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Der Truncus encephali, auch Truncus cerebri genannt (= Hirnstamm), ist ein essenzielles, gar lebensnotwendiges Regulationszentrum im menschlichen Gehirn. Alle auf- und absteigenden Bahnen des ZNS (= zentralen Nervensystems) durchqueren ihn. In diesem Artikel wird die Anatomie des Hirnstamms, dessen Funktion und mögliche Entitäten (= Krankheitsbilder) näher erläutert. Der Hirnstamm macht zwar nur einen Bruchteil der Gehirnmasse aus, ist aber unentbehrlich für das Überleben, da er unter anderem lebenswichtige Aktivitäten wie die Atmung, die Herzfrequenz und den Blutdruck regelt. Der Hirnstamm macht es außerdem möglich, dass wir unbewusst und automatisch gehen, Handlungen flüssig ausführen und das Gleichgewicht halten können. Fällt die Funktion des Hirnstammes aus, kommen alle lebenswichtigen Aktivitäten des Körpers zum Erliegen. Ein Leben ohne funktionierenden Hirnstamm ist also nicht möglich.
Wissenswert ist hierbei außerdem, dass im Falle eines Wachkomas, das heißt, wenn die Funktion des Großhirns zum Erliegen kommt, der oder die Betroffene ausschließlich dadurch am Leben bleibt, dass der Hirnstamm weiterhin lebensnotwendiger Prozesse fortsetzt.
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Hirnstamm – Definition
Als Truncus encephali (=Hirnstamm) bezeichnet man alle unterhalb des Diencephalons (=Zwischenhirns) liegenden Hirnabschnitte. Der Hirnstamm verbindet die subkortikalen Strukturen (= unterhalb der Hirnrinde befindlichen Strukturen) des Gehirns mit der Wirbelsäule. Er enthält lebensnotwendige funktionelle Zentren und trägt maßgeblich zur Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen bei, wozu beispielsweise das Herz-Kreislauf-System, das Bewusstsein, die Atmung oder auch die Steuerung des Schlaf-Wach Rhythmus gehören.
Der Hirnstamm teilt sich in folgende Bestandteile auf: Mittelhirn (Mesencephalon), Brücke (Pons) und verlängertes Mark (Medulla oblongata oder Myelencephalon). Die Brücke und das Kleinhirn bilden das Hinterhirn. Zusammen mit dem verlängerten Mark entsteht das sogenannte Rautenhirn (Rombencephalon). Per Definition ist auch das Cerebellum (=Kleinhirn) ein Teil des Hirnstamms, allerdings wird dieses aus historischen Gründen nicht dazugezählt.
Fälschlicherweise werden die Begriffe Hirnstamm und Stammhirn oft synonym verwendet. Allerdings umfasst das Stammhirn im Gegensatz zum Hirnstamm alle Hirnabschnitte, ausgenommen sind nur das Groß- und Kleinhirn.
Hirnstamm – Anatomie
Der Hirnstamm ist eine Struktur, die sich an der Basis des Gehirns befindet und die subkortikalen Strukturen mit dem Rückenmark verbindet. Der Hirnstamm ist in etwa so groß wie ein Daumen. Hinter dem Hirnstamm schließt das Kleinhirn an, oberhalb befinden sich das Zwischen- und Großhirn.
Der Hirnstamm besteht aus drei “Etagen”: dem Mittelhirn (Mesencephalon), welches in etwa zwei Zentimeter groß ist und sich in die Vierhügelplatte, die Haube sowie zwei Hirnschenkel unterteilt, der Brücke (Pons) und dem verlängerten Mark (Medulla oblongata).
Der essenzielle Kern dieses Bereiches ist die sogenannte Formatio reticulatris. Dies ist eine netzartige Anordnung aus grauer Substanz (Substantia grisea) und weißer Substanz (Substantia alba), welche den ganzen Hirnstamm bis zum Rückenmark durchzieht.
Der Pons (Brücke) setzt sich aus der Brückenhaube, dem Velum medullare und dem Brückenfuß zusammen.
Das verlängerte Rückenmark ist dreischichtig und besteht aus einer Haube und einem vorderen bzw. hinteren Gebiet. Auf der Vorderseite des verlängerten Rückenmarks verlaufen die sogenannten Pyramiden und die Pyramidenbahnen. An den Seiten liegen die Oliven. An der Hinterseite die Rautengrube. Im Inneren befindet sich das Brechzentrum.
