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Fast vergessen von vielen Menschen leistet das Lymphsystem tagtäglich wichtige Arbeit im Körper. Der durchaus komplexe Aufbau erscheint auf den ersten Blick sehr unübersichtlich, weshalb es doch überrascht, welche Systematik und welcher Sinn sich im Gesamtbild ergibt. Auf diesen Überblick fokussiert sich der folgende Artikel, um dem Wirrwarr Herr zu werden. Außerdem wird jeweils ein grober Überblick über die Anatomie der einzelnen Bestandteile des Lymphsystems gegeben.
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Lymphsystem – Definition
Definitionsgemäß besteht das Lymphsystem zum Einen aus den Lymphgefäßen und den zwischengeschalteten Lymphknoten und zum Anderen aus den lymphatischen Organen. Gemeinsam bilden sie ein System, das einen großen Teil der Immunabwehr ausmacht und unverzichtbar ist.
Lymphsystem – Überblick und Systematisierung
Um den facettenreichen Anforderungen gerecht zu werden, die dem Lymphsystem gestellt werden, übernehmen verschiedene Strukturen unterschiedliche Aufgaben. Die lymphatischen Organe, unterteilt in primär und sekundär, sorgen für die Ausreifung und grundlegende Funktionsfähigkeit von Immunzellen (primäre Organe) sowie für einen kontrollierten Kontakt mit den Antigenen und Fremdkörpern, wodurch die Immunzellen auf den Erreger angepasst werden (sekundäre Organe). Gleichzeitig gelingt dies nur durch den regulierten Transport der Lymphe über das Lymphgefäßsystem und die zwischengeschalteten Lymphknoten. In ihr sind Fremdkörper und Antigene gelöst, die eine Immunantwort herauskitzeln, allerdings können sich hierüber auch Tumorzellen in den Rest des Körpers ausbreiten. Dieser Prozess ist als Metastasierung bekannt.
Lymphatische Organe
Bei den lymphatischen Organen werden die primären von den sekundären unterschieden. Zu ihnen zählt jeweils folgendes:
- primäre lymphatische Organe: Thymus (Bries) und Knochenmark
- sekundäre lymphatische Organe: Milz, Lymphknoten, Mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe (MALT)
Aufgabe der primären Organe ist die Reifung und Ausbildung von funktionsfähigen Immunzellen. Ihnen soll es möglich sein, Antigene zu erkennen und anschließend zu binden. Damit sind sie eher indirekt an der Immunabwehr beteiligt und erfüllen eine übergeordnete Funktion. Im Thymus, der im oberen Mediastinum lokalisiert ist, reifen die T-Lymphozyten zu immunkompetenten Zellen heran. Wichtig ist hierbei auch die Selbsttoleranz, die sie im Laufe des Reifungsprozesses erhalten. Damit können sie zwischen fremden und körpereigenen Antigenen unterscheiden und reagieren nur auf körperfremdes Material. Das Knochenmark befindet sich in allen Knochen als weiches Gewebe. Neben seiner essentiellen Rolle in der Hämatopoese liegt seine Aufgabe in der Ausbildung und Reifung der B-Lymphozyten sowie in der generellen Bildung von Immunzellen (Leukopoese). Dementsprechend entwickeln sich die unreifen T-Vorläuferzellen auch hier, migrieren anschließend allerdings zum Thymus über den Blutkreislauf, wo sie ausreifen.
Die sekundären Organe bilden im Gesamten den Raum für die spezifische, auf den aktuell vorhandenen Erreger abgestimmte Immunantwort. Die von den primären Organen gebildeten Immunzellen sind naiv, das heißt, sie sind noch auf keinen Erreger oder Antigen spezialisiert. Dieser Schritt der Entwicklung zu Effektorzellen erfolgt in den sekundären Organen. Naive B- und T-Lymphozyten begeben sich dafür auf die Suche nach passenden Antigenen und werden in den sekundären Organen fündig, da diese die Antigene präsentieren und die Lymphozyten so binden und sich differenzieren können. Anschließend emigrieren die fertigen Immunzellen über wegführende Lymphgefäße das sekundär lymphatische Organ und gelangen über das Lymphgefäßsystem zum Infektionsort, wo sie ihre Funktion ausüben.
Unterschiede im Aufbau sekundärer lymphatischer Organe
Histologisch und teilweise auch makroskopisch fallen bei Betrachtung einige Besonderheiten bei Lymphknoten, Milz und MALT auf. Diese ergeben sich durch den unterschiedlichen Bezug von den Antigenen.
Der Lymphknoten kennzeichnet sich durch viele zuführende Lymphgefäße (Vasa afferentia) und ein Lymphsinussystem aus. Er erhält die Antigene also über die Lymphe. Die Milz hingegen ist an den Blutkreislauf angeschlossen und bekommt darüber die Antigene, was sich in der Ausprägung der roten Pulpa zeigt. Das MALT-System kennzeichnet sich durch ein typischen Follikel-assoziiertes Epithel, was deutlich macht, dass die Antigene es über das Oberflächenepithel erreichen.
Lymphgefäßsystem
Das Lymphgefäßsystem leitet die Lymphe durch den Körper wieder zurück in den Blutkreislauf. Lymphe beschreibt ein Ultrafiltrat des Bluts, das sich zunächst zwischen den Gewebszellen ansammelt (interstitiell) und anschließend von den blind beginnenden Lymphkapillaren eingefangen wird. Sie enthält grundsätzlich ähnliche Bestandteile wie das Blutplasma, allerdings auch noch Fremdorganismen und Erreger, die das Immunsystem aktivieren.
