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Der Leistenkanal (Canalis inguinalis) ist eine kleine, aber sehr wichtige Region des Körpers. Neben seiner bedeutenden Rolle während der Embryonalentwicklung tritt er im Laufe des Lebens bei vielen Menschen wieder ins Bewusstsein, wenn die Diagnose eines Leistenbruchs gestellt wird.
Alle Informationen zum Leistenkanal, seinem Aufbau und seinen Funktionen gibt es hier nachzulesen.
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Leistenkanal – Definition
Der Leistenkanal ist eine circa vier bis fünf Zentimeter lange Bindegewebsröhre, welche eine Verbindung zwischen dem Bauchraum und dem äußeren Genitale schafft. Beim Mann ermöglicht er den Durchtritt für den Samenstrang und den Hoden zum Hodensack, bei der Frau leitet er ein Halteband der Gebärmutter, das Ligamentum teres uteri, zu den großen Schamlippen. Zudem enthält er bei beiden Geschlechtern Nerven zur Versorgung des Oberschenkels und der Schamgegend.
Leistenkanal – Anatomie und Verlauf
Der Leistenkanal beginnt über dem Ligamentum inguinale in einem muskelfreien, dreieckigen Bereich des Unterbauches. Danach durchläuft er verschiedene Stationen und wird von unterschiedlichen Muskeln und Faszien begrenzt. Welche genau das sind, ist in den folgenden Absätzen näher aufgeschlüsselt.
Öffnungen
Der innere Leistenring, Anulus inguinalis profundus, liegt in der Fossa inguinalis lateralis neben der Arteria und Vena epigastria inferiora. Sein Eingang wird gebildet durch Einstülpung der Fascia transversalis, welche zwischen der Bauchmuskulatur und dem Bauchfell liegt. Der Anulus inguinalis profundus liegt lateral, dorsal und cranial vom äußeren Leistenring.
Der äußere Leistenring, Anulus inguinalis superficialis, liegt in der Fossa inguinalis medialis oberhalb des Schamhügels (Tuberculum pubicum) und wird gebildet aus einer Einkerbung der Aponeurose des Musculus obliquus externus abdominis.
Begrenzungen
Das Dach des Canalis inguinalis bilden Musculus obliquus internus und Musculus transversus abdominis, wobei die Faszie des Musculus transversus sich gemeinsam mit dem Ligamentum interfoveolare auf die Rückseite des Kanals erstreckt und somit dessen Rückwand bildet. Nach vorne hin wird der Leistenkanal begrenzt durch die Aponeurose des Musculus obliquus externus, welche sich nach unten hin als Ligamentum reflexum fortsetzt und zusammen mit dem Ligamentum inguinale den Boden des Leistenkanals darstellt.
Leistenkanal beim Mann
Der Leistenkanal entsteht beim männlichen Embryo im Rahmen des Descensus testis, bei welchem die zunächst retroperitoneal entstehenden Hoden durch die Bauchdecke zum Hodensack hinab wandern. Sie folgen dabei dem Processus vaginalis peritonei und werden begleitet vom Samenstrang, dem Funiculus spermaticus, der wichtige Strukturen enthält und dessen bindegewebige Zwischenschichten aus den Sehnenfortsätzen der Bauchmuskulatur entstehen.
In der innersten Schicht des Samenstranges finden sich der Samenleiter, Ductus deferens, mit seinen Blutgefäßen, der Arteria und Vena ductus deferentis, weiterhin Arteria und Venae testiculares (auch als Plexus pampiniformis bezeichnet) mit dem zugehörigen Nervengeflecht, dem Plexus testicularis.
Hiernach folgt nach außen hin die erste Bindegewebshülle, die Fascia spermatica interna. Sie wird ringförmig umgeben vom Musculus cremaster, welcher bei Kontraktion den Hoden anhebt. Als Abspaltung des Musculus obliquius internus lagert sich dieser erst im Verlauf des Leistenkanals der Faszie an. Innerhalb des Musculus cremaster verlaufen Arteria und Vena cremasterica und der Ramus genitalus des Nervus genitofemoralis.
Die nächste Bindegewebsschicht ist die Fascia cremasterica. Auf dieser verläuft noch der Nervus ilioinguinalis, bevor dann die Fascia spermatica externa die äußere Begrenzung des Funiculus spermaticus bildet.
Leistenkanal bei der Frau
Bei der Frau finden sich im Leistenkanal das Ligamentum teres uteri oder Ligamentum rotundum und die Arteria ligamenti teretis uteri. Zudem verlaufen Lymphgefäße und zwei Nerven durch den Kanal, Nervus ilioinguinalis und genitofemoralis, die den Oberschenkel, die Bauchwand und das äußere Genitale anteilig versorgen.
Der weibliche Leistenkanal ist deutlich einfacher aufgebaut und mit knapp fünf Millimetern nur halb so dick wie der des Mannes.
