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Der Begriff “Homunculus” hat in der Neuroanatomie besondere Bedeutung erlangt. Er bezeichnet schematische Darstellungen des menschlichen Körpers im Gehirn, die sogenannten somatosensorischen und motorischen Homunculi. Diese Darstellungen sind entscheidend für das Verständnis, wie das Gehirn sensorische Informationen verarbeitet und Bewegungen steuert. Der Homunculus bietet somit wertvolle Einblicke in die funktionelle Organisation des Nervensystems und die neuronalen Grundlagen von Wahrnehmung und Motorik.
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Was ist ein Homunculus?
Der sensomotorische Homunculus ist eine schematische Darstellung, die zeigt, wie verschiedene Teile des menschlichen Körpers im somatosensorischen und motorischen Kortex des Gehirns repräsentiert sind. Er zeigt den menschlichen Körper auf die verzerrte Art und Weise, in der er im Gehirn repräsentiert wird (Somatopie). Diese Karte des Körpers auf der Gehirnrinde verdeutlicht, dass bestimmte Körperteile, wie die Hände und das Gesicht, überproportional große Bereiche im Kortex einnehmen, was ihre hohe Sensibilität und Bewegungsfeinheit widerspiegelt. Diese Darstellungen sind entscheidend für das Verständnis der neuronalen Grundlagen von Wahrnehmung und Bewegung und helfen, die Organisation und Funktion des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln.
Andere Definitionen des Homuculus
Die Idee des Homunculus ist auch in der Alchemie und Philosophie vertreten. In der Alchemie geht es dabei und die Erschaffung eines Miniaturmenschen (beschrieben nach Paracelsus). Die Philosophie beschreibt den Homunculus auch als kleinen Menschen, in dieser Vorstellung sitzt er allerdings im Kopf und steuert Gefühle, Emotionen, Gedanken und Entscheidungen. Hierbei entsteht jedoch die Problematik und Fragestellung, ob in diesem auch ein kleiner Mensch besteht, der wiederum auch einen Menschen im Kopf hat (Regressproblematik).
Hintergrundwissen Neuroanatomie – Cortex cerebri
Der größte Teil des Cortex cerebri (allgemein als Hirnrinde bezeichnet) wird vom Isokortex eingenommen. Dieser besteht in seinem allgemeinen Aufbau aus 6 Zonen. Diese sind von außen nach innen:
- Lamina molecularis: wenige Zellen, vor allem Ausläufer von Neuronen
- Lamina granularis externa: sogenannte Körnerzellen (kleine Pyramiden- und Nicht-Pyramidenzellen), die vor allem zur Verbindung zwischen Hirnarealen untereinander und beispielsweise mit dem Thalamus
- Lamina pyramidalis externa: vor allem große Pyramidenzellen mit Ausläufern in die Lamina molecularis
- Lamina granuläres interna: dicht gepackte Körnerzellen, die afferente Nerven aus dem Thalamus empfangen und Kortexareale und Hirnhälften verbinden (Assoziationsbahnen und Kommissurenfasern)
- Lamina pyramidalis interna: große Pyramidenzellen (Betz-Riesenpyramidenzellen) mit Projektion auf extrakortikale Zentren
- Lamina multiformis: viele morphologisch unterschiedliche Zellen mit Verbindungen zu den spezifischen Thalamuskernen
Entsprechend ihrer Funktion haben die unterschiedlichen Bereiche im Gehirn unterschiedliche Ausprägungen dieser Cortex-Schichtung, wonach die Areale nach Brodmann definiert sind. Den Arealen werden verschiedene fest definierte Funktionen zugeordnet.
Cortexformen
Je nach Ausprägung der Schichten unterscheidet man zwei Formen des Cortex: Der granuläre Cortex hat besonders ausgeprägte Schichten mit Körnerzellen, also von denjenigen Zellen die extrakortikale Informationen empfangen und mit anderen Arealen kommunizieren. Diese Ausprägung kommen vor allem in sensorischen Teilen des Gehirns vor. Der Gyrus postcentralis, der den sensorischen Homunculus beinhaltet, gehört zu diesen Arealen. Im motorischen Arealen hingegen dominieren die Pyramiden-Schichten, die efferente Verbindungen zu extrakortikalen Bereichen und Thalamus aufweisen. Hierzu gehört der Gyrus präcentralis des primär motorischen Cortex, indem der motorische Homunculus abgebildet wird.
