Inhaltsverzeichnis
Ein gesundes und ausgeglichenes Mikrobiom soll das Leben einfacher machen und verspricht besseren Schlaf, mehr Energie und mehr Ausgeglichenheit. Doch was versteckt sich hinter dem Begriff und welche Rolle nimmt der Darm ein? Helfen Probiotika und wie kann das Mikrobiom sinnvoll gestärkt werden? Alle diese Fragen werden im Text beantwortet. Zusätzlich gibt dieser Artikel einen Überblick, welche Aufgaben das Mikrobiom physiologisch besitzt und wo es im Körper von Bedeutung ist.
Inhaltsverzeichnis
Mikrobiom – Definition und Begriffsdeutung
Das Mikrobiom beschreibt alle Mikroorganismen, die einen Makroorganismus besiedeln. Anders formuliert versteht man darunter alle Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen und Archaeen, die in einem Menschen oder einem Tier vorkommen. Spricht man von einem Teil-Mikrobiom, bezieht man sich auf einen bestimmten Abschnitt des Körpers, etwa das dermale Mikrobiom der Haut oder das intestinale Mikrobiom des Magen-Darm-Traktes. Die Mikroorganismen beeinflussen unter Umständen den Stoffwechsel, das Immunsystem und die Hormone des Makroorganismus.
In der Literatur weichen die Definitionen jedoch voneinander ab. Eine weitere Begriffsdeutung umfasst neben dem Ort, wo sich Mikroorganismen ansiedeln, auch ihre Stoffwechselprodukte, ihr Genom und ihre Umweltbedingungen. Dann entspricht das Mikrobiom einem mikrobiellen Ökosystem.
Lederberg definiert das Mikrobiom als Gemeinschaft aus pathogenen, kommensalen und symbiotischen Mikroorganismen in einem Raum, also alle Mikrobiotika, die Krankheiten hervorrufen, sich vom Wirt ernähren, ihn aber nicht schädigen oder solche, die dem Wirt im Gegenzug Vorteile bringen. Im Gesamten werden Wirt und Mikroorganismen als Holobiont beschrieben. Ist die Einheit zwischen beiden von Gesundheit geprägt, herrscht Eubiose, der physiologisch gewollte Zustand. Durch Krankheit gerät das System allerdings aus dem Gleichgewicht und der physiologische Zustand ist gestört (Dysbiose).
Physiologie des humanen Mikrobioms
Wie erforscht man diese winzigen Organismen, die sich billionenhaft im Körper befinden? Dieser Aufgabe hat sich das Human Microbiome Project angenommen. Sie forschen seit etwa 2007 an diesem umfassenden Thema und wagten den Versuch einer Systematisierung. Dafür untersuchten sie verschiedene Körperregionen von 300 gesunden Menschen. Dennoch ist die Forschung noch lange nicht am Ende und es bleiben viele Zusammenhänge unerkannt.
Es existieren etwa 500 bis 1.000 verschieden Spezien an Bakterien, wobei die Anzahl der Subtypen noch viel größer sein kann. Die genaue Zusammensetzung ist jedoch bei jedem Menschen individuell. Die Ursache und die Folgen dieser Besiedlung bezogen auf die Gesundheit oder die Entstehung von Krankheiten ist noch nicht ausreichend erforscht. Dennoch ist bekannt, dass Veränderungen in der Zusammensetzung und ihren Wechselwirkungen mit den Systemen des menschlichen Körpers zu entzündlichen Darmkrankheiten, Krebs oder schwerwiegenden Depressionen führen können.
Produkte der Mikrobiotika
Im Darm produzieren die Mikroorganismen wichtige Stoffwechselprodukte, die der Aktivierung von regulatorschen T-Zellen dienen. Dazu gehören kurzkettige Fettsäuren, sogenannte short-chain fatty acids (SCFAs), wie Butyrat, Proprionat und Acetat. Unverdauliche pflanzliche Stoffe unterstützen die Produktion dieser, genauso wie die Gattung des Faecalibacterium. Dadurch schützt es vor entzündlichen Darmerkrankungen.
Außerdem dekonjugieren die Darmbakterien die Gallensäuren, welche wiederum weitere Stoffwechselwege, wie den der Lipide und Kohlenhydrate, beeinflussen.
Mikrobiom – Einflussfaktoren
Um zu verstehen, wie das Mikrobiom therapeutisch und präventiv verändert werden kann, ist ein grundlegendes Verständnis über die Einflussfaktoren essentiell.
Humangenetik und Immuninteraktionen
Im Rahmen von Studien an Zwillingen wurde herausgefunden, dass der genetische Einfluss relativ gering ist. Lediglich für die Vererbarkeit einzelner Mikroorganismen wie Christensenella, ein Bakterium des Darms, war erkennbar. Diese lässt sich aber auch durch eine andere Theorie erklären. Viel wichtiger für die Entwicklung des Mikrobioms sind die Umwelteinflüsse.