Leistenkanal – Aufgaben und Funktionen
Der Leistenkanal ermöglicht beim Mann den Descensus testis und führt hiernach den Samenstrang mit sämtlichen für die Versorgung von Hoden und Nebenhoden wichtigen Strukturen zum Skrotum, dem Hodensack. Bei der Frau umfasst er das Ligamentum teres uteri, ein wichtiges Stützband für den Uterus, und wichtige Nerven für die sensible Versorgung der Schamgegend.
Leistenkanal – Embryologie
Im dritten Embryonalmonat entsteht zunächst beidseits aus dem Peritoneum (Bauchwand oder Bauchfell) parietale eine Aussackung, der Processus vaginalis, in Richtung des Skrotalwulstes. Gleichzeitig verankert sich ein Bindegewebsband, das Gubernaculum testis, im Skrotalwulst.
Ab der 28. Embryonalwoche wandern dann die retroperitoneal (hinter dem Bauchfell gelegen) angelegten Hoden beim Descensus testis in den Hodensack ein. Sie folgen dabei dem Processus vaginalis entlang dem Gubernaculum zunächst vor den künftigen inneren Eingang des Leistenkanals, welcher sich dann durch Ausstülpung der Fascia transversalis, bildet, und ziehen im Anschluss weitere Bauchmuskelfaszien mit abwärts.
Der Processus vaginalis entwickelt sich nach dem Descensus teilweise zurück, Reste verbleiben an den freien Seiten des Hodens (außerhalb des Nebenhodens) als umhüllendes Epiorchium und Periorchium.
Die Fascia transversalis wird zur Fascia spermatica interna. Beim Descensus testis lagern sich ihr Muskelanteile und Bindegewebe des Musculus obliquus internus an, welche Musculus cremaster und die zugehörige Fascia cremasterica bilden. Zuletzt entsteht aus Anteilen der Aponeurose des Musculus obliquus externus und der Fascia abdominalis die Fascia spermatica externa.
Bleibt die Verlagerung der Hoden in den Hodensack aus, so kann dies weitreichende Konsequenzen haben. Neben Unfruchtbarkeit durch zu hohe Temperaturen, welche die Spermiogenese beeinträchtigen, weisen Patienten mit Maldescensus testis ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entstehung von Hodenkrebs auf.
Bei der Frau kommt es während der Embryonalentwicklung zu einer geringfügigen Verlagerung der Eierstöcke, Ovarien, welche mittels des Ligamentum ovarium proprium in Kontakt mit der Gebärmutter stehen. Die Fortsetzung dieses Bandes, welche sich bis in den Leistenkanal erstreckt, ist das Ligamentum teris uteri. Die Entsprechung des männlichen Prozessus vaginalis ist dabei der Nuck-Gang, welcher sich spätestens im ersten Lebensjahr zurück bildet.
Leistenkanal – Krankheiten und Beschwerden
Der Leistenkanal und seine Umgebung als bindegewebige Strukturen ohne muskuläre Verstärkung bilden eine Schwachstelle der Bauchdecke. Erhöht sich der Druck im Bauchraum, so kann sich das Bauchfell in den Kanal oder an diesem vorbei nach außen drücken, es kommt zum Leistenbruch.
Die dabei entstehende Lücke wird als Bruchpforte bezeichnet, das Bauchfell bildet dann den Bruchsack, in welchen sich Teile des Darms, des Bauchfettgewebes, aber auch der Harnblase oder der Eierstöcke verlagern können.
Leistenbrüche ohne Komplikationen präsentieren sich häufig als schmerzlose Schwellung, deren Inhalt im Liegen zurück in den Bauchraum gedrückt werden kann. Kommt es hingegen zur Einklemmung einer Struktur oder eines Gewebes, so ist dies mit Schmerzen und Funktionsausfällen verbunden. Es handelt sich um eine Notfallsituation, welche zügig operativ behoben werden muss.
Leistenbruch bei Kindern
Ein Leistenbruch ist bei Kindern ein häufiges Krankheitsbild. Anders als bei Erwachsenen beruht ein Leistenbruch bei Kindern jedoch auf einer angeborenen Fehlbildung. Bei Jungen besteht hier eine Verbindung zwischen Bauchraum und Hodensack, bei Mädchen zwischen Bauchraum und Schamlippen. Leistenbrüche müssen bei Kindern in der Regel operativ behoben werden.
Indirekter Leistenbruch
Er wird auch als lateraler Leistenbruch bezeichnet. Hierbei schiebt sich der Bruchsack samt Inhalt durch den inneren Eingang des Leistenkanals. Dies wird bei Männern durch das Fortbestehen des Kanals zur Führung des Funiculus spermaticus begünstigt. Bei Frauen ist der indirekte Bruch seltener, da ihr Leistenkanal in der Regel bindegewebig verschlossen und damit druckresistenter ist.
