemorezeptoren in Blutgefäßen an das zentrale Nervensystem gesendet werden und damit Blutdruck– oder Atemkontrolle ausüben können. Der Nucleus tractus solitarii besteht aus einer kaudal gelegenen Pars inferior und kranial gelegenen Pars superior. Die Pars superior des Nucleus tractus solitarii ist der einzige Kern, der allgemeine Viszeroafferenzen aufweist. Über ihn werden die mechanischen und chemischen Informationen weitergeleitet, die über den Nervus vagus und glossopharyngeus an das zentrale Nervensystem kommen. Diese Informationen dienen vor allem der Regulation von Kreislauf und Atmung.
Allgemeine Somatoefferenzen
Die allgemeine Somatoefferenz beschreibt motorische Informationen, die zu der quergestreiften Skelettmuskulatur gesendet werden und bei dieser Bewegungen auslöst. Folgende Kerne senden allgemeine Somatoefferenzen über Hirnnerven an die Selettmuskulatur:
- Nucleus nervi oculomotorii
- Nucleus nervi trochlearis
- Nucleus motorius nervi trigemini
- Nucleus nervi abducentis
- Nucleus spinalis nervi accessorii
- Nucleus nervi hypoglossi
Sie alle gehören zu den Hirnnerven drei, vier, fünf, sechs, elf und zwölf.
Allgemeine Viszeroefferenzen
Die allgemeine Viszeroefferenz beschreibt motorische Informationen, die zur glatten Muskulatur gesendet werden und bei dieser Bewegungen auslösen. Diese Innervation ist parasympathisch vermittelt. Folgende Kerne senden allgemeine Viszeroefferenzen über Hirnnerven an die glatte Muskulatur:
- Nucleus accessorius nervi oculomotorii (Edinger-Westphal-Kern)
- Nucleus salivatorius superior
- Nucleus salivatorius inferior
- Nucleus dorsalis nervi vagi
Edinger-Westphal-Kern
Der Eigenname des Nucleus accessorius nervi oculomotorii leitet sich von seinen Entdeckern, dem deutschen Arzt Ludwig Edinger und seinem Kollegen Carl Westphal, ab. Beide machten viele Entdeckungen im Bereich der Neuroanatomie. Ein anderer weniger geläufigerer Name für den Kern ist auf den russischen Physiologen Nikolai Jakubowitsch zurückzuführen (Jakubowitsch-Kern).
Der Edinger-Westphal-Kern steuert den parasympathischen Anteil des dritten Hirnnerven (Nervus oculomotorius) und damit unter anderem die Bewegung der Pupille. Die anderen Kerne sind verteilt an der parasympathischen Funktion des Nervus facialis, glossopharyngeus und vagus beteiligt.
Spezielle Somatoafferenzen
Die spezielle Somatoafferenz beschreibt sensible Informationen, wie das Sehen oder Hören, zu dem auch der Gleichgewichtssinn zählt. Dabei wird der Sehsinn von keinem bestimmten Hirnnervenkern weitergeleitet, denn der Sehnerv (Nervus opticus) ist formell kein wirklicher peripherer Nerv, da er aus dem Diencephalon entstanden ist und seine Myelinscheide von Oligodendrozyten gebildet wird. Zudem besitzt er nicht das typische umgebende Bindegewebe eines peripheren Nerven.
Allerdings gibt es einige Kerne, die das Hören und Gleichgewicht über den achten Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis) vermitteln:
- Nucleus vestibularis superior (Bechterew-Kern)
- Nucleus vestibularis lateralis (Deiters-Kern)
- Nucleus vestibularis medialis (Schwalbe-Kern)
- Nucleus vestibularis inferior (Roller-Kern)
- Nucleus cochlearis anterior
- Nucleus cochlearis posterior
Die Vestibularis-Kerne bündeln den Nervus vestibularis, die Cochlearis Kerne den Nervus cochlearis. Beide legen sich zusammen zum Nervus vestibulocochlearis und leiten Reize aus dem Innenohr an das zentrale Nervensystem weiter.
Spezielle Viszeroafferenzen
Die spezielle Viszeroafferenz beschreibt sensible Informationen, wie das Schmecken und Riechen. Dabei wird der Geruchssinn von keinem bestimmten Hirnnervenkern weitergeleitet, denn der Riechnerv (Nervus olfactorius) ist formell kein wirklicher Nerv, da er aus dem Telencephalon entstanden ist und seine Myelinscheide von Oligodendrozyten gebildet wird. Zudem besitzt er nicht das typische umgebende Bindegewebe eines peripheren Nerven. Der Geschmack wird über den oberen Teil des Nucleus tractus solitarii vermittelt. Dabei sendet ihm der Nervus facialis die Geschmacks-Informationen über die vorderen zwei Drittel der Zunge und der Nervus glossopharyngeus über das hintere Drittel. Auch der Nervus vagus leitet Informationen über Geschmack an das zentrale Nervensystem weiter, nämlich über den im Bereich der Epiglottis (Kehldeckel).
