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Der Waldeyer Rachenring besteht aus mehreren lymphatischen Geweben, die vor allem im Mund- und Rachenraum liegen. Sie dienen der Abwehr von eingedrungenen Mikroorganismen, sind jedoch auch selbst nicht selten von Infektionserkrankungen betroffen. Dieser Artikel gibt zunächst eine Übersicht der Bestandteile des Waldeyer Rachenrings und geht anschließend auf die Anatomie sowie Krankheitsbilder der einzelnen lymphatischen Gewebe ein.
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Waldeyer Rachenring – Definition
Zum Waldeyer Rachenring (auch lymphatischer Rachenring genannt) zählt eine Gruppe von lymphoepithelialem Gewebe, das sich von den hinteren Abschnitten des Nasenrachens (Nasopharynx) und Mundrachens (Oropharynx) bis in den Kehlkopfrachen (Hypopharynx) erstreckt. Der Name geht auf den deutschen Anatomen Heinrich Wilhelm Waldeyer zurück, der ihn als erstes beschrieb.
Waldeyer Rachenring – Übersicht
Der Begriff “Ring” ist beim Waldeyer Rachenring nicht im engeren Sinne zu sehen, da die einzelnen lymphatischen Gewebsinseln (die Mandeln) nicht wirklich ringförmig angeordnet sind. Zum Waldeyer-Rachenring zählt man folgende lymphatische Strukturen:
- Tonsilla pharyngea (Rachenmandel)
- Tonsilla tubaria (Tubenmandel): Sie kommt paarig vor.
- Tonsilla palatina (Gaumenmandel): Die Gaumenmandel kommt ebenfalls paarig vor.
- Tonsilla lingualis (Zungenmandel)
- Seitenstrang
Als die wichtigste Aufgabe des Waldeyer Rachenrings galt bislang die Bildung einer Abwehrbarriere gegenüber eingedrungenen Bakterien, Viren und Pilzen aus der Mund- und Nasenhöhle. Neuere Forschungsarbeiten gehen allerdings davon aus, dass der Fokus der lymphatischen Gewebe beziehungsweise der Mandeln eher auf der Erkennung der Antigenstrukturen von Mikroorgansimen liegt. Wenn eine verdächtige Antigenstruktur erkannt wurde, kommt es zu der Aktivierung des systemisch wirkenden Immunsystems, welches die Mikroorganismen angreift.
Die folgenden Abschnitte thematisieren die Anatomie und häufig auftretende Erkrankungen der einzelnen Bestandteile des Waldeyer Rachenrings.
Waldeyer Rachenring – Rachenmandel
Die Rachenmandel (Tonsilla pharyngea) ist unpaar, also kommt nur ein Mal vor, und befindet sich am Rachendach (Epipharynx). Sie entwickelt sich ungefähr in der 16. Entwicklungswoche durch die Einwanderung von Lymphozyten in das subepitheliale Gewebe des embryonalen Rachendachs und nimmt nach der Geburt bis zum etwa siebten Lebensjahr an Volumen zu. Das Gewebe der Rachenmandel ist mit zahlreichen seromukösen Drüsen ausgestattet. Diese münden in der Oberfläche der Tonsille, die mit respiratorischem Flimmerepithel überzogen ist.
Bei Kindern kann die Rachenmandel Ausgangspunkt sogenannter adenoider Vegetationen (umgangssprachlich auch Polypen genannt) sein. Bei einer sehr starken Vergrößerung der Rachenmandel kann es zu einer Behinderung des Luftstroms im Nasenrachenraum kommen. Dies bedingt, dass die betroffenen Kinder vermehrt durch den Mund atmen und kann in schweren Fällen die operative Entfernung der adenoiden Vegetationen notwendig machen.