Homunculus – Lage und Beschreibung
Die Lage des (sensorischen und motorischen) Homunculus betrachtet man in der Frontalebene – bei gedachtem Schnitt durch das Gehirn, ungefähr vom linken zum rechten Ohr. Jede Hemisphäre hat hier eine Facies medialis im Bereich der Mantelkante (die mediale senkrechte Seite in Richtung der Fall cerebri und der anderen Hirnhälfte). Hier werden vor allem die Nerven der unteren Extremität abgebildet. Je weiter apikal und basal man geht, desto weiter kranial liegen die repräsentierten Körperteile. Da die Lage der Körperteile damit im Gehirn vertauscht vorliegt spricht man auch vom „umgekehrten Homunculus“.
Eigenschaften des Homunculus
Grundsätzlich zeichnet sich der Homunculus in der Neuroanatomie vor allem durch seine deutliche Überrepräsentation der Hände aus. Für die Motorik und Sensorien der Hand hat der Körper etwa gleich viele Neurone wie für den gesamten Rest ohne Gesicht.
Sensorischer Homunculus
Die Nervenzellen im Gyrus postcentralis (primär sensorischer Cortex im Parietallappen) repräsentieren die sensorischen Bereiche (rezeptive Felder), die sich überall auf der Haut, den Schleimhäuten und auch in den Organen befinden. Ihre Anordnung ergibt den sensorischen Homunculus, der sich besonders durch ausgeprägte Füße, Hände und Gesicht auszeichnet. Obwohl die Genitalien besonders empfindlich sind, ist ihre Repräsentation im Gehirn sehr klein. Sie liegt am weitesten medial. Richtung apikal folgt die untere Extremität, der Stamm, die Hände (vor allem der Zeigefinger) und schließlich das Gesicht mit Fokus auf Lippen und Zunge. Bei der sensorischen Repräsentation liegen die Eingeweide am weitesten basal, die nur klein repräsentiert werden.
Exkurs Zweipunktschwelle
Die Repräsentation der Körperteile im Gehirn entspricht der Sensorendichte im jeweiligen Bereich. Diese lässt sich praktisch mit der Überlegung nachvollziehen, wie gut sich eine Berührung oder ein Schmerzreiz an diesem Körperteil örtlich eingrenzen lässt. „Bauchschmerzen“ lassen sich beispielsweise sehr schlecht auf einen Organabschnitt reduzieren. Ein Schnitt am Finger kann hingegen allein durch den sensorischen Reiz sehr genau verortet werden. Um dieses Phänomen auch klinisch testen zu können, gibt es in der Medizin die sogenannte Zweipunktschwelle. Sie gibt an bei welchem minimalen Abstand zwei Reize noch als Einzelreize von Patienten/-innen wahrgenommen werden.
Motorischer Homunculus
Der motorische Homunculus ist das Äquivalent im Gyrus präcentralis (primär motorischer Cortex im Forntallappen). Hier werden angesteuerte Skelettmuskeln repräsentiert, die Genitalien und Eingeweide sind also kein Teil davon. Man unterscheidet zwischen grob angesteuerten Muskeln an Rumpf, Armen und Beinen und feingesteuerten Muskeln der Hände und des Gesichts. Letztere sind entsprechend auch stärker repräsentiert.
Homunculus – Klinik
Schädigungen oder Veränderungen der unterschiedlichen Areale in denen der motorische und der sensorische Homunculus liegen haben unterschiedliche Auswirkungen.
Phantomschmerzen
Neuroplastische Veränderungen beziehungsweise Neuroplastizität, beschreibt die Fähigkeit des Gehirns sich in seiner Struktur und Funktion zu verändern und sich äußeren Bedingungen anzupassen. Dies ermöglicht das Lernen von neuen Dingen, die Rehabilitation von Hirnschädigungen und vieles mehr. Nach einer Amputation reorganisiert sich der somatosensorische Kortex, der die Repräsentation des amputierten Körperteils enthält. Diese neuronale Umstrukturierung kann zu Fehlinterpretationen von Signalen und zur Entstehung von Schmerz führen. Zudem können beschädigte Nervenenden in der Nähe der Amputationsstelle anhaltende Schmerzsignale an das Gehirn senden.
Schlaganfall
Der sensorische und der motorische Homunculus können beide in ihrer Lage von einem Schlaganfall betroffen sein. Hierbei kommt es meist zu motorischen und sensorischen Ausfällen in den Körperregionen, die im betroffenen Cortexbereich repräsentiert werden. Anhand der Beschwerden bei einem Schlaganfall lässt sich dank der Homunculus-Lage die betroffene Gefäßstruktur eingrenzen beziehungsweise bei bekanntem Schlaganfall die Auswirkungen auf den Körper abschätzen.
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