Spezielle Viszeroefferenzen
Die allgemeine Viszeroefferenz beschreibt motorische Informationen, die zur bronchiogenen Muskulatur gesendet werden und bei dieser Bewegungen auslösen. Die bronchiogene Muskulatur geht in der Entwicklung aus den sogenannten Kiemenbögen hervor. Der Kern, der spezielle Viszeroefferenzen vermittelt ist der Nucleus ambiguus. Er ist somit zuständig für die Innervation von Muskeln des Mund– und Rachenraums, die mitunter wichtig beim Schlucken oder für die normale Atmung sind. Dies tut er über den Nervus glossopharyneus, vagus und accessorius.
Hirnnervenkerne – Klinik
Die Klinik der Hirnnervenkerne umfasst eine Vielzahl von neurologischen Symptomen und Störungen, die aus Schädigungen oder Funktionsausfällen in diesen Kernen resultieren können. Da die Hirnnervenkerne für die Verarbeitung und Weiterleitung motorischer und sensorischer Signale zuständig sind, können bei ihrer Beeinträchtigung Symptome wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Gleichgewichtsprobleme und Sprachschwierigkeiten auftreten.
Typische klinische Merkmale sind:
- Bewegungsstörungen: Schäden in motorischen Hirnnervenkernen, wie dem Nucleus nervi oculomotorii, können Augenbewegungsstörungen verursachen. Der Nucleus ambiguus ist wiederum für die Steuerung der Kehlkopf- und Schluckmuskulatur zuständig; seine Schädigung führt zu Schluckstörungen (Dysphagie) und Sprachproblemen.
- Sensibilitätsstörungen: Sensorische Hirnnervenkerne, wie der Nucleus tractus solitarii, sind entscheidend für Geschmackssinn und Empfindung im Kopfbereich. Schädigungen können zu einem Verlust dieser Sinneswahrnehmungen führen, was die Nahrungsaufnahme und das Erkennen von Geschmacksrichtungen beeinträchtigen kann.
- Autonome Dysregulation: Hirnnervenkerne wie der Nucleus dorsalis nervi vagi, die vegetative Funktionen steuern, sind wichtig für die Regulation von Herzfrequenz, Blutdruck und Verdauung. Schädigungen in diesem Bereich können zu Herzrhythmusstörungen, Blutdruckproblemen und Verdauungsbeschwerden führen.
Häufige Fragen
- Wo befinden sich die Hirnnervenkerne?
- Welche Funktionen haben die einzelnen Hirnnervenkerne?
- Welche Erkrankungen oder Störungen betreffen die Hirnnervenkerne?
- Welche Symptome treten bei Schädigungen bestimmter Hirnnervenkerne auf?
Die Hirnnervenkerne befinden sich im Hirnstamm, der aus Medulla oblongata, Pons und Mesencephalon besteht. Sie sind Ansammlungen von Nervenzellkörpern, die entweder sensorische, motorische oder parasympathische Funktionen steuern. Ihre genaue Lokalisation variiert je nach Hirnnerv und Funktion, wobei sensorische Kerne tendenziell eher lateral und motorische medial liegen.
Die Hirnnerven haben unterschiedliche Qualitäten, die ihre Funktionen bestimmen und in spezifische Kategorien eingeteilt werden:
Allgemein somatomotorisch: Steuern willkürliche Muskulatur, z. B. Augen- und Zungenmuskeln.
Allgemein viszeromotorisch: Kontrollieren glatte Muskulatur und Drüsen (parasympathisch, z. B. Tränen- und Speicheldrüsen).
Allgemein somatosensibel: Übermitteln Empfindungen wie Schmerz, Temperatur und Berührung (z. B. Gesichtshaut).
Allgemein viszerosensibel: Leiten Signale aus inneren Organen (z. B. Blutdruck).
Speziell viszeromotorisch: Versorgen branchial abgeleitete Muskeln, z. B. für Kauen und Schlucken.
Speziell viszerosensibel: Verarbeiten Geruchs- und Geschmackssinn.
Speziell somatosensibel: Übertragen Reize für Sehen, Hören und Gleichgewicht.
Erkrankungen oder Störungen, die die Hirnnervenkerne betreffen, können vielfältige Ursachen haben und sich in spezifischen neurologischen Symptomen äußern. Gefäßbedingte Probleme wie Schlaganfälle oder Blutungen im Hirnstamm schädigen oft direkt die Hirnnervenkerne. Entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Enzephalitis beeinträchtigen die Nervenbahnen und können die Funktion der Kerne stören. Tumore im Hirnstammbereich üben Druck auf die Kerne aus, während degenerative Erkrankungen wie Parkinson oder ALS diese Strukturen schädigen können. Traumatische Verletzungen führen zu Symptomen wie Dysphagie, Gesichtslähmungen oder Gleichgewichtsstörungen.
Schädigungen der Hirnnervenkerne führen je nach betroffenem Kern zu spezifischen Symptomen. Bei Ausfällen des Nucleus nervi oculomotorii treten Ptosis, Mydriasis und Augenbewegungsstörungen auf. Schädigungen des Nucleus nervi trochlearis verursachen vertikale Doppelbilder, während beim Nucleus nervi abducentis horizontale Doppelbilder auftreten, das Auge weicht nach innen ab. Beim Nucleus nervi facialis kommt es zu Gesichtslähmungen und Geschmacksverlust an der vorderen Zunge. Schädigungen des Nucleus ambiguus verursachen Dysphagie, Heiserkeit und Gaumensegelparesen. Ein Ausfall des Nucleus nervi hypoglossi führt zu einer Zungenabweichung zur betroffenen Seite.
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