Waldeyer Rachenring – Tubenmandel
Die Tubenmandel (Tonsilla tubaria) kommt paarig vor und ist am Ostium pharyngeum der Ohrtrompete (Tuba auditiva) lokalisiert. Sie weist im Vergleich zu anderen Mandeln deutlich weniger ausgeprägte Krypten auf und ist mit respiratorischem Flimmerepithel überzogen. Bei Kindern kann sich eine Hypertrophie der Tubenmandel symptomatisch bemerkbar machen, da es dadurch häufig zum Verschluss der Tuba auditiva kommt. Als Folge entsteht eine Schallleitungsschwerhörigkeit.
Waldeyer Rachenring – Gaumenmandel
Die Gaumenmandel (Tonsilla palatina) ist paarig angelegt und befindet sich zwischen dem vorderen und hinteren Gaumenbogen. Aufgrund der häufig vorkommenden Entzündung der Gaumenmandeln sind sie klinisch besonders relevant. Deshalb sind meist die Gaumenmandeln gemeint, wenn im alltäglichen Sprachgebrauch von Mandeln geredet wird.
Anatomie
Die Gaumenmandeln befinden sich genauer betrachtet im hinteren Bereich der Mundhöhle am Isthmus faucium. Dieser liegt zwischen dem Arcus palatoglossus und dem Arcus palatopharyngeus am Übergang zum Rachen. Der Bereich wird deshalb auch als Fossa tonsillaris (Tonsillarbucht) bezeichnet. Die Gaumenmandeln sind von einer bindegewebigen Kapsel umgeben.
Aufbau
Die Gaumenmandel ist beim Erwachsenen ungefähr zwei bis drei Zentimeter lang und ein bis zwei Zentimeter breit. Sie weist eine ellipsoide Form auf und ist an der dem Isthmus faucium zugewandten Seite mit kleinen Öffnungen, den Fossulae tonsillae, ausgestattet. Von diesen Öffnungen ziehen tiefe Krypten (Cryptae tonsillae) in die Mandel. Sie sind mit mehrschichtigem, unverhorntem Plattenepithel ausgekleidet und bewirken eine immense Oberflächenvergrößerung, sodass die Oberfläche der Gaumenmandel beispielsweise sechs Mal so groß wie die Oberfläche der Schleimhaut des gesamten Oropharynx ist. Man schätzt sie auf ungefähr 300 Quadratzentimeter pro Mandel.
Zudem sind die Krypten verzweigt und liegen recht nah beieinander, was dazu führt, dass sich dort gelegentlich Speisereste ansammeln. Gemeinsam mit abgeschilferten Epithelzellen und Leukozyten bilden sie sogenannte Tonsillarpfröpfe, die manchmal als weiße Erhebungen auf der Mandel sichtbar sind. Des Weiteren findet man unter dem Epithelgewebe lymphoretikuläres Bindegewebe, welches zahlreiche Primär- und Sekundärfollikel beherbergt. An der der Oberfläche zugewandten Seite der Sekundärfollikel sammeln sich verstärkt Lymphozyten an (auch Lymphozytenkappen genannt).
Blutversorgung
Die arterielle Blutversorgung der Gaumenmandel kann von Mensch zu Mensch abweichen, erfolgt jedoch in den meisten Fällen durch einen Ast (Ramus tonsillaris) der Arteria palatina ascendens. Außerdem gewährleisten auch Rami tonsillares aus der Arteria facialis sowie kleinere Gefäßäste (Arteriae palatinae minores) aus der Arteria palatina descendens die Blutversorgung. Einige Anteile der Gaumenmandel fallen zudem in das Versorgungsgebiet der Rami dorsales linguae aus der Arteria lingualis. Venös fließt das Blut über den Plexus venosus pharyngeus und die Vena jugularis interna ab, während der Lymphabfluss über die Nodi lymphatici submandibulares in die Nodi lymphatici cervicales profundi stattfindet.
Nervale Innervation
Die sensible Versorgung der Gaumenmandeln erfolgt über Fasern des Nervus glossopharyngeus und des Nervus vagus innerviert. Zudem steuert der Nervus maxillaris die Nervi palatini minores, die über das Ganglion pterygopalatinum ziehen, bei.