Der Hirnstamm verfügt über eine Vielzahl an Neurotransmittern, aber auch chemische Substanzen finden dort ihren Platz. Außerdem ist viel Eisen in den Gliazellen und den Neuronen des Hirnstamms vorhanden und gespeichert. Dies lässt sich mithilfe der Berliner-Blau-Reaktion nachweisen. Im Hirnstamm werden Enzyme nach einem bestimmten Muster verteilt. Insbesondere in den Kernen der Hirnnerven ist die Aktivität der Enzyme dann hoch.
Hirnstamm – Funktionen und Aufgaben
Der Hirnstamm bildet die Schnittstelle zwischen dem übrigen Gehirn und dem Rückenmark. Durch den Hirnstamm verlaufen unter anderem alle Bahnen, die am Großhirn beteiligt sind. Er leitet aus dem Körper aufsteigende und in den Körper absteigende Informationen weiter. Dies passiert über Kreuz. Deshalb ist die rechte Gehirnhälfte des Menschen für die Steuerung der linken Körperhälfte und die linke Gehirnhälfte für die Steuerung der rechten Körperhälfte verantwortlich.
Die zum Hirnstamm zugehörigen Gehirn-Anteile nehmen die Kerngebiete der Regulation, Koordination und Modulation essenzieller Lebensfunktionen wahr. Hierzu zählen unter anderem die Steuerung der Herzfrequenz, die Regulation des Blutdrucks, der Atmung und auch des Schwitzens. Darüber hinaus koordiniert der Hirnstamm das Wachen und Schlafen (Schlaf-Wach-Rhythmus) und ist auch an der Steuerung von sogenannten Hirnstammreflexen wie Lidschluss-, Schluck-, Husten-, und Brechreflex beteiligt.
Der Hirnstamm ist durchzogen von der Formatio reticularis mit den Raphe-Kernen. Die Formatio reticularis ist eine netzartige Struktur aus Nervenzellen und ihren Fortsätzen. Sie ist an verschiedenen vegetativen Funktionen des Organismus beteiligt. Hier wird die Stimmung, verschiedene motorische Vorgänge und Sektretionsreflexe bei der Verdauung sowie okulomotorische Reflexe (Augenbewegungen) gesteuert.
Zudem befinden sich im Hirnstamm einige Gehirnnerven, die zur Regulation des Gleichgewichts beitragen. Diese sind zudem für die Steuerung der Augen- und Gesichtsmuskulatur verantwortlich. Darüber hinaus leiten diese Hör- und Geschmackseindrücke weiter. Des Weiteren werden vom Stamm aus auch Muskelbewegungen koordiniert. Zu guter Letzt ist der Hirnstamm die Quelle von Endorphin, Noradrenalin, Dopamin und Serotonin (Hormone).
Hirnstamm – Klinik
Läsionen des Hirnstamms haben sogenannte Hirnstamm-Syndrome zur Folge. Diese zeichnen sich durch den Ausfall von Hirnnerven aus. Je nach Lage und Höhe der Schädigung (in Mittelhirn, Pons oder verlängertem Mark) fallen die Funktionen verschiedener Nerven aus.
Sofern eine unvollständige Hirnstammschädigung vorliegt, kann sich die Symptomatik auf der gleichen oder auf der gegenüberliegenden Körperhälfte äußern. Dies liegt an den gekreuzten Nervenbahnen.
Sind Nervenbahnen, die innerhalb des Hirnstamms zu weiter abwärts gelegenen Hirnnerven führen, beidseitig von der Schädigung betroffen, entsteht eine sogenannte Pseudobulbärparalyse. Hier treten Symptome wie Schluck- und Sprechstörungen auf. Des Weiteren ist die Zungenbeweglichkeit der Betroffenen beeinträchtigt. Viele leiden zudem an einer andauernden Heiserkeit.
Wissenswert ist auch, dass wenn Bereiche des Großhirns geschädigt sind, die Lebensfunktionen nur durch den Hirnstamm aufrechterhalten werden. Diesen Zustand bezeichnet man als Wachkoma. Betroffene sind zwar wach, erlangen allerdings kein Bewusstsein und können entsprechend keinen Kontakt mit ihrer Umgebung aufnehmen.
Bereits fetale (= den Fötus betreffende) Entwicklungs- und Anlagestörungen können zu klinischen Veränderungen des Hirnstamms führen. Hierzu zählen die Dandy-Walker-Malformation und die unterschiedlichen Formen der Chiara-Malformation.
Dandy-Walker-Malformation
Die Dandy-Walker-Fehlbildung, auch Dandy-Walker-Malformation oder Dandy-Walker-Syndrom genannt, ist eine angeborene Erkrankung des zentralen Nervensystems. Diese wird durch eine Hypoplasie des Kleinhirnwurms und eine zystische Erweiterung der vierten Hirnkammer charakterisiert. Kleinkinder, die mit dieser Fehlbildung geboren werden, entwickeln häufig bereits im ersten Lebensjahr Spastiken (= Krämpfe) und Augenbewegungsstörungen.