Topographisch lässt sich ein oberflächliches von einem tiefen Lymphgefäßsystem unterscheiden, die ineinander übergehen mittels Perforansgefäßen. Sie müssen die oberflächliche Körperfaszie durchbrechen. Diese Verbindung besteht besonders im Bereich der Achsel (axillär), des seitlichen Halses (cervical) und der Leiste (inguinal). Durch die Perforansgefäße fließt die Lymphe der oberflächlichen Gefäße und die der tiefer gelegenen. Haut und Subcutis drainieren in das obere System, Muskeln, Organe, Knochen und Nerven in das tiefe.
Der gesamte Lymphabfluss folgt einem bestimmten System. Aufgrund dessen ist es möglich, bei Metastasen auf den wahrscheinlichsten Ort des Primärtumors zu schließen. Grundlegend betrachtet fließt die Lymphe des rechten oberen Körperquadranten in den Ductus lymphaticus dexter. Die restlichen drei Quadranten fließen in den Ducuts thoracicus, der entsprechend auch das größte Lymphgefäß darstellt. Beide münden am Ende im rechten (Ductus lymphadicus dexter) beziehungsweise linken (Ductus thoracicus) Venenwinkel, ein beidseits des Halses vorkommender Zusammenfluss der Vena jugularis interna und Vena subclavia zur Vena brachiocephalica. Die beiden Venae brachiocephalicae vereinigen sich dann gemeinsam zur Vena cava superior und leiten so das Blut in den rechten Herzvorhof.
Die Lymphgänge entstehen durch die Vereinigung kleinerer Gefäße. Dabei lautet die Hierarchie dieser Lymphgefäße wie folgt: Lymphkapillare nehmen als kleinste Gefäße die Lymphe auf, sie vereinigen sich zu Präkollektoren, die zu Kollektoren werden. Diese sammeln sich in Lymphstämmen (Trunci lymphatici) und enden wiederum dann in den Lymphgängen (Ducti).
Der fortlaufende Fluss der Lymphe wird einerseits durch die glatte Muskulatur in den Wänden der Lymphgefäße aufrechterhalten, die Muskelpumpe der Skelettmuskulatur und die arterielle Pulswelle trägt dennoch auch noch entscheidend dazu bei. Auch die Atmung erleichtert den Transport durch die Druckveränderungen im Thorax im Verlauf des Atemzyklus.
Lymphsystem – Klinische Bedeutung und Erkrankungen
Eine große Bedeutung kommt dem Lymphsystem im Rahmen von Tumoren und deren Metastasierung zu. Metastasierung beschreibt Absiedlungen von malignem (bösartigem) Tumorgewebe, die sich dann entlang von verschiedenen Strukturen im Körper ausbreiten und sich vermehren. Ein Weg dieser Verbreitung ist über das Lymphsystem, weshalb diese Art als lymphogene Metastasierung bezeichnet wird. Entlang des Abflusswegs der Lymphe werden die lokalen Lymphknoten infiltriert. Eine Sonderform davon stellt die Lymphangiosis carcinomatosa dar. Hierbei breitet sich der Tumor direkt innerhalb der Lymphgefäße in der Endothelzellschicht aus. Kutane befallene Gefäße äußern sich symptomatisch mit Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung und Schmerzen. Sind pulmonale Lymphgefäße betroffen, klagen Patienten häufig über Atemnot (Dyspnoe) und Reizhusten. Neben der lymphogenen Metastasierung ist eine Ausbreitung entlang der Blutgefäße möglich, was unter dem Begriff der hämatogenen Metastasen behandelt wird.
Das Lymphsystem ist bei verschiedenen Erkrankungen stark eingeschränkt und verursacht somit Fehlfunktionen des gesamten Immunsystems. Ein Beispiel hierfür ist die Myasthenia gravis, eine Autoimmunerkrankung. Hierbei entstehen Autoantikörper, die an die Acetylcholin-Rezeptoren binden. Diese sind auf der Skelettmuskulatur des Körpers vorhanden, genauer gesagt auf der motorischen Endplatte, worüber die Erregung auf den Muskel übertragen wird. Es folgt eine extreme Schwäche der Skelettmuskulatur. Der Thymus nimmt bei dieser Erkrankung eine besondere Rolle ein. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen ist er pathologisch (krankhaft) vergrößert oder von einem Tumor befallen (Thymom) und muss deshalb entnommen werden. Die Epithelzellen des Thymus weisen Antigene aus, die dem Acetylcholin-Rezeptor ähnlich sind. In der Folge, durch seine Funktion bedingt, produziert der Körper Antikörper dagegen, die entsprechend auch an der Muskulatur angreifen. Nach Entfernen des Thymus lindern sich bei einem Großteil der Patienten die Symptome der Myasthenia gravis drastisch oder es kommt sogar zur Heilung.
Eine extreme Immundefizienz (das Immunsystem kann seine Funktion nicht ausüben) entsteht beispielsweise auch durch das DiGeorge-Syndrom, eine genetische Erkrankung, die embryonal keine Entwicklung des Thymus erlaubt (Thymusaplasie). Patienten können unter sterilen Bedingungen überleben und eine Transplantation des Thymus kann Besserung schaffen. Jeder kleinste Infekt kann hierbei aber tödlich enden, da der Körper keinerlei Abwehrmechanismen besitzt.
- Schünke M et. al., Prometheus LernAtlas der Anatomie, 5. Auflage, Thieme
- Aumüller G et. al., Duale Reihe Anatomie, 5. Auflage, Thieme
- Lymphatisches System, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 15.06.2024)
- Allgemeine Onkologie, https://next.amboss.com/... , (Abrufdatum: 15.06.2024)