Tonsillitis
Die häufigste Erkrankungen der Gaumenmandeln ist deren Entzündung, die Tonsillitis. Sie kann sowohl akut als auch chronisch verlaufen. Während die akute Form meistens durch Viren verursacht wird, ist die chronisch rezidivierende Form hingegen vor allem durch Bakterien bedingt. Hierbei spielen vor allem Beta-hämolysierende Streptokokken wie Streptococcus pyogenes eine Rolle. Als Symptome treten in der Regel starke Halsschmerzen, geschwollene und gerötete Gaumenmandeln, Schluckbeschwerden, Eiterablagerungen, Mundgeruch und eine Schwellung der am Hals liegenden Lymphknoten vor. Bei einer schweren Verlaufsform können zusätzlich noch allgemeinere Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit hinzukommen.
Die Diagnose einer Tonsillitis kann normalerweise direkt anhand der Zusammenschau von Symptomatik und Inspektion des Rachens gestellt werden. Zu den allgemeine Behandlungsmaßnahmen einer Tonsillitis zählen die Gabe von Schmerzmitteln, Rachenspülungen und Gurgeln mit antiseptischen Mitteln sowie eine körperliche Schonung. Bei Verdacht auf eine bakterielle Ursache oder eine bakterielle Superinfektion ist zudem die Gabe von Antibiotikum indiziert. Hier werden bevorzugt Penicilline eingesetzt, wobei bei einer Allergie auf diese auch Cephalosporine oder Makrolide eingesetzt werden können.
Tonsillektomie
Unter einer Tonsillektomie versteht man die vollständige chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln durch das Ausschälen aus ihrer Kapsel. Während früher die Mandeln bereits sehr schnell entfernt wurden, ist die Indikation zur Tonsillektomie heutzutage deutlich strenger zu stellen. So sollten beispielsweise mindestens sieben Episoden einer fieberhaften und eitrig-belegten Tonsillitis in einem Jahr vorliegen, damit eine Tonsillektomie in Betracht gezogen werden kann. Gleiches gilt für mindestens fünf Episoden pro Jahr über zwei Jahre oder mindestens drei Episoden pro Jahr über drei Jahre.
Peritonsillarabszess
Hierunter versteht man eine Abszessbildung zwischen der Gaumenmandel und der Rachenmuskulatur. Er kann als Komplikation einer Tonsillitis auftreten und tritt einige Tage nach der Erkrankung auf. Er führt zu einseitigen Beschwerden beim Schlucken, einer kloßigen Sprache, Ohrenschmerzen, einer übermäßigen Speichelproduktion und einem reduzierten Allgemeinzustand. Außerdem kann es zu einer Kieferklemme mit einer deutlichen Einschränkung der Mundöffnung kommen.
Ein Peritonsillarabzess kann ebenfalls direkt durch eine Inspektion des Rachens diagnostiziert werden. Als Therapie wird der Abszess chirurgisch eingeschnitten (mittels einer Inzision) und mit einer Kornzange gespreizt. Dabei muss nach der Inzision mehrere Tage immer wieder nachgespreizt sowie eine intravenöse Antibiotika-Therapie (zum Beispiel mit Ampicillin und Sulbactam) durchgeführt werden. Falls sich der Abszess nach diesen Maßnahmen nicht genug entleert, sollte dieser entfernt werden. Wenn die Maßnahmen hingegen erfolgreich waren, sollte nach vollständiger Abheilung eine Tonsillektomie erfolgen. Dies ist nötig, da es sonst höchstwahrscheinlich zu Rezidiven kommen wird.
