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Stammzellen sind der Grundstein eines Organismus und sind in der Medizin sowie in der Forschung von großer Bedeutung. Ihre einzigartige Fähigkeit, sich in verschiedene Zelltypen zu entwickeln und beschädigtes Gewebe zu reparieren, stellt sie in den Mittelpunkt aktueller Therapieentwicklungen. on der Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs und Diabetes bis hin zur Regeneration von Organen eröffnen Stammzellen enorme Chancen. Dieser Artikel beleuchtet die Eigenschaften von Stammzellen, ihre medizinische Anwendung und wie man mit Stammzellspende Leben retten kann.
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Stammzellen – Definition
Stammzellen sind undifferenzierte Zellen, die das einzigartige Potenzial besitzen, sich in verschiedene spezialisierte Zelltypen zu entwickeln und das Wachstum von Geweben und Organen zu ermöglichen. Im Allgemeinen zeichnen sie sich durch drei Merkmale aus:
- die Möglichkeit der Selbsterneuerung
- die geringe Zellteilung (langsamer Zellzyklus)
- die geringe Differenzierung
Stammzellen spielen eine zentrale Rolle in der Regeneration und Reparatur von Geweben.
Ausdifferenzierung
Wie wird aus der Stammzelle die funktionsfähige Zelle? Eine Stammzelle wird durch den Prozess der Differenzierung zu einer Tochterzelle, indem sie spezifische Gene aktiviert, die ihre Entwicklung in einen bestimmten Zelltyp steuern. Die Zellteilung erfolgt in diesem Fall asymmetrisch, es entstehen also zwei funktionell und oft auch morphologisch unterschiedliche Zellen. Eine Tochterzelle behält die Stammzelleigenschaft, die andere entwickelt sich zu einer sogenannten Progenitorzelle. Diese Teilt sich dann mehrfach symmetrisch (Stadium der transitorisch amplifizierende Zellen), um eine Population zu erzeugen. Letztendlich verlieren die Zellen ihre mitotischen Eigenschaften und differenzieren sich, um ihre eigentliche Körperfunktion zu erfüllen.
Arten von Stammzellen
Stammzellen kann man auf unterschiedliche Arten einteilen, wobei in der Medizin häufig die Differenzierung nach Potenzgrad der Zelle erfolgt. Der Potenzgrad sagt aus, wie viele unterschiedliche Zelltypen eines Organismus noch aus einer Stammzelle entstehen können. Entsprechend dieser Einteilung unterscheidet man:
Art der Stammzelle | Vorkommen | Potenz |
Totipotent (/omnipotent) | Zygote bis zum 8-Zell-Stadium | Differenzierung in alle Zelltypen des Organismus, auch die Plazenta |
Pluripotent | Embryonale Stammzellen | Differenzierung in alle Zelltypen des Organismus, ohne Plazenta |
Multipotent | Hämatopoetische, Mesenchymale, Neurogenische und Epidermale Stammzellen | Differenzierung in alle Zelltypen eines Gewebetyps |
Oligopotent | Lymphoide Stammzellen | Differenzierung in wenige Zellen eines Gewebetyps |
Unipotent | Fibroblasten | Differenzierung in einen Zelltyp |
Embryonale Stammzellen
Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) sind je nach Entnahmezeitpunkt omnipotent (Entnahme aus der Blastomere bis zur ersten Furchung) oder pluripotent (Entnahme aus der Blastozyste) und können sich entsprechend mindestens in alle Körperzellen differenzieren. Nach aktuellem Stand sind sie zentraler Gegenstand der Forschung, werden aber auch schon vereinzelnd für Therapiezwecke verwendet.
Ethische und Rechtliche Aspekte beim Thema embryonale Stammzellen
Bei der Entnahme von embryonalen Stammzellen wird der jeweilige Organismus zerstört. In Ländern wie Belgien oder Großbritannien entnimmt man humane ES-Zellen (hES) daher aus überzähligen Embryonen bei der künstlichen Befruchtung. In Deutschland ist die Gewinnung von hES-Zellen im Sinne des Embryonenschutzgesetzes verboten. Auch die Arbeit mit importierten Stammzellen wird in diesem Sinne stark eingeschränkt und Forschende müssen Anträge beim Robert-Koch-Institut (RKI) begründen. Die Frage, ob hier das beginnende Leben über den medizinischen Fortschritt und die Heilungsmöglichkeiten gestellt werden sollte, ist immer wieder Teil der öffentlichen Debatte.
Adulte Stammzellen
Auch im ausgewachsenen Gewebe kommen noch Stammzellen vor, die der Regeneration und Weiterentwicklung eines Gewebes dienen. Diese Gewebestammzellen finden sich häufig in Zellreihen mit hoher Replikationsrate, wie den Blut– und Immunzellen oder der Haut. Sie zählen zu den multipotenten Stammzellen, ihre Differenzierungsmöglichkeiten sind also genetisch beschränkt.
Pluripotenz bei Stammzellen künstlich erzeugen?
Die Arbeitsgruppe um Shinya Yamanaka veröffentlichte 2006 einen Durchbruch in der Stammzellforschung: Durch sogenannte lentivirale Vektoren erzeugten sie in adulten Stammzellen die Expression von 4 verschiedenen Transkriptionsfaktoren und ermöglichten eine „Umprogrammierung“ der somatischen Zellen zur Pluripotenz. Aus dieser induzierten Pluripotenten Stammzelle konnte nach Injektion in eine Blastozyste ein kompletter lebender Embryo wachsen. 2012 wurde für die iPS-Zellen der Nobelpreis in Medizin/Physiologie verliehen.