Direkter Leistenbruch
Der direkte Leistenbruch verläuft neben dem Leistenkanal und mündet im Bereich des Angulus externus im sogenannten Hesselbach-Dreieck. Er tritt häufig bei älteren oder übergewichtigen Personen auf, deren geschwächte Bauchwand dem inneren Druck mit der Zeit nachgibt.
Bei der Operation eines Leistenbruchs werden zunächst die ausgetretenen Strukturen in den Bauchraum zurück verlagert und die Bruchpforte anschließend verschlossen. Gegebenenfalls kann ein stützendes Netz mit eingearbeitet werden. Wichtig ist vor allem beim indirekten Leistenbruch des Mannes, während der Operation die Durchlässigkeit des Leistenkanals zu prüfen, damit die Versorgungsstrukturen des Hodens nicht geschädigt werden, was im schlimmsten Falle einen Verlust des Hodens und eine Einschränkung der Fruchtbarkeit zur Folge hätte.
Bleibt bei Frauen der Nuck-Gang erhalten, so kann sich hierin eine Flüssigkeitsansammlung analog zur Hydrozele des Mannes bilden. Außerdem kann in diesem Fall eine indirekte Leistenhernie entstehen. Dies ist allerdings ein sehr seltenes Krankheitsbild.
Entlang des Ligamentum teres uteri können Krebszellen aus dem Becken heraus bis in den Bereich der Schamlippen einwandern und dort Metastasen ausbilden.
Häufige Fragen
- Ist ein Leistenbruch immer sichtbar?
- Welches Organ befindet sich in der linken Leistengegend?
- Wie merkt man, dass man einen Leistenbruch hat?
- Wie fühlt sich eine Leistenzerrung an?
Abhängig von Ort und Ausprägung des Leistenbruchs muss dieser nicht zwingend sichtbar sein. Befinden sich im Bruchsack weiche Gewebe, welche im Liegen spontan zurück in die Bauchhöhle rutschen, so kann der Bruch zudem schmerzlos oder schmerzarm verlaufen, was die Diagnose bei unspezifischen Beschwerden erschweren kann.
In der Leistengegend selbst befinden sich keine soliden Organe, allerdings können durch die Nervenverläufe bei vielen Erkrankungen Schmerzen in die Leiste fortgeleitet werden. Neben Affektionen der Hoden und Nebenhoden sind dies häufig Koliken bei Harnleitersteinen und ausstrahlende gynäkologische Beschwerden, Beckenlockerungen im Rahmen einer Schwangerschaft und bei beiden Geschlechtern Entzündungen des Darms, vor allem, wenn diese sich bereits auf das umgebende Gewebe ausgebreitet haben. Da viele Menschen unter einer Sigmadivertikulose leiden, sollte eine akute Divertikulitis bei entsprechendem Risiko und unklaren Leistenschmerzen der linken Seite als mögliche Diagnose in Betracht gezogen werden.
Typische Anzeichen eines Leistenbruchs sind eine Schwellung im Bereich des Unterbauches zur Schamgegend hin, welche sich unter Umständen im Liegen zurück bildet und eventuell schmerzhaft ist. Beim indirekten Leistenbruch des Mannes üben die Inhalte des Bruchsacks Druck auf den Samenstrang und Nervenstrukturen aus, was eine Unterbindung der Blutversorgung von Hoden und Nebenhoden zur Folge haben kann. Hierbei besteht neben einem massiv vergrößerten Hodensack zudem ausgeprägte Schmerzen. Direkte Leistenbrüche führen eher zu Problemen der Darmmotorik, da in diesen häufig Darmschlingen eingeklemmt werden und somit die Stuhlpassage unterbrochen wird. Ein akuter Darmverschluss geht neben Schmerzen mit Stuhlverhalt oder Durchfällen einher und ist ein akuter Notfall.
Eine Leistenzerrung, auch Adduktorenzerrung genannt, entsteht durch eine Überdehnung der Muskeln, welche an Hüfte und Oberschenkel ansetzen und das betroffene Bein zur Körpermitte heran ziehen. Diese umfassen Musculus adductor longus, brevis und magnus, zudem Musculus gracilis und pectineus, bei manchen Autoren zudem Musculus obturatorius externus. Als häufige Fußballerverletzung resultiert die Leistenzerrung oft aus einer breiten Grätsche und führt zu Schmerzen an den Ansätzen der betroffenen Sehnen und im Schambereich, vor allem beim Versuch, das Bein gegen Widerstand an den Körper heran zu ziehen.
- Fanghänel, J., Pera, F., Anderhuber, F., & Nitsch, R. (2003). Waldeyer Anatomie des Menschen. In: J. Fanghänel, F. Pera, F. Anderhuber, & R. Nitsch, Waldeyer Anatomie des Menschen (S. 918). Berlin: de Gruyter.