Hypoplasie erklärt
In der Medizin bedeutet der Begriff "Hypoplasie" die Unterentwicklung von Organen oder Gewebe.
Chiari-Malformation
Bei den Chiari-Malformationen handelt es sich um eine Gruppe von Entwicklungsstörungen. Hierbei kommt es zu einer Verschiebung von Teilen des Kleinhirns durch das Hinterhauptsloch in den Spinalkanal. Gleichzeitig besteht die hintere Schädelgrube, jedoch verkleinert. Symptome treten typischerweise zwischen dem zehnten und vierzigsten Lebensjahr auf. Die Betroffenen leiden vor allem unter Nacken-Hinterkopf-Schmerzen, Sehstörungen, Hörstörungen, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel.
Außerdem kann es im Bereich des Hirnstamms zu Bildung von Tumoren kommen. In den meisten Fällen handelt es sich um ein Astrozytom (= mit häufigste Tumorart im Gehirn). Patienten/-innen leiden unterdessen an spastischen Paresen, Seh- und Sprachstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit und in manchen Fällen auch an Erbrechen.
Parese erklärt
Bei einer Parese fallen manche Teile der Motorik aus. Muskeln, Muskelgruppen oder Extremitäten leiden dabei mehr oder weniger unter Lähmungserscheinungen.
Ein Hirnstamminfarkt (= Schlaganfall, der den Hirnstamm betrifft) führt ebenfalls zu Läsionen im Gehirn. Dieser kann verschiedene Formen annehmen:
Weber-Syndrom
Das Weber-Syndrom ist ein sehr typisches Hirnstammsyndrom. Es kommt durch Schädigungen im Bereich des Mittelhirnfußes zustande. Mögliche Symptome sind das Sehen von Doppelbildern und eine Einschränkung der Augenbeweglichkeit. Zumindest eine Pupille ist stark vergrößert und es tritt Lähmungsschielen auf. Auf der gegenüberliegenden Seite kommt es zu einer spastischen Halbseitenlähmung.
Locked-In-Syndrom
Das Locked-In-Syndrom ist die schwerwiegendste Form des Hirnstamminfarkts. Erkrankte sind bei dieser Form fast vollständig gelähmt und können nur noch vertikale Augenbewegungen ausführen. Das Bewusstsein der Patienten/-innen bleibt hiervon unberührt. Sie sind weiterhin in der Lage, selbst komplexe Zusammenhänge zu erfassen.
Benedikt-Syndrom
Beim Benedikt- Syndrom ist das Gewebe im Bereich des Mittelhirns beschädigt. Betroffene leiden an Funktionsstörungen an der kontralateralen Körperseite (= entgegengesetzte Körperseite). Die Pupille ist lichtstarr. Zudem können Patienten/-innen vermehrt Doppelbilder sehen.
Wallenberg-Syndrom
Der Krankheitsverlauf ist hierbei von der Schwere des Hirnstamminfarkts abhängig. Bei dem Vorliegen des Wallenberg-Syndroms wird das Rückenmark nicht ausreichen durchblutet. Diese Durchblutungsstörungen führen unter anderem zu Bewegungs-, Gefühls- und Schluckstörungen.
Babinski-Nageotte-Syndrom
Beim Babinski-Nageotte-Syndrom wird das verlängerte Mark geschädigt, weshalb ungekreuzte und gekreuzte Nervenfasern ihre Funktion verlieren. Man spricht hierbei von einem alternierenden Hirnstammsyndrom. Man leidet an neurologischen Veränderungen in Form von Ausfällen, die auf der kontralateralen Seite oder auch auf der gleichen Seite des Körpers auftreten.
Hirnstamminfarkt aufgrund arterieller Verkalkungen
Ein Hirnstamminfarkt kann eben auch aufgrund arterieller Verkalkungen entstehen. Auch hier hängt die Schwere der Erkrankung von der Schwere des Hirnstamminfarkts ab. Nach einem leichten Infarkt ist es für Betroffene meistens möglich, ein selbstständiges Leben zu führen. Bei einem schweren Infarkt lebt man in aller Regel mit zahlreichen Einschränkungen.
Betrifft ein Hirnstamminfarkt jene Areale, die für das Bewusstsein oder die Atmung von Bedeutung sind, ist die Läsion in diesem Fall lebensbedrohend.