Wenn Stammzellen nicht mehr funktionieren
Stammzellerkrankungen entstehen, wenn Stammzellen ihre normale Funktion verlieren oder geschädigt werden, was zu einer unzureichenden Bildung gesunder Zellen führt. Beispiele sind Erkrankungen des blutbildenden Systems wie aplastiche Anämie, bei denen die Stammzellen im Knochenmark gestört sind und keine ausreichenden Blutzellen produzieren (myelodysplastische Erkrankungen). Im Gegensatz dazu gibt es auch myeloproliferative Erkrankungen, die auf der übermäßigen Produktion dysfunktionaler Stammzellen beruhen, ein beispiel hierfür ist die chronisch melodische Leukämie (CML). Darüber hinaus können Krebsarten wie Hirntumore oder Melanome durch Fehlfunktionen in Stammzellen oder deren Vorläuferzellen entstehen.
Stammzellen – Bedeutung in Medizin und Forschung
Aufgrund ihrer hohen Differenzierungspotenz werden (vor allem embryonale) Stammzellen in der medizinischen Forschung intensiv untersucht, insbesondere in Bezug auf die Regeneration von Geweben und die Behandlung von Krankheiten wie Parkinson, Diabetes und Herzkrankheiten. Die Verwendung von Eigen- und Fremdstammzellen ist allerdings längst keine Theorie mehr: Viele Erkrankungen, vor allem des blutbildenden Systems, werden bereits nach diesem Prinzip therapiert.
Stammzellentherapie
Die Stammzelltherapie fasst grundsätzlich alle therapeutischen Ansätze, bei denen Stammzellen verwendet werden zusammen. Sie wurde bereits vor einigen Jahren als therapeutische Möglichkeit maligner Erkrankungen wie Leukämie eingeführt und kommt auch heute noch vor allem bei degenerativen Erkrankungen des Blut- und Immunsystems zum Einsatz. Bei dem auch Stammzelltransplantation (SZT oder HSZT) genannten Verfahren werden zuvor gewonnene hämatopoetische Stammzellen auf den Empfänger übertragen. Dabei kann es sich um körpereigene (autologe) oder körperfremde (allogene) Zellen handeln, wobei meist nur letztere eine Heilungschance bieten.
Eingeschränkt ist die SZT meist durch die HLA-Übereinstimmung. Dabei handelt es sich um ein System menschlicher Gene, das für die Immun-Funktion zuständig ist. Unstimmigkeiten – sogenanntes HLA-Missmatching – erhöhen das Risiko, dass die Spende erfolglos bleibt, die neuen Stammzellen im Körper also nicht anwachsen. Darüber hinaus kann es zu eine Graft vs. Host Disease (GvHD) kommen. Das ist eine gefährliche Reaktion, bei der die gespendeten Stammzellen die Organe des Empfängers angreifen, da sie als fremd erkannt werden.
Spenderregister
Am höchsten ist die Wahrscheinlichkeit eines HLA-Matches im engeren Verwandschaftskreis. Das ist aber nicht immer der Fall. Darüber hinaus können Faktoren im Weg stehen, die die Spende verhindern. Besonders bei Krebserkrankungen kann die Stammzellspende lebensrettend sein, weswegen die Suche nach möglichen Spenderpersonen schnell ablaufen muss. Zur besseren Vergleichbarkeit und Dokumentation gibt es in Deutschland das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschlands (ZKMD), für das man sich über eine von mehr als 30 Organisationen registrieren kann. Etwa 73 Prozent der Spender in Deutschland und 28 Prozent weltweit sind über die DKMS typisiert. Das macht die zur größten Stammzellspenderdatei weltweit.
Als Spenderperson kommt prinzipiell jeder zwischen 17 und 55 Jahren in Frage, der keine Erkrankungen des Blutbildenden Systems sowie endokrine oder maligne Vorerkrankungen hat. Die Registrierung kann einfach online erfolgen, indem man seine persönlichen Daten angibt. Anschließend erhält man einen Fragebogen und ein Set für einen Wangenschleimhautabstrich. Alternativ kann man sich bei einer von vielen Registrierungsaktionen vor Ort melden. Die Registrierung verpflichtet nicht zur Spende.
Stammzellen spenden
Wenn man als Spenderperson in Frage kommt wird man normalerweise von der Organisation kontaktiert, über die man registriert ist und gefragt, ob man zur Spende bereit ist. Es folgen Frageböden und medizinische Untersuchungen zur Abklärung der medizinischen Eignung. Zur Entnahme der Zellen kommen zwei Arten in Frage:
- Die periphere Stammzellentnahme, bei der medikamentös Knochmarkszellen ins Blut ausgeschwemmt und ähnlich der Blutspende herausgefiltert werden
- Die Stammzellentnahme durch Knochenmarksaspiration in Vollnarkose
Ds gilt auch für die autologe Spende. Bei Fremdspende hat man in vielen Ländern nach einiger Zeit die Möglichkeit, mit dem Empfänger in Kontakt zu treten, kann nach Wunsch aber auch anonym bleiben.
- DKMS, https://www.dkms.de/... (Abrufdatum 11.01.2025)
- Lüllmann-Rauch et al., Taschenlehrbuch Histologie, Thieme (Verlag), 4. Auflage, 2024
- Nordheim et al., Molekulare Genetik, Thieme (Verlag), 11. Auflage 2018
- Yamanaka et al., Nuclear reprogramming to a pluripotent state by three approaches, erschien in: Nature, 2010