Die Interaktion des Mikrobioms mit dem Immunsystem bleibt noch weitgehend unerforscht. Beispielsweise das Immunsystem der Mamma scheint jedoch Wechselwirkungen mit dem Mikrobiom in beide Richtungen aufzuweisen. Neuere Studien weisen ebenfalls darauf hin, dass mindestens zehn Prozent der Variabilität des Immunsystems von Interaktionen mit dem Mikrobiom stammen.
Das Mikrobiom entsteht zum Großteil in den ersten Lebensjahren durch die Exposition zu mütterlichen und in der Umgebung vorkommenden Mikroorganismen. Das geschieht vor allem bei der Geburt und dem ersten Lebensjahr. Hierbei siedeln sich bist zu 1.000 Spezien im Magen-Darm-Trakt an, die die Zusammensetzung des Mikrobioms für den Rest des Lebens mitbestimmen.
Körperoberflächen
Auf verschiedenen Körperoberflächen existieren unterschiedlich zusammengesetzte Mikrobiome. Ein Blick auf die Haut zeigt selbst dort regionale Unterschiede. Auch der Mundraum, Magen-Darm-Trakt und die Vagina sind individuell gestaltet und keine Person gleicht der anderen.
Änderungen in der Ernährung oder Hautpflege kann die Zusammensetzung vorübergehend ändern, allerdings kehrt die Originalbesiedlung bei Einstellung der normalen Konditionen wieder zurück und kann sich regenerieren.
Besonders gut wurde das vaginale Mikrobiom untersucht. Hier herrscht bei asymptomatischen Personen vor allem das Bakterium Lactobacillus vor, sowie andere anaerobe Bakterien. Diese Klasse produziert Endprodukte durch Fermentation, die den vaginalen pH-Wert senken und so das säuerliche Milieu der Vagina aufrecht halten. Das ist wichtig, um Besiedlungen mit pathogenen Bakterien zu vermeiden.
Ernährung
Durch die hohe kulturelle und psychologische Akzeptanz stellt die passende Ernährung eine sehr gute Intervention zur Anpassung des Mikrobioms des Magen-Darm-Traktes dar. Über einen langen Zeitraum geführte Ernährung hat große Einflüsse auf die Zusammensetzung des Mikrobioms, aber auch kurzzeitige Ernährungsumstellungen können Änderungen hervorrufen.
Ein Effekt, den das Mikrobiom vermittelt, ist der Anstieg des Blutzuckers durch ein bestimmtes Nahrungsmittel. Personen, die das gleiche zu sich genommen haben, zeigen unterschiedliche Reaktionen des Blutzuckers darauf. Das lässt sich auf das Mikrobiom zurückführen. Weiterhin kann es die Leptin-Konzentration und damit den Appetit beeinflussen.
Antibiotika
Der Effekt von Antibiotika auf das Mikrobiom ist enorm. Besonders der Magen-Darm-Trakt ist anfällig gegenüber wiederholter Antibiotikaanwendung. Werden früh im Leben bereits Antibiotika eingesetzt, kann sich deren Einfluss in einer höheren Wahrscheinlichkeit eines späteren Übergewichts, Asthmas, entzündlichen Darmerkrankungen und weiteren Krankheiten zeigen.
Lebensstil
Auch der Lebensstil beeinflusst die Zusammensetzung und Auswirkungen der Mikroorganismen. Haustierhaltung und Exposition zu Viehbeständen scheinen das Risiko für Asthma zu verringern. Weiterhin kann regelmäßige sportliche Betätigung durch verringerte Entzündungszeichen die Struktur der Mikrobiome verändern und somit Auswirkungen auf die Zytokine haben.
Schlafmangel korreliert mit Änderungen des Darmmikrobioms. Stress sorgt für eine gesteigerte Durchlässigkeit der Wände des Darmtraktes (erhöhte Permeabilität), wodurch sich wiederum die Zusammensetzung verändert. Daraus ergeben sich Unterschiede in der Konzentration der Stoffwechselprodukte der Bakterien und in den Entzündungsmarkern.
Weitere Einflüsse scheinen der Beruf und das Arbeitsumfeld zu sein, sowie physischer Kontakt zu anderen Personen. Partner und Partnerinnen, die häufig miteinander intim interagieren, weisen vermehrt Ähnlichkeiten im Mikrobiom auf.
Umweltinteraktionen
Durch die Interaktion mit der alltäglichen Umgebung können Krankheitserreger entweder Entzündungen hervorrufen und somit das Immunsystem aktivieren oder Bakterien, Pilze und Viren können den Körper kolonisieren. Es gibt Hinweise, dass dieser Vorgang die menschliche Physiologie beeinflusst.
Das Mikrobiom unterliegt zudem einem zirkadianem Rhythmus. Gerät dieser aus den Fugen, kann das auch den Rhythmus des Menschen beeinflussen. Zusammenfassend ist das Mikrobiom also enorm anpassungsfähig und wandelbar, gleichzeitig aber auch sehr robust über einen langen Zeitraum.