Epstein-Barr-Virus (EBV)
Das Epstein-Barr-Virus (häufig mit EBV abgekürzt) ist ein DNA-Virus, das zur Familie der Herpesviren gehört und Auslöser der infektiösen Mononukleose (auch Pfeiffersches Drüsenfieber genannt) ist. Es ist weltweit verbreitet und wird durch eine Schmier- und Tröpfcheninfektion übertragen. Dies geschieht besonders oft beim Küssen, weshalb die infektiöse Mononukleose auch als “kissing disease” bezeichnet wird. Man geht davon aus, dass 95 bis 98 Prozent aller Menschen, die ihr 40. Lebensjahr vollendet haben, bereits eine EBV-Erkrankung durchgemacht haben.
Das Epstein-Barr Virus wird an dieser Stelle aufgeführt, da es im Rahmen der Erkrankung zu einer Angina tonsillaris, also einer Entzündung der Gaumenmandeln, kommt. Deshalb ist eine wichtige Differenzialdiagnose gegenüber einer bakteriellen Tonsillitis und muss aufgrund der Gefahr eines Arzneimittelexanthems vor einer Antibiotikagabe (mit Aminopenicillinen) unbedingt ausgeschlossen werden. Als weitere Symptome kommt es zu Fieber, Gliederschmerzen, einer Anschwellung der Halslymphknoten (Lymphadenopathie), einem fauligen Mundgeruch oder einer Rachenentzündung (Pharyngitis). Als Langzeitkomplikation kann es zudem bei einer Schwäche des Immunsystems (Immunsuppression) zu einer Reaktivierung des EBV-Virus kommen. Ist dies der Fall, kann es zum Auslöser von seltenen Krebserkrankungen wie dem Burkitt-Lymphom oder anderen Lymphomen kommen. Außerdem geht man davon aus, dass es das Auftreten einer Multiplen Sklerose begünstigen kann. Die Diagnostik der Erkrankung erfolgt durch typische Veränderungen in den Blutwerten wie einer Leukozytose mit atypischen, reaktiv veränderten Lymphozyten und dem Nachweis von EBV-Antikörpern.
Waldeyer Rachenring – Zungenmandel
Die Zungenmandel (Tonsilla lingualis) befindet sich am Zungengrund im Bereich des Sulcus terminalis. Zudem ist sie unpaarig, von Zungenmuskulatur umgeben und weist ebenfalls deutlich weniger Krypten auf als zum Beispiel die Gaumenmandel. Diese münden als kraterförmige Einziehungen in kleine Schleimhauthöcker, die Papillae lenticulares. Des Weiteren ist die Schleimhaut der Zungenmandel mit mukösen Drüsen und die Oberfläche mit mehrschichtigem, unverhornten Plattenepithel ausgestattet.
Waldeyer Rachenring – Seitenstrang
Beim Seitenstrang handelt es sich um einen inzwischen veralteten Begriff, der das lymphatische Gewebe um das Ostium pharyngeum tubae auditivae an der lateralen Rachenwand beschreibt.
Klinisch relevant ist er im Rahmen der Seitenstrangangina, bei der es zu einer Entzündung des lymphatischen Gewebes an der lateralen Rachenwand kommt. Der Seitenstrangangina geht häufig ein viraler Infekt voraus, der aufgrund einer herbeigeführten Schwäche des lokalen Immunsystems die Besiedlung durch bestimmte Bakterien wie beispielsweise Streptokokken, Staphylokokken oder auch Pneumokokken erleichtert. Diese sorgen wiederum für eine verstärkte Entzündung des lymphatischen Gewebes, welches sich in der Folge gerötet und stark angeschwollen zeigt. Besonders oft kommt die Seitenstrangangina bei Menschen vor, denen zuvor die Gaumenmandeln operativ entfernt worden sind. Dies liegt daran, dass es nach einer Entfernung der Gaumenmandeln zu einer Zunahme des lymphatischen Seitenstranggewebes kommt, sodass dieses anfälliger für Infektionen wird.
- Mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe, https://next.amboss.com/... (Abrufdatum: 14.09.2024)