Mikrobiom – Klinische Bedeutung und Nutzen
In Studien konnte ein umgekehrter Zusammenhang zwischen dem Ausgesetztheit gegenüber Mikroorganismen und dem Auftreten von beispielsweise Autoimmunkrankheiten. Das beschreibt die Hygienehypothese. Sie besagt, dass bei einem nicht ausreichendem Kontakt zu Mikroorganismen in Kombination mit genetischer Anfälligkeit die physiologische, balancierte Immunreaktion zusammenbricht und somit Platz schafft für chronische, entzündliche Erkrankungen.
Im Rahmen von Erkrankungen ist die Anzahl der Spezies und der mikrobiellen Verwandtschaft erniedrigt. Entzündungen kommen meist mit vermehrtem Vorkommen von Enterobacteriacaea einher, die teilweise pathogen wirken.
Bisher wurde ein Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Erkrankung bei folgenden Pathologien festgestellt:
- Adipositas (Fettleibigkeit)
- Diabetes Mellitus Typ 2
- chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED)
- kardiovaskuläre Erkrankungen
- Autoimmunerkrankungen: rheumatoide Arthritis, multiple Sklerose, Diabetes Mellitus Typ 1
- bakterielle Vaginose
- hepatische Enzephalopathie
- Psoriasis
- Graft-versus-Host-Reaktionen nach Stammzelltransplantationen
- neurologische /psychische Krankheiten: Alzheimer, Parkinson, Autismus
Bei all diesen Erkrankungen fungiert das Mikrobiom mindestens als Biomarker, also als ein charakteristisches Merkmal der Krankheit. Unklar ist jedoch noch, ob es auch gleichzeitig die Ursache für diese sein kann, was theoretisch durchaus denkbar ist.
Zusätzlich beeinflusst das Mikrobiom die Neigung zu Infektionen, die Wirksamkeit von Medikamenten und Impfungen. Einige Bakterienstämme reagieren im Zuge einer medikamentösen Therapie zum Beispiel verstärkt auf Inhibitoren für Immuncheckpoints, die zur Tumortherapie eingesetzt werden
Therapeutischer Nutzen
Therapeutisch wird das Wissen über das Mikrobiom im Rahmen von fäkalen Mikrobiota-Transplantationen (Stuhlplantationen) eingesetzt. Dabei wird gesunder Stuhl oder aus ihm entnommene Bakterien auf einen Patienten übertragen, dessen Darmflora unwiderruflich zerstört ist. Das geschieht mittels einer Magen- oder Duodenalsonde übre die Nase oder über eine Koloskopie oder Kapsel. Besonders bei Chlostridium-difficile-assoziierten Durchfällen, die nicht auf andere Therapien ansprechen, ist diese Therapie gerne gesehen.
Auch Probiotika werden im Alltag häufig diskutiert. Sie sollen helfen, die Darmflora wieder aufzubauen, etwa nach Antibiotika-Behandlung oder unspezifischen Darmbeschwerden. Ihnen wird nachgesagt, dass sie entweder Krankheitserreger verdrängen, beispielsweise durch Produktion von antimikrobiellen Substanzen, oder das Immunsystem des Menschen aktivieren.
Momentan ist die Studienlage allerdings nicht ausreichend, um eine wissenschaftlich fundierte Aussage über die Wirkung von Probiotika treffen zu können. Das trifft besonders auf probiotische Lebensmittel wie Joghurts zu, die spezielle probiotische Bakterienstämme enthalten. Bei schweren Erkrankungen mit Immunsuppression oder zentralen Venenkathetern ist die Einnahme nicht empfohlen, da die weitere Besiedlung des Körpers nicht abschätzbar sind. Sogar Fungämien (Pilze im zirkulierenden Blut) nach einer Therapie mit Probiotika wurden beschrieben. Diese führten zum Tod.
Vaginales Mikrobiom und Frühgeburten
Eine Frühgeburt kann dramatische Konsequenzen für das Kind haben. Besonders die Umwelt und damit auch das Mikrobiom der weiblichen Geschlechtsorgane haben einen großen Einfluss darauf. Während der Schwangerschaft hält der Körper ein Gleichgewicht zwischen pro- und anti-entzündlichen Faktoren aufrecht. Zu Frühgeburten trägt im Zusammenhang mit dem Mikrobiom vor allem der Aufstieg von Mikroorganismen in den Uterus bei, wodurch dieses Gleichgewicht gestört wird. Das selbe Prinzip gilt für Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen wie Kollagenen, Proteasen oder Toxinen, die die Stabilität der fetalen Membran vermindern und somit zu einer verfrühten Ruptur dieser führen.
- Schlüter D et. al., Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage, Thieme
- Gilber J et. al., Current understanding of the human microbiome, https://www.nature.com/... , (Abrufdatum: 26.06.2024)
- Proctor L et. al., The Integrative Human Microbiome Project (2019), https://www.nature.com/... , (Abrufdatum: 26.06.2024)
- Huttenhower C et. al., Structure, function and diversity of the healthy human microbiome (2012), https://www.nature.com/... , (Abrufdatum: 26.06.2024)